Der Erwerb kritischer Infrastruktur, wie Schienen, Straßen, Krankenhäuser, Energie- und Wasserversorgung durch ausländische Investoren – etwa des griechischen Hafens von Piräus durch die chinesische Rederei COSCO – wurde in der Vergangenheit stark kritisiert. Es wird ein Ausverkauf des staatlichen „Familiensilbers“ und eine Verschlechterung der Daseinsvorsorge befürchtet. Während wirtschaftliche Aktivitäten dieser Art von Drittstaaten in der EU bereits länger kritisch in der Öffentlichkeit diskutiert werden, wurde der Verkauf von bedeutenden Industrie- und Technologieunternehmen an außereuropäische Investoren erst kürzlich zu einem breit diskutierten Thema.
Kritische Infrastruktur und strategisch wichtige Unternehmen
So hat der amerikanische Klimaanlagenkonzern Carrier Global den Wärmepumpensektor der deutschen Firma Viessmann übernommen – ein Unternehmen, dem bei der Energie- und Wärmewende eine große Bedeutung zukommt. Nun stellt sich die Frage, ob die Übernahme von strategisch wichtigen Unternehmen (und dem damit verbundenen Know-How für die sozial-ökologische Transformation) durch außereuropäische Investoren, mit einer aktiven Industriepolitik im Sinne der Arbeitnehmer:innen vereinbar ist.
„Kritisch“ ist Infrastruktur, wenn sie entweder Teile der Daseinsvorsorge (Wohnen, Wasser, Energie etc.) abdeckt oder für die Gewährleistung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens (Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung etc.) eine wichtige Rolle spielt. Daneben kommt Unternehmen, die volkswirtschaftlich relevante oder innovative Technologien und Produkte erzeugen, eine große strategische Bedeutung zu. Darunter fallen insbesondere solche Technologien und Produkte, die für die ökologische Transformation zentral sind. Der Net-Zero Industry Act der EU benennt die Bereiche Batterien, Photovoltaik, Windkraft, Wärmepumpen, Wasserstoff, erneuerbare Gase, CO2-Abscheidungs- und Speichertechnologien sowie Netzinfrastrukturtechnik als strategisch besonders relevant. Deshalb sollen nach dieser Verordnung jedenfalls 40 Prozent des europäischen Bedarfs an grünen bzw. sauberen Technologien und Produkten in der EU selbst produziert werden. Dazu zählen aus österreichischer Perspektive u.a. Unternehmen wie der Stahlkonzern Voestalpine, der Heizungshersteller Windhager oder der deutsche Halbleiterhersteller Infineon Technologies mit den Standorten in Österreich – wie z. B. in Villach/Kärnten.
Die Nachfrage nach den Produkten dieser strategisch wichtigen Unternehmen wird im Zuge der Digitalisierung und Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft weiter ansteigen. Der globale Wettstreit um die Vorherrschaft bei solchen Schlüsseltechnologien ist bereits in vollem Gange. Die Etablierung von Eigentum an solchen strategisch wichtigen Unternehmen ist das Ziel dieses Konkurrenzkampfes. Denn (private oder staatliche) Kontrolle von Forschungs- und Produktionskapazitäten sowie der Marktparameter – Angebot und Nachfrage, Schlüsseltechnologien und Know-how, Daten und Rechenpower – übersetzt sich in politökonomische Macht. John Kenneth Galbraith spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Technostruktur“, die Märkte und Wettbewerb nach und nach ersetzt.
