Die nächste Regierung wird mit der EU-Kommission einen mehrjährigen Konsolidierungsplan verhandeln müssen. Angesichts der schwachen Konjunktur sollte die Budgetpolitik nicht stärker auf die Bremse treten als notwendig. Die Einleitung eines Verfahrens wegen eines übermäßigen Defizits (ÜD-Verfahren) sollte hingenommen werden, denn dies reduziert die Anforderungen erheblich. Um Wachstumsverluste zu reduzieren, sollte das Konsolidierungspaket zu großen Teilen einnahmenseitige Maßnahmen beinhalten.
Österreich verletzt die neuen EU-Fiskalregeln
Das Finanzministerium meldete kurz nach den Nationalratswahlen deutlich schlechtere Budgetzahlen. Die EU-Kommission korrigierte daraufhin im November ihre Prognose für das Budgetdefizit in diesem und den zwei Folgejahren auf deutlich über drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Österreich verletzt damit klar die EU-Fiskalregeln. Zudem fällt die Wachstumsprognose nun schwächer aus als noch im Frühjahr.
Österreich übermittelte, anders als fast alle anderen EU-Staaten, bis zur Deadline am 15. Oktober keinen mehrjährigen Konsolidierungsplan an die EU-Kommission. Denn die Planübermittlung sollte erst durch die neue Regierung erfolgen. Auch wenn es grundsätzlich sinnvoll erscheint, dass der noch zu übermittelnde Konsolidierungsplan die Prioritäten der neuen Regierung zugrunde legt, wird die verspätete Abgabe nun zum Nachteil.
Denn die seit dem Herbst deutlich verschlechterten Wachstums- und Budgetzahlen haben die Konsolidierungsvorgaben aus Brüssel verschärft. Hätte man bis zum 15. Oktober einen Plan übermittelt, hätte die jährliche Anpassungserfordernis 2,5 Milliarden Euro pro Jahr betragen.
Einleitung eines Verfahrens wegen eines übermäßigen Defizits reduziert das Konsolidierungserfordernis erheblich
Weil das Budgetdefizit des österreichischen Staates 2024 deutlich über drei Prozent liegt und auch für absehbare Zeit darüber liegen wird, hat die Europäische Kommission Ende November angekündigt, dass sie im Jänner ein ÜD-Verfahren gegen Österreich vorschlagen wird.
Doch die Einleitung eines solchen Verfahrens würde paradoxerweise die erforderliche Budgetkonsolidierung nicht erhöhen, sondern deutlich reduzieren – zumindest wenn keine Verlängerung des Anpassungszeitraums beantragt wird: Berechnungen mit den Herbst-Prognosedaten und dem Modell der EU-Kommission legen nahe, dass der aktuelle Referenzpfad der EU-Kommission eine Anforderung von rund 4,5 Milliarden Euro pro Jahr im Zeitraum 2025–2028 im präventiven Arm (das heißt: außerhalb des ÜD-Verfahrens) beinhalten dürfte. Das bedeutet, dass das Primärdefizit im Jahr 2028 um 18 Mrd. Euro niedriger sein müsste als heute. Durch die Zusage von Investitionen und Reformen könnte die Konsolidierung um drei weitere Jahre gestreckt werden; dann sänke der jährliche Konsolidierungsbedarf. Wieso das BMF nun zum Teil deutlich abweichende Zahlen veröffentlicht hat, erschließt sich mangels Transparenz nicht.
Klar ist hingegen der prinzipielle Mechanismus, warum die Anforderungen außerhalb eines ÜD-Verfahrens aktuell deutlich höher sind. Denn Deutschland und Österreich haben in die neuen EU-Fiskalregeln eine sogenannte Schutzklausel zur Rückführung der Schuldenquote hineinverhandelt. Die Schutzklausel würde verlangen, dass die geplante Staatsschuldenquote um mindestens 0,5 Prozentpunkte pro Jahr sinkt. Diese Klausel kommt zwar im sogenannten präventiven Arm (ohne Verfahren) zum Tragen, nicht aber im korrektiven Arm (ÜD-Verfahren).
