Wie man (makro­ökonomisch) ein Budget kon­solidiert

16. Dezember 2024

Das Budgetdefizit des Staates kann nur sinken, wenn sich das Ausland stärker verschuldet und Unternehmen sowie private Haushalte ihren Überschuss abbauen. Das größte Potenzial in Österreich besteht in einer Verringerung des Sparüberschusses der Haushalte durch gezielte Verteilungspolitik und Maßnahmen, die Arbeitslosigkeit verringern und Sicherheit geben, sowie in Impulsen für kreditfinanzierte Investitionen der Unternehmen.

Budgetdefizit als Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Die alte Bundesregierung hinterlässt ein hohes Budgetdefizit, das 2024 je nach Prognose zwischen 3,6 Prozent des BIP (Europäische Kommission) und 3,9 Prozent (Fiskalrat) liegt. Dieses Defizit ist problematisch, weil Österreich auch andere makroökonomische Ziele eklatant verfehlt: Die Wirtschaftsleistung geht 2024 das zweite Jahr in Folge zurück, die Inflationsrate lag 27 Monate durchgehend über jener der Eurozone (im Durchschnitt um 1,5 Prozentpunkte) und die Zahl der Arbeitslosen steigt seit April 2023 markant.

Die Budgetpolitik ringt derzeit um eine diskretionäre Anhebung von Steuern und Verringerung von Staatsausgaben mit dem Ziel, das hohe Budgetdefizit zu senken. Das ist bestimmt notwendig. Doch makroökonomisch ist für diese Verhandlungen eine Erkenntnis wichtig: Im Unterschied zu den Steuersätzen und großen Teilen der Staatsausgaben kann das Budgetdefizit selbst nicht von Regierung und Parlament bestimmt werden. Denn es ist auch Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Summe von Überschüssen und Defiziten muss null ergeben

Für ein fundiertes Verständnis der Determinanten des Budgetdefizits sind die Grundzüge der Saldenmechanik wichtig. Die Summe der Finanzierungssalden der vier großen Wirtschaftsakteure Unternehmen (Kapitalgesellschaften), private Haushalte, Ausland und Staat muss null sein. Veränderungen der finanziellen Defizite eines Akteurs müssen gleich großen Veränderungen der finanziellen Überschüsse anderer Akteure gegenüberstehen. Das ist eine saldenmechanische Identität. Diese kann zwar nicht kausal interpretiert werden, bildet aber einen nützlichen Rahmen für Überlegungen zur Budgetpolitik.

Für eine erfolgreiche Konsolidierung ergibt sich folgende Erkenntnis: Das Finanzierungsdefizit des Staates kann nur verringert werden, wenn sich gleichzeitig das Ausland stärker verschuldet und/oder Unternehmen sowie private Haushalte ihren Überschuss verringern. Betrachten wir zunächst die längerfristige Entwicklung der Finanzierungssalden dieser vier Wirtschaftsakteure in Österreich.

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Staat: anhaltendes Defizit

Der Staatssektor weist meist ein Defizit auf, das im Durchschnitt seit 1995 3 Prozent des BIP beträgt. Das Defizit verringert sich in der Hochkonjunktur, weil die Staatseinnahmen mit höherer Produktion, Beschäftigung, Einkommen und Konsum steigen, und erhöht sich automatisch in der Rezession. In den letzten Jahren ist das Defizit merklich gestiegen, weit über das durch die Rezession und staatliche Investitionen begründbare Maß hinaus. 2024 liegt es bei fast 4 Prozent des BIP.

Der Finanzierungssaldo des Auslands gegenüber Österreich weist seit Beginn der Währungsunion ein Defizit auf. Spiegelbildlich hat Österreich einen Überschuss in seiner Leistungsbilanz (Exporte minus Importe) von etwa 1 Prozent des BIP, im Jahr 2024 2 Prozent.