Kritische und strategische Abhängigkeiten
Der Aufstieg Chinas zu einem globalen Technologieführer in bestimmten Bereichen beruht auf einer seit Jahrzehnten betriebenen aktiven Industriepolitik und einer zentral gesteuerten Wirtschaftsstrategie mit zwei Säulen, nämlich der Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative) und auf „Made in China 2025“. Letztere zielt darauf ab, bei 10 Branchen die gesamte Lieferkette für ihre Produkte zu dominieren. Dotiert wird diese Strategie nach Schätzungen der Stanford-Universität mit 1,7 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts, womit strategisch wichtige Unternehmen aufgebaut und gefördert werden. Aber nicht nur China, sondern auch die USA haben umfängliche Förderprogramme verabschiedet, nämlich den Chips and Science Act mit rund 280 Milliarden US Dollar sowie den mit rund 600 Milliarden US Dollar ausgestatteten Inflation Reduction Act. Berücksichtigt man die zusätzlich gewährten Steuerbegünstigungen, so wird das tatsächliche Volumen des Pakets auf mehr als 1 Billion US Dollar geschätzt. Im Gegensatz dazu beruhte die handelspolitische Strategie der EU vor allem auf dem Prinzip des rechtebasierten, liberalen Handels sowie dem Vertrauen auf den freien Markt und das Funktionieren des innereuropäischen Wettbewerbs.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass an eine sozial-ökologische Transformation in der EU ohne diese Importe aus China aktuell nicht zu denken ist. So liefert China aktuell den Großteil der Photovoltaikmodule, die in Europa verbaut werden. Chinesische Firmen sind auch Vorreiter bei der Herstellung von Batterien für die E-Mobilität. In Kritik gerät diese europäische Abhängigkeit regelmäßig dann, wenn europäische Firmen an Mitbewerber aus dem EU-Ausland verkauft werden oder ausländische Investoren Anteile an strategisch wichtigen Unternehmen oder kritischer Infrastruktur kaufen: zuletzt der Verkauf des im Wärmepumpen- und Klimaanlagensektors tätigen deutschen Unternehmens Viessmann mit rund 14.000 Beschäftigten an den US-Konzern Carrier Global. Die Befürchtung liegt nahe, dass es zu einem Transfer von technologischem Know-how und langfristig zu Arbeitsplatzverlusten an deutschen Standorten kommt. Daneben bestehen allgemeine Bedenken hinsichtlich bestehender Abhängigkeiten, denn nach Analyse der EU sind 137 Produkte sehr anfällig für Kapazitäts- und Lieferengpässe. Das bedeutet eine Gefahr für die Versorgung, etwa mit Medikamenten, jedoch auch das Gelingen der Twin Transition.
Unternehmen als Schlüsselakteure in der sozial-ökologischen Transformation
Neben der kritischen Infrastruktur kommt den strategischen Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Erreichung der Klimaziele zu. Diese Betriebe sind durch die Produktion von innovativen Produkten und die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen wichtige Akteure in der sozial-ökologischen Transformation. Darunter verstehen AK und Gewerkschaften die Bewältigung der Klimakrise durch Maßnahmen, die Nachhaltigkeit zugleich ökologisch, sozial und ökonomisch gestalten. Eine vorausschauende Industriepolitik muss sich der strategischen Bedeutung dieser Unternehmen bewusst sein und sie aktiv fördern. Den freien Markt entscheiden zu lassen, wird dabei nicht ausreichen, da auch die USA und China nicht nur auf den Wettbewerb vertrauen, sondern strenge Investitions- und Übernahmekriterien festlegen. So sieht beispielsweise der Inflation Reduction Act vor, dass geförderte Projekte mindestens 40 Prozent inländische Wertschöpfung aufweisen müssen.
Wie wichtig eine Neuausrichtung der europäischen Industrie- und Subventionspolitik sowie ein Umdenken bezüglich der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit ist, zeigen bereits die jüngsten Beispiele der Umstrukturierung von Eigentumsverhältnissen strategisch wichtiger Unternehmen in Österreich durch Briefkastenfirmen bzw. Privatinvestoren, deren geschäftliche Ausrichtung sich allein am „Shareholder Value“ orientiert:
- Die Übernahme des Ad-Blue-Erzeugers Agrolinz Melamine GmbH durch die tschechische Agrofert Gruppe, wodurch diese eine de facto monopolähnliche Stellung auf österreichischem Düngemittelmarkt erlangt hat.
- Der Herauslösung der Telekom-Masten-Infrastruktur aus der A1 Telekom Austria in eine eigene börsennotierte Gesellschaft – allerdings mit gleicher Aktionärsstruktur wie die A1. Deren Hauptaktionär ist der mexikanische Investor Carlos Slim, der seine Anteile über America Movil, dem drittgrößten Mobilfunkanbieter der Welt, hält. Die ÖBAG hat diesem Vorgang zugestimmt und den Abspaltungs-Deal mit der Verlängerung des Syndikatsvertrages mit der America Movil junktimiert, der der Staatsholding über ihre Anteile hinausgehenden Einfluss sichert. Dieser Vorgang könnte einen möglichen Verkauf der ausgegliederten Tower-Company mit ihren ca. 15.000 Mobilfunkmasten an internationale Investoren in Hinkunft jedoch erleichtern.
