Verhinderung von arbeitsbedingten Krebserkrankungen hat für die Regierung keine Relevanz

10. Oktober 2018

Jährlich sterben in der EU mehr als 100.000 Menschen an arbeitsbedingten Krebserkrankungen, die von karzinogenen Arbeitsstoffen ausgelöst wurden. In Österreich sind es jährlich 1.800 Todesfälle. Damit ist Krebs durch Arbeit Todesursache Nr. 1 am Arbeitsplatz. Die Belastungen durch Schadstoffe sind zu hoch, während der ArbeitnehmerInnenschutz zu niedrig ist, in der EU sowie in Österreich. Für die Regierung sind jedoch bessere Regelungen zur Vorbeugung arbeitsbedingter Krebserkrankungen ein Randthema.

Arbeitsbedingter Krebs in der EU – häufigste Todesursache am Arbeitsplatz

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) schätzt, dass jeder zweiter arbeitsbedingte Todesfall in der EU durch arbeitsbedingten Krebs verursacht wird. Die zweithäufigste Todesursache am Arbeitsplatz sind Kreislauferkrankungen, die für beinahe jeden vierten arbeitsbedingten Tod verantwortlich sind. Arbeitsbedingte Krebserkrankungen können mit hohen Schutzstandards in der Krebsprävention verhindert werden. EU-OSHA warnt mit ihren Schätzungen – auf Basis der volkswirtschaftlichen Kosten –, dass es hier einen großen Nachholbedarf gibt! EU-OSHA schätzt, dass durch arbeitsbedingte Krebserkrankungen rund 120 Milliarden Euro bzw. 0,81 Prozent des BIP an volkswirtschaftlichen Kosten entstehen. Sie resultieren aus unterlassenen Investitionen bzw. unzureichenden Maßnahmen in der Krebsprävention am Arbeitsplatz. Wenn Reformfortschritte und Investitionen in den Gesundheitsschutz ausbleiben, werden das Erkrankungsrisiko und die Bürden der Krankheit zu privaten Anliegen erklärt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Belastungen mit Karzinogenen zu hoch

Jährlich sterben in der EU mehr als 100.000 Menschen an arbeitsbedingten Krebserkrankungen, die von karzinogenen Arbeitsstoffen ausgelöst wurden. In Österreich sind es jährlich 1.800 Todesfälle. Das sind die alarmierenden Resultate einer Studie des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGI). Die Prävention ist für die Bekämpfung arbeitsbedingter Krebserkrankungen zentral. Damit fordern die Sozialpartner verbindliche Grenzwerte für mindestens 50 krebserzeugende Arbeitsstoffe, die 80 Prozent der Expositionen am Arbeitsplatz ausmachen. Eine Liste der prioritär zu regelnden Stoffe liegt vor. Die Beschäftigten sind in zahlreichen Branchen stark belastet, wie z. B. im Baugewerbe (Quarzstaub, Asbest, künstliche Mineralfasern oder Benzol), in Gesundheitseinrichtungen (z. B. Formaldehyd, PAK [chirurg. Rauchgase], Zytostatika), in der Metallverarbeitung und Galvanikbetrieben (z. B. Chrom[VI]-Verbindungen, Edelstahlschweißrauch) oder in der Holzverarbeitung (z. B. durch Holzstaub). Das Friseur- und Barbierhandwerk wird von der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Studien belegen einen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber krebserregenden Haarfärbe- und Lösungsmitteln bei FriseurInnen und Krebserkrankungen. Höhere Schutzstandards sind damit nicht nur in der Industrie, sondern auch in Dienstleistungsbetrieben dringend notwendig. Arbeitsbedingte Krebserkrankungen können am besten mit dem Ersatz von Schadstoffen durch weniger gefährliche Arbeitsstoffe verhindert werden. Der Ersatz der gefährlichen Arbeitsstoffe ist aber im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) eher an das Arbeitsergebnis und weniger an den Erhalt der Gesundheit der Beschäftigten gekoppelt. Damit sind verbindliche Grenzwerte für die Minimierung der Belastungen unumgänglich. Hier gibt es jedoch in der EU sowie in Österreich einen Reformbedarf. Die Regierung hätte nun mit dem EU-Ratsvorsitz die Möglichkeit, den Reformfortschritt voranzutreiben. Sie vergibt jedoch diese Chance. Weder auf der EU-Ebene noch in Österreich gibt die Regierung der Bekämpfung arbeitsbedingter Krebserkrankungen einen angemessenen Stellenwert in der Gesetzgebung.

Gefahr vom Abbau der Schutzstandards

Die Novellierung der Karzinogene-Richtlinie wurde über ein Jahrzehnt aufgrund Entbürokratisierungsprogrammen der Europäischen Kommission stillgelegt. Dabei schreibt die EU-Karzinogene-Richtlinie für die Mitgliedstaaten nur Mindeststandards vor. Auf der Agenda der Regierung (siehe Regierungsprogramm) steht der Bürokratieabbau und die Reduktion von Vorschriften für Unternehmen an vorderster Stelle. Auf der nationalen Ebene werden unter dem Vorwand des sogenannten Gold-Plating bessere nationale Standards als die Mindeststandards der EU-Richtlinien infrage gestellt. Die betriebliche Krebsprävention kennt jedoch weder eine Überregulierung noch Mindeststandards. Nur mit höchsten Schutzstandards können arbeitsbedingte Krebserkrankungen ernsthaft verhindert werden.

