Die Direktvergabe von Kleinaufträgen durch die öffentliche Hand, also durch Städte, Gemeinden und öffentliche Unternehmen, ist eine Möglichkeit, die regionale Wirtschaft zu fördern und gute Arbeit zu schaffen. Die schnelle Abrufbarkeit von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge sowie die Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks sind weitere Elemente, die für eine Regionalisierung von Kleinaufträgen sprechen. Dafür bedarf es aber einer Verstetigung und Valorisierung der zulässigen Höchstwerte – jener Schwellen, bis zu denen eine Direktvergabe öffentlicher Aufträge erlaubt ist.
Ende der Schwellenwerteverordnung
Das Ende der Schwellenwerteverordnung könnte die Daseinsvorsorge in der Zukunft sonst so aussehen lassen: Der Kindergarten in der 3.000-Seelen-Gemeinde, wahlweise auch das Feuerwehrhaus, benötigen ein neues Dach. Bis Juni 2023 eine unkomplizierte Angelegenheit. Es werden die Firmen in der näheren Umgebung gebeten, Angebote zu legen. Diese werden nach Preis, Schnelligkeit, Service etc. sortiert und zeitnah haben die Kinder, aber auch die Feuerwehrleute wieder trockene Füße.
Was aber werden sie ab Juli machen? Die sogenannte Schwellenwerteverordnung für die Vergabe öffentlicher Aufträge endet zu diesem Zeitpunkt. Sie soll der öffentlichen Hand, wie Städten und Gemeinden, aber auch ihren Unternehmen ermöglichen, unbürokratisch kleine Aufträge zu vergeben, ohne sich mit den schwierigen Verfahrensvorschriften des europäischen und nationalen Vergaberechts auseinanderzusetzen. Unterhalb der Schwellen von 100.000 Euro bei Dienstleistungen sowie 1 Mio. Euro bei Bauaufträgen ist eine freihändige Vergabe zulässig. So legt es die Schwellenwerteverordnung fest, die noch bis zum 30. Juni 2023 in Geltung ist.
Wobei das Wort „freihändig“ in dem Zusammenhang irreführend ist. Denn auch hierbei sind die Kriterien des europäischen Rechts, nämlich die Prüfung der Zuverlässigkeit, sowie die Einhaltung der Grundsätze von Transparenz und Nicht-Diskriminierung einzuhalten. Das Ende der Schwellenwerteverordnung würde bedeuten, dass alle Aufträge – und seien sie noch so unbedeutend – EU-weit ausgeschrieben werden müssten. Auch bei Bedarf von Radiergummis und Kopierpapier wäre dies ab Juli 2023 unumgänglich! Für kleine Gemeinden eine wahre Odyssee durch den Dschungel des Vergaberechts.
Warum tritt die AK für eine freie Vergabe bei Kleinaufträgen ein?
Grundidee des Vergaberechts ist es, die öffentliche Beschaffung transparent und diskriminierungsfrei zu organisieren, damit möglichst viele Bieter:innen im fairen Wettbewerb an dem großen Beschaffungsmarkt teilnehmen können. Dennoch stellt sich die Frage, ob es für die öffentliche Hand, somit für die Steuerzahler:innen, zwingend das Beste ist, bei jedem noch so kleinen Auftrag ein Vergabeverfahren mit EU-weiter Beteiligung durchführen zu müssen. Aber auch das Ziel der nachhaltigen Beschaffung als Beitrag zur ökologischen Transformation der Wirtschaft wird bei einer EU-weiten Ausschreibung von Kleinaufträgen im Hinblick auf die damit verbundenen Transportwege konterkariert. Dies zeigt das Beispiel des grenzüberschreitenden Biomüll-Tourismus zwischen Vorarlberg und Baden-Württemberg, bei dem 155 Tonnen CO2 mit über 2.000 sich überkreuzenden Entsorgungsfahrten entstehen (extra 3: Realer Irrsinn: Internationaler Biomüll-Tourismus | ARD Mediathek).
Das ist Wettbewerb als Selbstzweck und läuft den Nachhaltigkeitszielen zuwider. Öffentliche Beschaffung hat Vorbildcharakter, für sie muss vor allem die Qualität des Angebots entscheidend sein. In Österreich legt der Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung (Nabe) Qualitätskriterien fest. Neben ökologischen Kriterien werden Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und gerechte Entlohnung genannt, die durch Sicherstellung fairen Wettbewerbs sowie Verhinderung von Dumpingpreisen erreicht werden sollen. Gerade kleine öffentliche Aufträge sind ein Investitionsmotor für die regionale Wirtschaft, der in der heutigen Krisenzeit angekurbelt werden muss. Gleichzeitig kann häufig ein positiver ökologischer Fußabdruck erreicht werden.
