Der „Kurier“ titelt: „China-E-Autos für Behörden“. Der „Standard“ fragt: „Muss der Staat chinesische E-Autos kaufen?“ Der Hintergrund der allgemeinen Empörung ist eine öffentliche Beschaffung. Die Staatsnähe chinesischer Autoproduzenten legt die Vermutung nahe, dass sie mit Dumpingpreisen in den europäischen Markt einsteigen und an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen. Kosten wie Umweltbelastung werden externalisiert, während europäische Standards für Sozial- und Arbeitsrecht in der Produktion unberücksichtigt bleiben.
Auslöser für die Aufregung war die Bekanntgabe der Bundesbeschaffungs GmbH, die Vergabeverfahren für die öffentliche Hand durchführt, dass eine Rahmenvereinbarung für Elektro- und Hybridfahrzeuge mit mehreren Importeuren abgeschlossen worden sei, unter anderem mit der CCI Car Austria GmbH, die Autos des chinesischen Herstellers BYD vertreibt. Das bedeutet, dass öffentliche Auftraggeber und Behörden die Fahrzeuge dieser Unternehmen zu in der Rahmenvereinbarung festgelegten Preisen und Konditionen abrufen können. Die Befürchtung unter anderen der Industriegewerkschaft PRO-GE ist, dass die Beschaffung außerhalb Europas den europäischen und den österreichischen Auto- und Kfz-Zuliefermarkt auf lange Sicht zerstört.
Um aber die Frage nach der wirtschaftspolitischen Sinnhaftigkeit und in weiterer Folge der Zulässigkeit von Konditionalitäten im Vergaberecht, wie beispielsweise die Anforderung nach einem bestimmten Prozentsatz europäischen Mehrwerts oder nach Einhaltung von sozialen, arbeitsrechtlichen und ökologischen Standards, zu beantworten, muss ein bisschen weiter ausgeholt werden.
Wie wichtig ist die öffentliche Beschaffung?
Jedes Jahr geben die Behörden in der EU rund 14 Prozent des BIP für öffentliche Aufträge aus. Dies entspricht mehr als 2 Billionen Euro. In Österreich beläuft sich das durchschnittliche Volumen auf 67 Mrd. Euro pro Jahr und macht damit ca. 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die staatliche Beschaffung ist also eine wichtige Quelle der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage – und hat Vorbildfunktion.
Deshalb gehen die Anforderungen an den öffentlichen Auftraggeber mittlerweile weiter: Ein reiner Preisvergleich ist zu wenig. Einerseits hat er die gesamte Lieferkette und die dort herrschenden Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. Andererseits sollen die österreichischen Steuerzahler:innen nicht zu tief in die Tasche greifen müssen.
Dem nicht genug, sollte tunlichst Korruption verhindert werden durch Effizienz und Transparenz. Das sollte zu erreichen sein, indem man möglichst viele Anbieter:innen in den Kreis der potenziellen Bieter:innen einbezieht. Im Idealfall werden dadurch nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Beschäftigung mit guten Arbeitsbedingungen befördert.
In der Realität sieht die öffentliche Auftragsvergabe anders aus
Der jüngste Sonderbericht des EU-Rechnungshofes, der die Entwicklung der Vergabeverfahren der letzten zehn Jahre nach der Reform des EU-Vergaberechtes analysiert, stellt fest: In den letzten Jahren ist der Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge deutlich zurückgegangen. In den meisten Mitgliedstaaten setzen die öffentlichen Auftraggeber:innen die strategische Vergabe nur sehr begrenzt ein.
Der EU-Rechnungshof kommt zu dem Schluss, dass die drei EU-Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe von 2014 seit ihrem Inkrafttreten keine nachweisbare Wirkung entfaltet haben. Im Gegenteil: Bieter:innen und öffentliche Auftraggeber:innen sind der Ansicht, dass der Anteil von Klein- und Mittelunternehmen, die sich an den Ausschreibungen beteiligen, nicht wesentlich gestiegen ist und strategische Aspekte (z. B. ökologischer, sozialer oder innovativer Art) bei öffentlichen Ausschreibungen selten berücksichtigt werden. Die meisten Aufträge werden nach wie vor an die Bieter:innen vergeben, die das günstigste Angebot einreichten.