Es ist nicht ersichtlich, warum dem österreichischen Staat aus einem ÜD-Verfahren andere Nachteile erwachsen sollten. Österreich stünde unter besonders genauer Beobachtung der EU-Kommission, doch das wäre bei einem glaubwürdigen und realistischen Konsolidierungsplan kein Nachteil. Es befinden sich aktuell bereits acht EU-Staaten in einem ÜD-Verfahren (z. B. Belgien, Frankreich, Italien). In Frankreich sind die Finanzierungskosten im Vergleich zu anderen EU-Ländern angestiegen. Doch das ist auf die Zunahme der politischen Instabilität rund um fehlende Beschlüsse für das Budget 2025 zurückzuführen, nicht auf das ÜD-Verfahren. So reduzierte sich der Zinsaufschlag für italienische gegenüber deutschen Staatsanleihen seit ÜD-Verfahrenseröffnung sogar um über 0,2 Prozentpunkte.
Eine stabile nächste österreichische Bundesregierung mit einem klaren wirtschaftspolitischen Plan würde darauf hinwirken, dass die Finanzierungskosten für den österreichischen Staat nicht ansteigen. Die Hinnahme eines ÜD-Verfahrens wäre sogar im Sinne besserer budgetpolitischer Planbarkeit und größerer Handlungsspielräume in schwierigen Zeiten.
Budgetkürzungen verstärken den wirtschaftlichen Abschwung
Die Konjunkturlage in Österreich ist schwach, die Arbeitslosigkeit ist zuletzt deutlich angestiegen; zudem bestehen erhebliche Abwärtsrisiken im Hinblick auf eine weitere konjunkturelle Eintrübung. In Deutschland, dem wichtigsten Handelspartner, wurden die Wachstumsprognosen kürzlich noch einmal erheblich nach unten revidiert. Andere wichtige EU-Handelspartner haben ebenfalls schwache wirtschaftliche Aussichten für die kommenden Jahre – nicht zuletzt deshalb, weil auch Regierungen in Frankreich und Italien budgetpolitisch auf die Bremse treten müssen, um die EU-Fiskalregeln einzuhalten. Angesichts der nahenden zweiten Trump-Präsidentschaft werden sich die Handelskonflikte ab dem kommenden Jahr wohl noch weiter verschärfen. Damit wird Österreich in absehbarer Zeit eine inländische Nachfrageschwäche nicht durch stärkere Exporttätigkeit ausgleichen können.
In dieser konjunkturellen Lage ist staatliche Kürzungspolitik verfehlt, weil sie den Wirtschaftsabschwung verstärkt und verlängert. Die Folgen – höhere Arbeitslosen- und Sozialausgaben, geringere Steuereinnahmen – sind wiederum eine (längerfristige) budgetäre Belastung.
Die internationale Fachliteratur zeigt, dass Budgetkürzungen bei schwachem Wachstum besonders starke Bremseffekte haben. Im Durchschnitt reduziert eine Ausgabenkürzung von 1 Milliarde Euro die Wirtschaftsleistung um rund 900 Millionen Euro, doch gerade in Zeiten schwachen Wachstums kann der Effekt mehr als 1 Milliarde Euro betragen. Unternehmen und Haushalte reduzieren als Reaktion auf staatliche Zurückhaltung in Krisenzeiten ihre Ausgaben stärker, sodass sich negative gesamtwirtschaftliche Kreislaufeffekte ergeben.
Die empirische Forschung zeigt, dass Budgetkonsolidierung in schwachen wirtschaftlichen Zeiten auch das vordergründige Ziel – die Senkung der Staatsschuldenquote – verfehlt. In entwickelten Volkswirtschaften führen große Budgetkonsolidierungen in konjunkturellen Abschwüngen eher zu höheren Schuldenständen, weil die Wirtschaftsleistung sinkt und damit Aufwärtsdruck auf die Schuldenquote entsteht.
Einnahmen- versus ausgabenseitige Maßnahmen
Es wäre kontraproduktiv, die zur Einhaltung der EU-Fiskalregeln geforderte Konsolidierung allein durch Ausgabenkürzungen zu stemmen. Die Fachliteratur zeigt, dass Ausgabenkürzungen insbesondere in wirtschaftlichen Abschwüngen deutlich stärkere Bremseffekte haben als Steuererhöhungen. Die negativen gesamtwirtschaftlichen Kreislaufeffekte sind stärker, wenn der Staat direkt seine Ausgaben reduziert.