Die Studie der Unternehmensberatung EFS Consulting bestätigt, dass hier noch einiges neu aufzustellen ist: 80 Prozent des öffentlichen Auftragsvolumens ergingen an nur zehn Auftragnehmer. Nicht überraschend beklagen die Studienautoren, dass damit die Klein- und Mittelbetriebe unter die Räder kommen. Sie sind de facto von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, was nicht nur den Zielen des Nabe-Aktionsplans, sondern auch dem erklärten Fokus des Vergaberechts, nämlich fairem Wettbewerb zwischen den Bietern, zuwiderläuft. Daran schließt sich die Vermutung, dass sich eine derartige Verengung des Bietermarktes negativ auf die Staatsausgaben auswirkt – in Form von überhöhten Preisen.
Der EU-Binnenmarkt: kein Hinderungsgrund
Es wird immer wieder vorgebracht, dass die europaweite oder gar globale Ausschreibung eines öffentlichen Auftrages zwingend notwendig sei, damit die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nicht beschränkt wird. Zwei Grundsätze im Verfassungsrang des europäischen Rechts. Doch auch das europäische Recht verlangt eine Abwägung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten mit den öffentlichen Interessen. Das sind u. a. Umweltschutz, Artenvielfalt und Reduktion des CO2-Ausstoßes. Die Vergabe von Kleinaufträgen an regionale Unternehmen ist unter diesen Aspekten gerechtfertigt und geeigneter zur Zielerreichung als eine EU-weite Ausschreibung.
Ähnliche Überlegungen liegen auch dem sogenannten Government Procurement Agreement zugrunde. Es legt fest, ab wann grenzüberschreitender Wettbewerb Sinn macht. Die dort enthaltenen Schwellen (200.000 bis 5 Mio. Euro) werden von praktisch allen EU-Mitgliedstaaten genutzt, um in der einen oder anderen Form Kleinvergaben ohne bürokratischen Aufwand zu ermöglichen. Denn: In der Praxis profitieren insbesondere regional orientierte Klein- und Mittelbetriebe. Sie werden für kleinere Aufträge direkt zur Anbotslegung eingeladen, ohne sich zuvor an einem komplexen (EU-weiten) Vergabeverfahren beteiligen zu müssen. Sie führen die Aufträge selbst aus, ohne sich einer Vielzahl von Subunternehmen, die ihrerseits ihre vereinbarte Leistung durch weitere Subunternehmen erfüllen lassen, zu bedienen. Durch solche Sub-Sub-Sub-Unternehmensketten entstehen kaum nachvollziehbare Haftungsverhältnisse. Am Ende bleiben oft Menschen auf der Strecke, die für ihre mehrmonatige Arbeit nicht mehr als ein kleines Taschengeld erhalten. Die AK, an die sich die gelackmeierten Beschäftigten wenden, muss dann in detektivischer Kleinarbeit feststellen, welches Unternehmen den Arbeitgeber beauftragt hat, danach wiederum wer dieses beauftragt hat und so fort.
Systemreform für fairen Wettbewerb
Nun läuft die Schwellenwerteverordnung mit 30. Juni 2023 aus und das zuständige Bundesministerium lässt durchblicken, dass keine Verlängerung geplant ist. Das ist ein Rückschlag für die Planungs- und Rechtssicherheit, vor allem für die Aufrechterhaltung der städtischen und kommunalen Daseinsvorsorge. Denn durch die periodenhafte Geltung wird eine langfristige Sicherung von solchen Leistungen sowie die rasche Verfügbarkeit bei Notfällen verunmöglicht. Statt der Förderung von guter Arbeit im ländlichen Raum wird eine „Hire and Fire“-Mentalität befeuert.
Um dem entgegenzutreten, muss die Schwellenwerteverordnung aus Sicht der AK verstetigt und valorisiert werden – also eine Anhebung der Schwellen auf 150.000 Euro für Dienstleistungen und 1,5 Mio. Euro für Bauaufträge. Denn die derzeitigen Werte sind seit 2009 gleich geblieben, während Österreich mit fast 11 Prozent nach wie vor die höchste Inflation der Eurozone aufweist. Die letzten Jahre zeigten, dass die mit der Anhebung der Schwellenwerte einhergehenden Erleichterungen bei der Durchführung von Vergabeverfahren wesentlich zur Konjunkturstärkung und Arbeitsplatzsicherung beitrugen. Durch Regionalität und Abrufbarkeit von Leistungen kann im Gegensatz zu europaweiter Ausschreibung eine negative Umweltbilanz vermieden werden.
Gleichzeitig wird gute Arbeit gefördert, da Subunternehmensketten die Ausnahme bilden. Unsinnige Ergebnisse, wie Überwälzung der Entlohnung auf die Steuerzahler:innen oder schwarzer Umweltfußabdruck, können durch das vorgeschlagene Drehen an einer einfachen Stellschraube vermieden werden.