Die schwierige Ausgangslage erfordert ein offensives wirtschaftspolitisches Konzept, das auch einen wirtschaftlich und sozial verträglichen Weg der Budgetkonsolidierung beinhaltet. Entscheidend ist die Ausarbeitung einer Strategie zu höherem Produktivitätswachstum, die besonders bei einem beschleunigten Strukturwandel hin zu guter Arbeit ansetzt. Voraussetzung: wirtschaftliche und soziale Sicherheit.
Undankbare Ausgangsbedingungen für die neue Regierung
Die ersten fünf Jahre des Jahrzehnts hatten es in sich. Mit der Covid-Pandemie, gefolgt vom Energiepreisschock und den verheerenden Extremwetterereignissen reihte sich eine Erschütterung von Wirtschaft und Sozialsystem an die nächste. Die Krisen fanden auch im politischen System ihren Niederschlag, wo vielerorts rechtspopulistische und rechtsextreme Regierungen an die Macht gelangen, indem sie vermeintlich einfache Rezepte für die Bewältigung komplexer Herausforderungen propagieren. Ihr Erfolg spiegelt auch die Schwäche der demokratischen Parteien in der Ausarbeitung und öffentlichen Vermittlung vernünftiger Politik.
Österreich hat sich – im Unterschied zu vergangenen Krisenphasen – relativ schlecht geschlagen: Die Wirtschaftsleistung ging 2024 das zweite Jahr in Folge zurück, die Inflationsrate lag 27 Monate durchgehend über jener der Eurozone, die Zahl der Arbeitslosen steigt seit April 2023 markant und das Budgetdefizit ist infolge des weitgehenden Versagens der Wirtschaftspolitik der letzten Regierung auf 4 Prozent des BIP gestiegen. Dies ist auch das Ergebnis eines immer schlechteren Zusammenspiels der politischen Institutionen des Landes, die einst für ihre parteiübergreifende Konsens- und Sachorientierung gerühmt wurden.
Unter diesen besonders schwierigen und undankbaren Ausgangsbedingungen tritt eine neue Bundesregierung ihr Amt an. Sie muss zunächst die Rezession überwinden und im Staatshaushalt jene Scherben aufkehren, die die Vorgänger:innen hinterlassen haben, dann aber auch rasch Lösungsansätze für die großen Herausforderungen unserer Zeit präsentieren. In wirtschaftspolitischer Hinsicht geht es vor allem um Reformen im Bildungs- und Qualifizierungssystem und damit verbunden in der Arbeitsmarktpolitik, um eine innovations- und investitionsorientierte Transformationspolitik und insgesamt um eine neue Produktivitätsstrategie. Gelingen dafür wenigstens erste Weichenstellungen, so wird sich die zweite Hälfte des Jahrzehnts wirtschaftlich und sozial positiv von der ersten Hälfte abheben.
Budget vernünftig konsolidieren
Der Fiskalrat prognostiziert für 2025 ein Budgetdefizit von etwa 20 Mrd. Euro (4,1 Prozent des BIP), das ohne Gegensteuerung auch mittelfristig kaum zurückgeht. Das ist problematisch, weil es den EU-Fiskalregeln widerspricht, vor allem aber, weil damit ein zu hoher Anteil an Steuermitteln für Zinszahlungen gebunden ist, die Abhängigkeit vom volatilen Urteil der Finanzmärkte steigt und der Finanzierungsspielraum für die großen Staatsaufgaben – vom Kampf gegen die Klimakrise über die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems bis zur guten sozialen Absicherung – geschmälert wird.
Bei der Konsolidierung muss auf die Wirtschaftslage und die Verteilungswirkungen Bedacht genommen werden. Beides spricht für einen wesentlichen Konsolidierungsbeitrag durch progressiv wirkende Einnahmen, deren konjunkturdämpfende und die Verteilung beeinträchtigende Wirkungen grosso modo geringer sind als jene von Ausgabenkürzungen. Dies ist entscheidend, denn Budgetkonsolidierung kann wirtschaftlich nur gelingen, wenn sie von einem Anstieg von Konsum, Investitionen und Beschäftigung begleitet wird. Politisch kann sie nur erfolgreich sein, wenn sie sozial ausgewogen ist. Deshalb sind ein konsequentes Vorgehen gegen Steuervermeidung und -hinterziehung, die Einführung vermögensbezogener Steuern und die stärkere Besteuerung von Kapitaleinkommen wichtig.