Dies scheint auch – neben technischen Kriterien – der wesentliche Aspekt für die Zuschlagserteilung an den chinesischen Anbieter gewesen zu sein. Das Problem dabei ist, dass es sich bei BYD um ein staatsnahes Unternehmen handelt. Die Vermutung liegt nahe, dass erst beträchtliche Subventionen das billige Angebot ermöglicht haben. Die chinesischen Arbeitsbedingungen und die Entlohnung der Beschäftigten sowie Umweltschutzstandards stehen nun in direkter Konkurrenz zu denjenigen der Europäischen Union. Auf lange Sicht ist zu befürchten, dass durch diesen Wettbewerb der Subventionen und verschiedenen Standards die europäische Autoindustrie aus dem Markt gedrängt wird.
Aber schon jetzt stellt sich die Frage, was passiert, wenn eines der chinesischen E-Autos eine Reparatur benötigt? Wie schnell kann man mit einer solchen im Hinblick auf Ersatzteile und prekäre Lieferproblematik dann rechnen?
Schließlich gibt es gerade bei Fahrzeugen für Institutionen wie Feuerwehr, Polizei und Rettung sicherheitspolitische Aspekte mitzuberücksichtigen. Denn die inzwischen hochtechnologisch ausgerüsteten Fahrzeuge ermöglichen es, nicht nur Daten von Kund:innen und Nutzer:innen zu sammeln, sondern auch ihre Umleitung oder gar Lahmlegung.
Hätte die Bundesbeschaffungs GmbH mehr Qualitätskriterien einfordern können?
Fest steht, dass öffentliche Auftraggeber nach dem EU-Vergaberecht schon jetzt ermutigt werden, Vergabekriterien zu wählen, mit denen sie qualitätsvolle Bauaufträge, Lieferungen und Dienstleistungen erwerben oder beziehen können, einschließlich sozialer und betrieblicher Aspekte der Organisation, Qualifikation und Erfahrung des für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Personals. Die Ausführungsbedingungen von Aufträgen können insbesondere mit sozialen Überlegungen und Zielen in Verbindung stehen, ohne dass diese selbst Gegenstand des Auftrags sind (u. a. EU-Vergaberichtlinie, ErwGr 94).
Wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion des Vergaberechts
Der öffentliche Auftraggeber kann seitenlange Leistungsbeschreibungen und -anforderungen in seine Ausschreibungen aufnehmen. Die Bieter:innen können auch viel versprechen. Wie dann die konkrete Auftragsausführung erfolgt, steht meist auf einem anderen Blatt.
Ob die versprochenen Goodies wie Lehrlingsausbildung, Frauenquote oder Umweltschutz tatsächlich umgesetzt werden, bedarf einer lückenlosen Kontrolle durch die Auftraggeber. Dabei besteht derzeit großer Raum für Verbesserung. Ein zu großer Strauß an komplexen Qualitätsmerkmalen kann zu Intransparenz führen: Der Auftrag kann auf diese Weise auf nur eine:n Bieter:in zugeschnitten werden. Hier liegt daher auch die Grenze des Vergaberechts als Instrument der Sozialgesetzgebung.
Fest steht, dass die Verringerung der Zahl an Bieter:innen eine erhöhte Dominanz von großen Playern und global agierenden (Staats-)Konzernen auf Ausschreibungsmärkten bedeutet.
Hier nähern wir uns der Ausgangsfrage nach dem Zuschlag für chinesische Autos. Wie können wir also unsere Wirtschaft fördern und damit Arbeitsplätze sichern und gleichzeitig sicherstellen, dass unsere Sozialgesetzgebung und Mindestlöhne nicht unterlaufen werden?
