Sinn und Unsinn der öffentlichen Auftragsvergabe

27. März 2023

Jedes Jahr geben die Behörden in der EU rund 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für öffentliche Aufträge aus. Dies entspricht mehr als 1,9 Billionen Euro. In Österreich beläuft sich das durchschnittliche Volumen auf 67 Mrd. Euro pro Jahr und macht damit ca. 18 Prozent des österreichischen BIP aus. Die staatliche Beschaffung ist also eine wichtige Quelle der Nachfrage, insbesondere in Krisenzeiten. Da Steuergelder der Bürger:innen zum Einsatz kommen, muss die Mittelverwendung einerseits effizient und transparent erfolgen, andererseits hat der Staat eine  Vorbildrolle. Dies ist nur möglich, wenn entsprechende Kontroll- und Haftungsmechanismen bestehen: Also fairer Wettbewerb bei den Bieter:innen statt Lohndumping und Subunternehmensketten. Eine kurze Bestandsaufnahme zeigt: Es gibt Handlungsbedarf.

Es geht nicht nur um den Preis

Grundidee des Vergaberechts ist es, die öffentliche Beschaffung transparent und diskriminierungsfrei zu organisieren, damit möglichst viele Bieter:innen im fairen Wettbewerb an dem großen Beschaffungsmarkt teilnehmen können. Deshalb muss gerade die öffentliche Beschaffung die Nachhaltigkeitsziele ins Zentrum der Politik stellen, und zwar nicht nur bezogen auf Klima- und Umweltschutz. Vor allem muss sie sowohl für Nachhaltigkeit als auch für menschenwürdige Arbeitsbedingungen sorgen, also Sicherung von Gesundheit und faire Entlohnung.Dabei kann nicht allein der Angebotspreis, sondern muss vor allem die Qualität des Angebots entscheidend sein. In Österreich legt der Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung (Nabe) Qualitätskriterien fest. Neben ökologischen Kriterien werden Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und gerechte Entlohnung genannt, die durch Sicherstellung fairen Wettbewerbs sowie Verhinderung von Dumpingpreisen erreicht werden sollen.

Realitäts-Check

Die Unternehmensberatung EFS Consulting veröffentlichte eine Studie, die feststellt, dass 80 Prozent der von der öffentlichen Hand vergebenen Aufträge an nur zehn Auftragnehmer:innen ergangen sind. Die genannten Unternehmen sind keine unbekannten: An prominentester Stelle stehen die ÖBB mit einem Gesamtauftragsvolumen von 12,6 Milliarden Euro für 2020 bis 2022. Aber auch der Baukonzern Strabag zählt zum engeren Kreis. Nicht überraschend beklagen die Studienautoren, dass damit die Klein- und Mittelbetriebe unter die Räder kommen. Sie sind de facto von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, wodurch eines der Ziele des Vergaberechts, nämlich fairer Wettbewerb zwischen den Bieter:innen, konterkariert wird. Daran schließt sich die Vermutung, dass sich eine derartige Verengung des Bieter:innenmarktes negativ auf die Staatsausgaben auswirkt. Die Detailverliebtheit der europäischen Gesetzgebung – immerhin umfassen die EU-Vergaberichtlinien mehr als 300 Seiten – sowie der nationalen Gesetzgebung mit 382 Paragrafen verfehlt also die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, das Vergaberecht wird zur Geheimwissenschaft. Das ist aber nicht das einzige Problem.

Betroffenheit der Beschäftigten

Wir in der AK Wien werden mit der Vergabethematik immer dann konfrontiert, wenn Beschäftigte bei uns vorsprechen, deren Arbeitgeber den Lohn nicht bezahlen. Meist betrifft das die Baubranche, aber auch das Reinigungsgewerbe ist ein typischer Kandidat. Anhand der Adressen der Baustellen, auf denen die Arbeitnehmer:innen beschäftigt waren, lässt sich feststellen, ob hier eine öffentliche Auftragsvergabe am Beginn der Misere steht. Große Schilder auf den Baustellen verraten den Beschäftigten meist, wer als Generalunternehmen mit der Errichtung der Baustelle von der öffentlichen Hand beauftragt worden ist. Häufig sind es große Baukonzerne. Das verwundert nicht, laut Studie der EFS Consulting lukrierte beispielsweise die Strabag zwischen 2020 und 2022 1,3 Milliarden Euro bei öffentlichen Ausschreibungen. Doch Arbeitgeber der Beschäftigten ist selten ein großer Baukonzern. Vielmehr handelt sich um Firmen mit klingenden Namen wie „ABC Bau“ wahlweise auch „CDE Bau“.

Denn die Beschäftigten sind bei sogenannten Subunternehmen angestellt. Das Vergaberecht, das an sich sehr strenge Anforderungen an die Ausschreibung öffentlicher Aufträge stellt, ist im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Anbieter:innen sehr liberal. Flapsig formuliert ist der Hintergrund dieses liberalen Zugangs des Vergaberechts, dass von keinem Unternehmen, sei es noch so groß, erwartet werden könne, dass es alle ausgeschriebenen Leistungen selbst erbringen kann. Aus diesem Grund erlaubt das Vergaberecht den Auftragnehmer:innen, dass sie sich zur Leistungserbringung einer nicht beschränkten Anzahl von Subunternehmen bedienen dürfen. Eine Beschränkung, so heißt es, würde den Wettbewerb verzerren. Durch diese Möglichkeit zur Leistungserbringung durch große Baukonzerne würde auch für Beschäftigung andernorts gesorgt. Damit kommen KMU, also kleine und mittlere Unternehmen, ins Spiel.