Unternehmen: vom Defizit in den Überschuss

Der Finanzierungssaldo der Kapitalgesellschaften war in der Vergangenheit traditionell negativ, da die Unternehmen sich zum Zweck der Investition verschuldeten. Doch seit der Finanzkrise 2007/08 gibt es einen strukturellen Überschuss der Kapitalgesellschaften. Ihre Finanzanlagen wachsen rascher als ihre Kreditaufnahme für Investitionen. Zuletzt betrug der Überschuss etwa ½ Prozent des BIP. Betrachtet man nur die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften (ohne Banken und Versicherungen), dann zeigt sich ein ähnliches Muster, ihr Finanzierungssaldo war in der Vergangenheit durchgängig negativ und ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten im Durchschnitt ausgeglichen.

Private Haushalte: hoher Überschuss

Der Finanzierungssaldo der privaten Haushalte weist einen Überschuss auf (im Durchschnitt etwa 4 Prozent des BIP), da die Haushalte nur einen Teil des Einkommens für Konsumnachfrage ausgeben und den Rest sparen. Er schwankt prozyklisch mit der Konjunktur, weil im Aufschwung mehr Geld übrig bleibt und in der Rezession weniger. In der Teuerungsrezession steigt die Sparquote allerdings antizyklisch stark auf mehr als 5 Prozent des BIP (2024). Dieser untypische Anstieg der Sparquote kann drei Ursachen haben: zunehmende Ungleichheit in der Einkommensverteilung (die Sparquote ist bei oberen Einkommensgruppen höher als bei unteren), Vorsichtssparen (Unsicherheit wegen Teuerung und steigender Arbeitslosigkeit) und aufgeschobener Konsum (zeitliche Verzögerung des Einkommensanstiegs bei hoher Inflation).

Budgetkonsolidierung über höheren Export

Das Finanzierungsdefizit des Staates kann nur verringert werden, wenn sich gleichzeitig die Finanzierungspositionen der drei anderen Akteure verschlechtern. Etwa indem sich das Finanzierungsdefizit des Auslandes bzw. der heimische Leistungsbilanzüberschuss durch höheren österreichischen Export oder geringeren Import erhöhen. Höherer Export würde Produktion, Beschäftigung, Investitionen und Konsum anregen und damit auch die Staatseinnahmen. Doch dies ist primär von Faktoren bestimmt, die Österreich nicht direkt beeinflussen kann, vor allem die Wirtschaftslage bei den Handelspartnern und (auf der Importseite) die Rohstoffpreise.

Eine Budgetkonsolidierung über ein höheres Finanzierungsdefizit des Auslandes ist derzeit wenig wahrscheinlich: Erstens weist Österreich schon heute einen Leistungsbilanzüberschuss auf, zweitens steigen die relativen Energie- und Lohnstückkosten, drittens droht eine simultane Budgetkonsolidierung in der EU eine exportorientierte Wachstumsstrategie zu verhindern.

Budgetkonsolidierung über Unternehmensinvestitionen

Gesamtwirtschaftlich wünschenswert wäre eine Konsolidierung über höhere kreditfinanzierte Investitionen der Unternehmen. Höhere Investitionen erhöhen Produktion, Einkommen und Nachfrage, führen damit zu höheren Einnahmen an Einkommensteuern, Sozialbeiträgen und Verbrauchssteuern und verringern so automatisch das Budgetdefizit. Die Ausgangsposition für einen starken Investitionsaufschwung ist ungünstig, wenn die Kapazitätsauslastung der Unternehmen gering, die Absatzerwartung schlecht und die Unsicherheit hoch sind.

Doch der Investitionsbedarf im Rahmen der sozial-ökologischen Transformation ist auch bei den Unternehmen enorm hoch. Die Wirtschaftspolitik sollte deshalb kräftige Impulse für Investitionen setzen: rasche Senkung der Zinssätze durch die EZB, Einsatz für umfangreiche EU-Investitionen gegen die Klimakrise, Ausweitung der kommunalen Investitionen in Österreich, steuerliche Investitionsförderung. Diese Maßnahmen könnten einen Investitionsaufschwung auslösen, der die Konsolidierung massiv erleichtert.