Die EU hat laut Pressemeldungen Ermittlungen gegen chinesische E-Auto-Produzenten wegen möglicher ungerechtfertigter staatlicher Subventionen aufgenommen. Die im Oktober eingeleitete Untersuchung ist auf 13 Monate angesetzt. Mit Besuchen vor Ort soll geprüft werden, ob E-Auto-Produzenten in China unzulässig von staatlichen Subventionen profitieren. Die EU-Wettbewerbshüter ziehen mögliche Strafzölle zum Schutz der europäischen Hersteller in Betracht.
Denn die Europäische Wettbewerbspolitik erfuhr eine wesentliche Neuausrichtung als Antwort auf die Expansionsbestrebungen Chinas und den Inflation Reduction Act der USA, der eine massive Subventionierung nationaler Unternehmen vorsieht. Die offene Handelspolitik der EU wurde vom Bekenntnis zur offenen strategischen Autonomie abgelöst, um die als unfair und wettbewerbsverzerrend empfundenen Beihilfen aus China und den USA zu kontrollieren. Seit 12.7.2023 ist die sogenannte „Foreign Subsidies Verordnung“ (DSVO) in Kraft, die die Prüfung wettbewerbsverzerrender ausländischer Subventionen vorsieht. In der Verordnung wird ausdrücklich die Zielsetzung festgehalten, dass nicht subventionierte Unternehmen bei der öffentlichen Beschaffung keinen Nachteil erleiden sollen, weil sie bei Dumpingpreisen nicht mithalten können. Ab bestimmten Schwellenwerten müssen Bieter:innen im öffentlichen Vergabeverfahren dem Auftraggeber die drittstaatlichen Zuwendungen melden. Dies ist der Fall, wenn Bieter:innen in den letzten drei Jahren Subventionen von mindestens 4 Mio. Euro pro Jahr erhalten haben. Bis zur Freigabe durch die EU-Kommission darf dann keine Zuschlagserteilung erfolgen.
Somit ist die strategische Vergabe von Aufträgen und die Wahrung des fairen Wettbewerbs ein wesentliches wirtschaftspolitisches Instrument der Europäischen Union, das auch die öffentlichen Auftraggeber der EU-Mitgliedstaaten zu beachten haben.
Das Vergaberecht praktisch nutzen
Es ist also an der Zeit, die Klaviatur des Vergaberechts zu nutzen. Es geht um Zielkonflikte und technologische Entwicklungen, die Fakt sind. Die politisch entscheidende Frage ist: Will man maximal (energie)effiziente Technologien und Geräte und das zum niedrigsten Preis, dann wird man diese teilweise aus China beschaffen; oder ist man vielmehr bestrebt, entsprechende Produktionsanlagen vor Ort bzw. in der EU anzusiedeln, was mit Wertschöpfung und Beschäftigung sowie Technologieförderung vor Ort einhergeht.
Öffentliche Auftraggeber haben aus Sicht der AK auf Basis der EU-Gesetzgebung die Verpflichtung, weit über das Kriterium des günstigsten Preises hinaus Sozialstandards im Sinne der Arbeitnehmer:innen zu schützen und Qualitätskriterien bei der Erfüllung öffentlicher Aufträge vorzusehen. Dazu gehören Transparenz bei den Lieferketten, Einhaltung von Menschenrechten und Kriterien wie Ökologie, Soziales, gute Unternehmensführung, Mindestlöhne und deren Überzahlung, Arbeitszeitgrenzen bei einem 8-Stunden-Tag. Diese Kriterien allein würden vermutlich ausreichen, um einen fairen Wettbewerb zwischen chinesischen und europäischen Bieter:innen im europäischen Binnenmarkt herzustellen.
Ein weiterer wichtiger Schritt in diesem Gefüge ist die verstärkte und ernsthafte Überprüfung der Einhaltung der Qualitätskriterien, um Missbrauch effektiv hintanzuhalten.