Fast ein Schneeballsystem

Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Das Problem fängt damit an, dass die von großen „Bauherren“ beauftragten Firmen ihrerseits Aufträge auslagern. Wir sprechen dann von Subsubunternehmen. Schlimm wird es allerdings, wenn auch diese Firmen Leistungen vergeben, also an Subsubsubunternehmen. Die Kette ist nach unten unbegrenzt. Fest steht leider, dass die in Rede stehenden Arbeitnehmer:innen, die sich zu ihrer Interessenvertretung bemühen müssen, um ihre offenen Löhne einzufordern, meist bei Arbeitgebern beschäftigt sind, die ziemlich weit unten in der Kette der Subunternehmen rangieren. Diese Kette wird oft mit dem Zweck gegründet, das Angebot des anbietenden Generalunternehmens möglichst billig zu gestalten. Eine korrekte bzw. faire Bezahlung der arbeitenden Beschäftigten ist daher von vornherein nicht einkalkuliert. Das Konstrukt ist folglich von Beginn an dafür geschaffen, billig im Karussell der öffentlichen Vergabe mitbieten zu können. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Kalkulation der einzelnen Akteure vom kleinsten Subunternehmen bis zum Generalunternehmen darauf aufbaut, dass diejenigen, die hart arbeiten, nicht von den Auftragnehmer:innen, sondern von der Öffentlichkeit bezahlt werden. Warum?

Niedriger Preis – Sozialisierung der Löhne

Die AK Wien, zu der die gelackmeierten Beschäftigten in ihrer Not kommen, fordert bei deren Arbeitgebern die offenen Löhne und Gehälter ein. Sie muss allerdings sehr oft feststellen, dass dieses Glied der Kette entweder das Land verlassen hat oder zahlungsunfähig ist. Das österreichische Rechtssystem hat für diesen Fall vorgesorgt: Die Insolvenz-Entgelt-Service GmbH, finanziert aus den Zuschlägen zur Arbeitslosenversicherung, springt ein und bezahlt die offenen Forderungen.

Das Vergaberecht, das ursprünglich dafür geschaffen wurde, den Wettbewerb zu fördern, ist nun mit der Zeit derart komplex geworden, dass die strengen Anforderungen nur mehr sehr wenige große Unternehmen – die Studie spricht von zehn – erfüllen können. Aber auch diese wenigen sind nur in der Lage, die ausgeschriebenen Leistungen anzubieten, wenn sie einen Großteil auslagern. Das führt zum Gegenteil der ursprünglichen Idee (z. B. auch KMUs eine Chance zu geben), nämlich vielmehr zu einer Konzentration der Bieter:innen, also zu einer Verengung des Kreises der Anbieter:innen, wie die EFS-Studie zeigt.

Eine Konzentration auf einige wenige birgt die Gefahr, dass diese wenigen das System ausnützen können. Es liegt der Verdacht nahe, dass die öffentliche Hand, somit die Steuerzahler:innen, aufgrund des eingeschränkten Wettbewerbs zu viel bezahlt, mit dem Geld aber nicht einmal zumindest die Beschäftigten entlohnt werden, weil es auf dem Weg in der Kette der Subunternehmen versandet bzw. faire Löhne gar nicht einkalkuliert werden.

Systemreform für fairen Wettbewerb

Aus Sicht der AK Wien wird es Zeit, dieses System zu überdenken und strenge Regeln dort aufzustellen, wo eine unkontrollierte Weitergabe der Aufträge stattfindet. Die Aufträge müssen so ausgeschrieben werden, dass Firmen die Kriterien erfüllen können, ohne diese in die vierte und fünfte Kette an Subunternehmen vergeben zu müssen. Das Vergaberecht bietet den Unternehmen schon jetzt die Möglichkeit, sich zu Bieter:innengemeinschaften zusammenzuschließen. Statt dieser Option werden lieber lange Subunternehmensketten in Kauf genommen, und auf Kontrolle wird verzichtet.

Gleichzeitig ist es erforderlich, dass die öffentliche Hand auch nach erfolgter Vergabe ein Auge auf die den Auftrag ausführenden Unternehmen hat. Darunter ist die Forderung zu verstehen, dass die öffentlichen Auftraggeber ihre Baustellen überprüfen: Welche Firma ist an welchem Ort tatsächlich tätig, wurde sie im Rahmen der Ausschreibung benannt bzw. ihre Leistungsfähigkeit überprüft? Außerdem muss die Weitergabe an Subunternehmen ausdrücklich vom Auftraggeber bzw. der Auftraggeberin genehmigt werden, anstatt eine Zustimmungsfiktion zuzulassen, wie es im Moment der Fall ist.

Schließlich ist die Schwellenwerte-Verordnung eine gute Lösung, um KMUs unbürokratisch mit Kleingewerken zu beauftragen und damit den CO2-Fußabdruck zu verbessern, wie es der erwähnte Nabe-Aktionsplan vorsieht. Durch Regionalität und Abrufbarkeit von Leistungen kann im Gegensatz zu europaweiter Ausschreibung (siehe beispielsweise den Fall des grenzüberschreitenden Biomüll-Tourismus zwischen Vorarlberg und Baden-Württemberg, bei dem 155 Tonnen CO2 mit über 2.000 sich überkreuzenden Entsorgungsfahrten entstehen) eine negative Umweltbilanz vermieden werden.

Solche unsinnigen Ergebnisse, wie Überwälzung der Entlohnung auf die Steuerzahler:innen oder schwarzer Umweltfußabdruck, können durch das vorgeschlagene Drehen an einfachen Stellschrauben vermieden werden.

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