Budgetkonsolidierung über geringeres Sparen der Haushalte

Die Sparquote ist in der Teuerungskrise massiv gestiegen. Das bietet ein erhebliches Potenzial für wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Konsumneigung erhöhen und damit das Defizit verringern:

  • Verringerung der Ungleichheit: Die kurzfristige marginale Sparneigung des oberen Einkommensdrittels liegt bei 60 Prozent (40 Prozent Konsumneigung). Hingegen liegt die marginale Sparneigung im unteren Einkommensdrittel bei nur 20 Prozent. Die Konzentration von Vermögen und Erbschaften ist noch viel höher als jene der Einkommen. Eine Umverteilung vom oberen zum unteren Einkommensdrittel erhöht damit die gesamtwirtschaftliche Konsumneigung, führt zu mehr Produktion und Beschäftigung, damit zu höheren Abgaben und zu einem geringeren Budgetdefizit.
  • Einnahmenseitige Budgetkonsolidierung: Konsolidierung über höhere Steuern vor allem auf Kapitaleinkommen, Erbschaften und Vermögen trifft die obersten Einkommensgruppen und senkt die Sparquote. Viele aktuelle Studien (etwa vom Internationalen Währungsfonds oder von WIIW-Ökonom Philipp Heimberger) weisen darauf hin, dass einnahmenseitige Konsolidierung günstigere Verteilungswirkungen hat und die Nachfrage weniger beeinträchtigt.
  • Teuerung bekämpfen: Der eklatante Anstieg der Preise für Haushaltsenergie, Nahrungsmittel und der Mieten seit 2022 hat die unteren Einkommensgruppen besonders stark getroffen, deren Konsumnachfrage beeinträchtigt und die Unsicherheit erhöht. Gezielte Preiseingriffe in diesen Bereichen, z. B. durch eine griffige Mietenbremse, können die Konsumnachfrage beleben.
  • Abbau der Arbeitslosigkeit: Arbeitslosigkeit ist eine wichtige Quelle von Unsicherheit, nicht nur bei Arbeitslosen, sondern auch bei (prekär) Beschäftigten. Die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik hat damit hohes Potenzial, Vorsichtssparen zu verhindern und die Konsumneigung zu erhöhen. Kurzfristig muss sie zu diesem Zweck in der Rezession Beschäftigung sichern (Arbeitsstiftungen, Kurzarbeit, Jobgarantie), mittelfristig muss sie Arbeitslose, Menschen in der stillen Reserve, Unterbeschäftigte und Niedriglohnbeschäftigte auf die durch den demografischen Wandel zunehmende Zahl an (guten) offenen Stellen qualifizieren und vermitteln sowie die Menschen ermutigen, diese Beschäftigungs- und Einkommenschancen auch zu ergreifen.
  • Abbau von Förderungen für die oberen Einkommensgruppen: Gerade in den letzten Jahren floss ein erheblicher Teil der Förderungen etwa im Klimabereich oder auch für Unternehmen an obere Einkommensgruppen. Hier können hohe Mitnahmeeffekte vermutet werden und es stellt sich generell die Frage der Sinnhaftigkeit solcher Förderungen. Generell sollte verstärkt auf budgetschonende Regulierungen und Vorgaben statt auf teure Steuererleichterungen oder Förderungen gesetzt werden.

Budgetkonsolidierung durch makroökonomische Politik begleiten

Makroökonomisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik kann eine erfolgreiche Politik der Budgetkonsolidierung wesentlich erleichtern. Dabei gilt es, die Sparquote der privaten Haushalte durch gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen, durch Abbau von Ängsten und Unsicherheiten und durch erfolgreiche Beschäftigungspolitik zu senken. Offensive Makropolitik z. B. durch eine Senkung der Zinssätze, eine Erhöhung der öffentlichen (Klima-)Investitionen und Stabilisierung von Rahmenbedingungen und Erwartungen können die kreditfinanzierte Investitionstätigkeit der Unternehmen ausweiten.

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