Gleichzeitig geht es darum, das Ausgabenwachstum zu bremsen und finanziellen Spielraum für Zukunftsinvestitionen vor allem für Klima und Bildung zu schaffen. In den großen föderalen Gesundheits-, Pflege- und Bildungssystemen bestehen große Effizienzpotenziale, die gehoben werden müssen, um die in diesen Bereichen notwendigen Leistungsverbesserungen finanzieren zu können. So müssen z. B. im Gesundheitssystem Vorsorge und Primärversorgungszentren ausgebaut, die Spitalsambulanzen entlastet, Schwerpunktkrankenhäuser etabliert und zusammen mit der Großgeräteanschaffung endlich österreichweit koordiniert werden. Das wird kurzfristig sogar Geld kosten, bringt langfristig aber nicht nur erhebliche Effizienzsteigerungen, sondern vor allem eine Verbesserung der Versorgung und damit der gesunden Lebensjahre der Menschen.
Bei den Pensionen muss konsequent gute Beschäftigung als Alternative zu Arbeitslosigkeit und Frühpensionen angestrebt werden. Darüber hinaus müssen über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende Pensionserhöhungen konsequent im System gegenfinanziert und Reformen etwa bei der Witwenpension und der Altersteilzeit gesetzt werden. Alle Förderungen müssen systematisch evaluiert und gegebenenfalls durch Regulierungen und Vorgaben ersetzt werden. Förderungen an obere Einkommensgruppen und Großbetriebe sind besonders kritisch zu beurteilen.
Koordinierte Produktivitätsstrategie
Die heimischen Unternehmen kämpfen in den letzten Jahren mit einem erheblichen Anstieg der Energie- und Lohnkosten, der in höheren Verbraucherpreisen, niedrigeren Gewinnmargen und Investitionszurückhaltung münden kann. Ökonomisch entsprechen höhere Kosten für einen wirtschaftlichen Akteur immer höheren Einkommen für andere Akteure. Im Fall der Energiekosten fließen die Einkommen vornehmlich an die Erdgas- und Erdölproduzenten ab und verringern die Einkommen in Österreich. Eine offensive Energiepolitik, die ein wesentliches Element einer erfolgreichen Industriestrategie darstellt, muss deshalb beim Ausbau erneuerbarer Energiequellen, der Netze und damit bei Kostensenkungen vor allem bei Strom und Wasserstoff ansetzen.
Höhere Lohnkosten für die Unternehmen gingen hingegen mit höheren Nominaleinkommen und damit dem Kaufkrafterhalt für die Beschäftigten in der Teuerungskrise einher. Ohne Einkommensverluste zu generieren, kann der Herausforderung stark steigender Lohnkosten auch in der Industrie nur mit einer Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktivität begegnet werden. Das ist eine vordringliche Aufgabe einer mittelfristig ausgerichteten wirtschaftspolitischen Planung.
Die Determinanten des Produktivitätswachstums sind vielfältig. Eine kräftige Konjunkturerholung ist der sicherste Garant höherer Produktivität und sinkender Lohnstückkosten, doch sie ist nicht leicht zu erreichen. Aus- und Weiterbildung, Forschung und Innovation wirken langfristig, erfordern aber kurzfristig Investitionen, besonders in Elementarpädagogik, Volksschulen und in betriebliche Weiterbildung. Die teure Forschungsförderung muss über den allgemeinen Teil der steuerlichen Forschungsprämie hinaus viel stärker fokussiert und effizienter gemacht werden. Eine Neuaufstellung der Arbeitsmarktpolitik stellt eine auch mittelfristig zielführende Option zur Steigerung der Produktivität dar. Sie muss allen Arbeitgeber:innen, die wirtschaftlich und gesellschaftlich hoch produktive Arbeitsplätze anbieten, die rasche Besetzung dieser Stellen ebenso garantieren wie allen prekär Beschäftigten die Chance auf gute Arbeit.
