Die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz ist eine gute Gelegenheit, mehr Geschlechtergerechtigkeit bei den Arbeitsbedingungen zu schaffen. Auf den ersten Blick objektiv-neutrale Vorgehensweisen müssen durchleuchtet werden. Es muss gelingen, Stereotypen und Machtverhältnisse aufzuzeigen und zu hinterfragen. Dann können auch Maßnahmen gesetzt werden, die vor allem Frauen nachhaltig vor Fehlbelastungen und somit vor psychischen Erkrankungen schützen.
Der Druck steigt und in Folge nehmen psychische Erkrankungen stetig zu. Bei Frauen sind diese inzwischen der wichtigste Grund für eine Invaliditätspension. Der/die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu sorgen. Der Gesetzestext dazu ist geschlechtsneutral formuliert. Eine geschlechtergerechte Beurteilung von Gefährdungen ist aber unbedingt erforderlich.
Die Zahlen sprechen deutliche Sprache
Der Arbeitsgesundheitsmonitor der AK OÖ und IFES unterstreicht den Zusammenhang von zu hoher Arbeitsbelastung und deren Folgen. 38 % der Arbeitnehmerinnen klagen über Einschlaf- oder Durchschlafprobleme, 24 % von ihnen führen dies auf die Arbeitsbedingungen zurück. 56 % klagen über Kopfschmerzen und Migräne und jede Vierte sieht den Grund dafür im Job. Zum gleichen Ergebnis kommt eine Studie der deutschen Technikerkrankenkasse 2013 unter dem Titel „Bleib locker, Deutschland!“. 38 % der Frauen leiden unter Schlafstörungen, 26 % der Männer. 35 % der Frauen klagen über Erschöpfung und Ausgebrannt sein, hingegen nur 21 % der Männer. Es wäre absolut verkürzt, das Aufkommen von körperlichen und psychischen Beschwerden ausschließlich auf die Arbeitswelt zurückzuführen. Frauen sind außerdem deutlich öfter von Mehrfachbelastung, schwierigen Rahmenbedingungen und Diskriminierung betroffen – mit geschilderten Folgen. Nichts desto trotz zeigen aber zahlreiche Studien, dass die Belastungen im Job ganz relevant sind für die Gesundheit des Einzelnen und daher ganz relevantes Feld für Prävention.
Evaluierung psychischer Belastungen hilfreich
Seit Inkrafttreten der Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes am 1.1.2013 besteht nun eine explizite Verpflichtung für Betriebe, psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu evaluieren. Ziel dabei ist es nicht, individuell festzustellen, wer besonders viel aushält oder wie man ArbeitnehmerInnen „stressresistent“ macht. Ziel ist vielmehr, Fehlbelastungen zu identifizieren, diese zukünftig möglichst zu vermeiden bzw. zu minimieren oder für den richtigen und schonenden Umgang mit unvermeidbaren Gefahren zu sensibilisieren, anzuleiten und zu schulen.
Frauen mitdenken und einbeziehen
Bei der Evaluierung muss die Anwendung von vermeintlich objektiven Erhebungsmethoden immer kritisch betrachtet werden, ebenso die Gestaltung des Prozesses. Schon zu Beginn ist auf eine ausreichende Beteiligung von Frauen zu achten, ob Prozessverantwortliche über Genderkompetenz verfügen und wie die Machtverhältnisse aussehen. Am Ende des Prozesses müssen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesetzt werden. Mitbestimmungsrechte von Frauen im Prozess spielen eine relevante Rolle, wenn entschieden wird, welche Umsetzungen prioritär behandelt werden bzw. wofür ausreichend Geld da sein wird. Ebenso wichtig ist die Zieldefinition. So wird es entscheidend sein, ob gezielt diskriminierende und damit psychisch belastende Struktur erkannt und behoben werden sollen oder ob dies nur zufälliges Nebenprodukt sein könnte.
Rollenbilder hinterfragen
Gut zu überlegen ist auch, mit welcher Sprache, mit welchen Bildern, der Prozess eingeleitet und begleitet wird. Besonders zu beachten sind Geschlechterrollenbilder, die eventuelle Belastungen unterbewerten oder übersehen. Dies gilt natürlich für beide Geschlechter. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, Tabuthemen anzusprechen. Zu schnell werden Gegebenheiten als „normal“ und „typisch Frau“ bzw. „typisch Mann“ akzeptiert und daher Belastungen nicht erkannt. So kann zB das ständige Nachdenken über das eigene Erscheinungsbild im Verkauf oder anderen kontaktintensiven Berufen stressen und auch Ängste auslösen. Der tägliche Kontakt ist hier natürlich nicht vermeidbar, aber bestimmte Faktoren können dabei als besonders verstärkend empfunden werden (besondere Kleidungsvorschriften, Kommentare von KundInnen, denen niemand Grenzen setzt etc.). Erhebungen des Arbeitsklima Index der AK OÖ und IFES zeigen, dass Frauen deutlich mehr belastet sind durch Parteienverkehr und KundInnenkontakt – ein Faktum, das gerne unterschätzt wird. Ein breiteres Beratungspult, damit ein gewisser Abstand zum/zur KundIn gewährleistet ist, Anpassung der Kleidungsvorschriften, transparente Regeln zur Zurückweisung von respektlosen Wortmeldungen oder Handlungen und Führungskräfte, die dabei unterstützend mitwirken, sind mögliche Maßnahmen, die daraus entstehen können.