Daten des Internationalen Währungsfonds zu Budgetkonsolidierungen in entwickelten Volkswirtschaften seit den 1970er-Jahren zeigen, dass Regierungen für gewöhnlich einen Mix aus einnahmen- und ausgabenseitigen Maßnahmen paktieren, wenn sie das Ziel verfolgen, das Budgetdefizit zu reduzieren. Rein ausgabenseitige Konsolidierungen sind eher selten. Zudem zeigt die empirische Fachliteratur, dass Ausgabenkürzungen stärkere Verteilungseffekte zulasten unterer Einkommensgruppen haben.
Die in der Debatte vertretene Auffassung, reine Ausgabenkürzungen könnten sich sogar positiv auf die Konjunktur auswirken, widerspricht der empirischen Evidenz. Auch während der Eurokrise vor zehn Jahren behaupteten manche Ökonom:innen und Politiker:innen, Ausgabenkürzungen würden das Vertrauen von Unternehmen und Konsument:innen stärken. Tatsächlich verschärfte der Fokus auf Budgetkürzungen in vielen Euroländern den Abschwung, mit negativen Folgen für die längerfristige Schuldentragfähigkeit.
Kürzungen treffen auch Geringverdiener:innen und Gemeinden stärker
Natürlich gibt es staatliche Ausgabenkürzungen, welche die Wirtschaft weniger belasten als andere. Doch die mehrjährigen Konsolidierungsanforderungen zur Einhaltung der EU-Fiskalregeln sind so erheblich, dass unweigerlich größere Gruppen in der Bevölkerung durch die Ausgabenkürzungen getroffen werden. Aktuell prominent diskutierte Vorschläge für staatliche Ausgabenkürzungen würden Geringverdiener:innen relativ härter treffen als jene mit hohen Einkommen.
Auch der Internationale Währungsfonds weist mit seiner aktuellen Forschung darauf hin, dass Budgetkonsolidierung zu erheblichen Rückgängen von Wirtschaftsleistung und privatem Konsum führt. Kürzungen bei den öffentlichen Investitionen sind besonders nachteilig, doch auch ein Rückgang staatlicher Konsumausgaben wirkt dämpfend. Die Wachstumsverluste fallen bei der Erhöhung von progressiv ausgestalteten Steuern, die Personen mit hohen Einkommen stärker treffen, jedoch geringer aus als bei Ausgabenkürzungen.
Ein wichtiger Nebeneffekt des Einbeziehens einnahmenseitiger Maßnahmen in einem mehrjährigen Konsolidierungspaket bestünde darin, dass die Gemeinden von Steuererhöhungen (mit)profitieren würden. Angesichts der äußerst schwierigen Finanzsituation in einem großen Teil der österreichischen Gemeinden sollte dieser Aspekt in der bundespolitischen Entscheidungsfindung eine Rolle spielen.
Schlussfolgerungen
Die österreichische Politik ist gut beraten, wenn sie in der aktuell schwierigen Konjunkturlage nicht mehr als nötig konsolidiert. Deshalb sollte die Einleitung eines ÜD-Verfahrens durch die EU-Kommission nicht länger bekämpft werden.
Es wird einen Mix an einnahmen- und ausgabenseitigen Maßnahmen brauchen, um das Budget nachhaltig zu konsolidieren und die Wirtschaft möglichst gering zu belasten. Rein ausgabenseitige Kürzungen würden stärkere Verteilungseffekte zulasten unterer Einkommen haben als bei einem verstärkten Einbeziehen von oberen Einkommen durch progressive einnahmenseitige Maßnahmen. Ein überproportionaler Fokus auf Ausgabenkürzungen würde auch stärker die Konjunktur belasten, was einem Rückgang der Staatsschuldenquote entgegenwirken würde.
Die drängendste Aufgabe der nächsten Bundesregierung wird darin bestehen, gleich zu Beginn einen mehrjährigen Konsolidierungsplan mit der EU-Kommission zu verhandeln. Dabei sollten Spielräume genützt werden, um die Konsolidierung nach hinten zu schieben. Zu Beginn wäre die Verabschiedung von zielgerichteten und temporären Maßnahmen sinnvoll, die zur Ankurbelung der Konjunktur beitragen. Vorgezogene öffentliche Investitionen, Sonderabschreibungen für Investitionen von Unternehmen sowie mehr AMS-Mittel für Qualifizierung und Vermittlung am Arbeitsmarkt sollten dabei eine Rolle spielen.