- Die Bekanntgabe des freiwilligen Kaufangebotes von IFM Global Infrastructure mit Sitz auf den Cayman Islands zurErhöhung des Aktienanteils auf 50 Prozent minus einer Aktie am Flughafen Wien-Schwechat, der für Österreich kritische Infrastruktur darstellt. Die Bundesländer Wien und Niederösterreich, die jeweils 20 Prozent der Anteile plus 2 Aktien besitzen, konnten durch den Kauf einiger weniger Aktien die österreichische Mehrheit in der Eigentümerstruktur noch knapp absichern.
Die Begehrlichkeiten nach europäischen Technologien und Infrastruktur sind nicht unbemerkt an der Europäischen Kommission vorbeigegangen. Unter dem Schlagwort „Offene strategische Autonomie“ soll das Bekenntnis zu offenen Märkten ergänzt werden mit der Forderung nach Nachhaltigkeitskriterien in Handelsverträgen sowie Instrumenten und Regeln, die die EU zukünftig braucht, um sich zu behaupten, ohne sich abzuschotten.
Förderung und Schutz
Neben der Schaffung der regulativen Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für den europäischen Wirtschaftsraum ist die Förderung strategisch wichtiger Unternehmen durch Ausbildungsprogramme, Subventionen und gute Standortbedingungen notwendig. Angelehnt an die Forschungsergebnisse der Ökonomin Mariana Mazzucato sollten mehr Mittel für Grundlagenforschung in Sektoren fließen, in denen Firmen wegen des hohen Risikos und langwieriger Prozesse nur wenige Investitionen tätigen. Langfristig sind es diese Investitionen in technische Innovationen, von denen auch strategisch wichtige Unternehmen profitieren und damit besser im internationalen Wettbewerb reüssieren können. So baut die Marktführerschaft der amerikanischen Tech-Konzerne Apple und Microsoft bis heute auf staatlichen Investitionen in Grundlagenforschung auf, die beispielsweise die Erfindung des Internets und des Touchscreens ermöglichten.
Vor diesem Hintergrund muss die europäische Kapitalverkehrsfreiheit neu gedacht werden. Staatliche strategische Beteiligung an Schlüsselindustrien und strategischer Infrastruktur ist keine ungerechtfertigte Beschränkung von Kapital – sprich Investoren – aus Drittstaaten, sondern Grundlage einer europäischen Industrie- und Technologiepolitik der Zukunft. Auch darf die Untersagung von Übernahmen aus wirtschaftspolitischen Überlegungen kein Tabu sein. Die EU-Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen von Oktober 2020 wurde im Vorkrisenmodus – also vor der Covid-19 Pandemie und dem Ukrainekrieg – entwickelt. Sie geht von einer Technologieoffenheit für internationale Investoren aus. Dass dieser Ansatz überdacht werden muss, geht deutlich aus dem Kommentar des zuständigen EU-Kommissars Dombrovskis hervor: „Die EU steht ausländischen Investitionen nach wie vor offen, aber diese Offenheit ist nicht bedingungslos. Sie muss ausgewogen sein. Unsere Fähigkeit, diese Balance zu halten, müssen wir weiter verbessern.“ Im Hinblick darauf, dass 13 Mitgliedstaaten keinerlei gesetzliche Regelungen zur Kontrolle ausländischer Investitionen haben, steht ein großer Teil der EU weiterhin für ausländische Beteiligungen ohne Konditionalitäten, wie bspw. Standortgarantie oder Vorkehrungen gegen Technologieabzug, offen. Das Wissen von Beschäftigten und ihren Vertretungen um Betriebsabläufe und technologische Entwicklungen sollte besser genützt werden, indem ihnen eine aktive Rolle bei der Prüfung von ausländischen Direktinvestitionen eingeräumt wird.
Schließlich gilt es im Sinne einer aktiven Industriepolitik die Vereinbarkeit ausländischer Übernahmen von strategisch wichtigen Unternehmen mit dem 2050-Ziel der EU – nämlich die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft – sowie mit dem Green Deal, dem Green Deal Industrial Plan und dem Pariser Klimaabkommen zu prüfen.
Fazit
Obwohl die Übernahme kritischer Infrastruktur durch außereuropäische Investoren in den vergangenen Jahren wiederholt in der öffentlichen Debatte diskutiert wurde, fand der Verkauf von strategisch wichtigen Unternehmen wenig Beachtung. Es ist positiv für den EU-Wirtschaftsstandort und die sozial-ökologische Transformation, dass dieses Thema nun mehr Aufmerksamkeit findet. Eine vorausschauende Industriepolitik muss neben der Förderung und Entwicklung innovativer Technologien auch dafür sorgen, dass Unternehmen mit strategischer Relevanz – und damit wertvolles Know-how – in europäischem Eigentum bleiben.