EU-Reformfortschritt in der Krebsprävention zu langsam

Bis vor zwei Jahren gab es in der EU-Karzinogene-Richtlinie nur für drei krebserzeugende Arbeitsstoffe verbindliche Grenzwerte. Auf gewerkschaftlichen Druck hin und seit der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft wird nun die Richtlinie novelliert. Die Änderung der Karzinogene-Richtlinie resultiert derzeit im Erlass von 13 Grenzwerten, die mindestens zwölf Millionen Beschäftigten in der EU und 200.000 ArbeitnehmerInnen in Österreich zugutekommen sollen. Zwei weitere Änderungsvorschläge, die von der EU-Kommission für insgesamt zehn Karzinogene eingebracht wurden, werden nun verhandelt. Statt den vorgesehenen 50 Grenzwerten sind derzeit nur 24 auf der Agenda. Die Aktualisierung der Richtlinie schreitet damit sehr langsam voran. Es gibt jedoch nicht nur ein Tauziehen bei der Aufnahme von verbindlichen Grenzwerten, sondern auch bei der Festsetzung ihrer Höhe. Dies kann z. B. am Schadstoff Chrom VI beobachtet werden. Die sechswertigen Chromverbindungen kommen z. B. in der Metallverarbeitung vor. Diesen sind europaweit mehr als 900.000 ArbeitnehmerInnen ausgesetzt. In Österreich sind in etwa 16.000 Beschäftigte betroffen. Trotz der eindeutigen Betroffenheit der Beschäftigten ist mit den aktuellen Grenzwerten in der EU sowie in Österreich das Risiko einer Krebserkrankung immens hoch. Mit dem Grenzwert auf der EU-Ebene trägt jede/r zehnte Beschäftigte/r das Risiko, an Krebs zu erkranken, der/die ein Arbeitsleben lang dieser Konzentration ausgesetzt ist. In Österreich ist es sogar jede/r fünfte Beschäftigte/r.

Österreich: Reform der Grenzwerte ausständig – die Gesundheit der Beschäftigten ist gefährdet

In Österreich regelt das ASchG den Einsatz krebserzeugender, erbgutverändernder und fortpflanzungsgefährdender Arbeitsstoffe. Mit dieser rechtlichen Regelung ist Österreich der EU-Norm derzeit einen Schritt voraus. Der Vorteil ist, dass das Gesetz in Österreich nicht nur mehr Grenzwerte hat (siehe Grenzwerteverordnung 2011), sondern auch die fortpflanzungsgefährdenden Stoffe in den Präventionsrang der Karzinogene hebt. Die Aufnahme dieser Stoffgruppe wird auf der EU-Ebene derzeit ebenfalls verhandelt. Der Nachteil in der österreichischen Gesetzgebung ist, dass für alle eindeutig krebserzeugende Arbeitsstoffe die Grenzwerte (TRK-Werte – technische Richtkonzentration) weitgehend veraltet sind. Sie wurden teilweise seit über 20 Jahren nicht an den technischen Fortschritt und an wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. Die Belastungswerte sind damit zu hoch und sagen nichts über das Erkrankungsrisiko aus. Wir brauchen in Österreich, wie auch bereits in Deutschland und den Niederlanden umgesetzt, ein risikobasiertes Grenzwerteregime. Dieses System informiert über das Restrisiko einer Krebserkrankung, wenn jemand über 40 Jahre hinweg mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen arbeitet. In Österreich liegt bereits ein Konzept für den Umstieg auf risikobasierte Grenzwerte vor, das mit einer Verordnung umgesetzt werden könnte. Es kommt hinzu, dass mit der Ausweitung der Arbeitszeit auf den Zwölfstundentag das Restrisiko einer arbeitsbedingten Krebserkrankung zusätzlich erhöht wird. Dadurch, dass alle Grenzwerte auf Basis von acht Stunden berechnet sind, braucht es dringend eine Neuberechnung.

Resümee

Durch das Hinauszögern der Reform der Grenzwerte steht die Gesundheit der Beschäftigten auf dem Spiel. In der Industrie und in einigen frauendominierten Dienstleistungsbranchen ist die Arbeit mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen an der Tagesordnung. Die Belastungen sind zu hoch, während die Schutzstandards unzureichend sind. Auf der EU-Ebene ist damit der Erlass verbindlicher Grenzwerte voranzutreiben, um rechtliche Standards für mindestens 50 Karzinogene am Arbeitsplatz gewährleisten zu können. In Österreich ist die Neubewertung der Grenzwerte mit der Erhöhung der Arbeitszeit dringend notwendig. Dabei muss auch die Umstellung auf ein risikobasiertes Grenzwertesystem, wie es in Deutschland oder den Niederlanden bereits der Fall ist, Priorität haben. Arbeitsbedingte Krebserkrankungen gilt es durch höchste Schutzstandards zu verhindern.