Beschleunigter Strukturwandel hin zu guter Arbeit
Der österreichische Arbeitsmarkt befindet sich heute in einer bislang unbekannten Situation: Die Bevölkerung im Erwerbsalter ist in den letzten Jahrzehnten ziemlich kontinuierlich um etwa ein Prozent pro Jahr gewachsen. Ab nun tut sie das nicht mehr, sie stagniert bzw. geht sogar leicht zurück. Das kann eine Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung sein, ist aber vor allem eine Riesenchance. Zur Bedrohung wird sie, wenn ökonomisch und gesellschaftlich hochproduktive Branchen wie die Metallindustrie oder die Pflege ihre offenen Stellen nicht besetzen können. Zur Chance wird sie, wenn Arbeitskräfteknappheit jenen Menschen gute Arbeitsplätze ermöglicht, die bislang keine, zu wenig oder schlechte Arbeit hatten. Neben den Arbeitslosen (300.000 Personen), Menschen in der Stillen Reserve (300.000) und den Unterbeschäftigten (280.000) geht es vor allem um jene 300.000 Personen, die in Niedriglohnbeschäftigung arbeiten.
Diese Personengruppen gezielt zu ermutigen, sie für gute Arbeit auszubilden und zu qualifizieren sowie sie zu den guten Unternehmen zu vermitteln, die produktive offene Stellen anbieten, bedarf einer völligen Neuaufstellung der Arbeitsmarktpolitik. Das wird deutlich mehr personelle und finanzielle Ressourcen erfordern, ist aber mit hohen ökonomischen Erträgen verbunden. Denn es fallen die sozialen und wirtschaftlichen Kosten weg, die mit keiner oder schlechter Arbeit verbunden sind, und es entstehen große soziale und wirtschaftliche Erträge, wenn produktive Jobs mit hohen Einkommen und guten Arbeitsbedingungen verlässlich besetzt werden können. Eine Ausweitung guter Beschäftigung ist nicht zuletzt Voraussetzung für das Gelingen der Budgetkonsolidierung: 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze generieren ein zusätzliches Abgabenaufkommen von etwa 500 Mio. Euro pro Jahr.
Sicherheit erhöht die Bereitschaft zum Strukturwandel
Der US-Globalisierungsökonom Dani Rodrik hat darauf hingewiesen, dass Sicherheit die Voraussetzung für Innovationsbereitschaft ist. Wer sich im Fall des Scheiterns auf ein verlässliches Sicherheitsnetz verlassen kann, ist bereit, mehr Risiko einzugehen und Neues zu entdecken. Eine auf Strukturwandel und Produktivitätswachstum ausgerichtete wirtschaftspolitische Strategie braucht deshalb verlässliche Rahmenbedingungen, die darauf ausgerichtet sind, Ängste zu nehmen und Sicherheit zu geben.
Dies bedeutet in Bezug auf unternehmerische Tätigkeiten die Sicherheit, scheitern zu können, aber auch die Sicherheit, bei guten Ideen unterstützt zu werden (vom Patentamt bis zum aws). Ebenso aber stabile Rahmenbedingungen von guter Infrastruktur über Kollektivverträge und gut ausgebildete Fachkräfte bis zu Verlässlichkeit und Effizienz der öffentlichen Verwaltung.
Auch die Erwerbstätigen benötigen Sicherheit, um neue Ausbildungs- und Jobchancen ergreifen zu können. Der österreichische Sozialstaat gewährt diese Sicherheit im internationalen Vergleich immer noch in überlegener Weise. Er muss aber in den Bereichen Gesundheit und Pflege, Sozialarbeit und Bildung verbessert werden. Er muss verlässlich manifeste Armut verhindern und Armutsgefährdung verringern. Und er muss die Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen und bessere Arbeit anstreben, verlässlich unterstützen.
Sicherheit bedeutet heute auch einen verlässlichen Schutz der Menschen vor den Folgen der Klimakrise. Dafür sind Maßnahmen zur Abkühlung der Städte ebenso dringend wie jene der Renaturierung, die die Gefahren von Hochwasser und Dürre, Verlust an Biodiversität und Artensterben am Land hintanhalten.
Neuerfindung des Konsensprinzips
Für eine politische Kombination aus Sicherheit und Strukturwandel bedarf es der Zusammenarbeit all jener gesellschaftlichen Kräfte, die guten Willens sind. Der Versuch, Interessengegensätze klar zu benennen, aber gleichzeitig nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, von denen in mittlerer Frist alle profitieren, machte den Erfolg der Sozialpartnerschaft in den fünf Nachkriegsjahrzehnten aus. Heute ist davon nur noch wenig übrig. Dieses Prinzip angesichts der Herausforderungen der Zeit neu zu erfinden und zeitgemäß auszugestalten, wäre die vornehmste Aufgabe erfolgreicher Politik. Gelingt ihr das, dann ist damit auch ein Schritt zur Rettung der Demokratie gemacht, die heute von allen Seiten so stark unter Druck ist wie lange nicht.