Die nächste Bundesregierung wird mit einem Konsolidierungspaket starten müssen, um die reformierten EU-Fiskalregeln einzuhalten. Die Wende zu Budgetkürzungen, die in anderen Euroländern noch stärker ausfällt als in Österreich, wird die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung wohl stärker bremsen, als von der Europäischen Kommission erwartet – und damit die angestrebte Reduktion der Staatsschuldenquote erschweren.
Konsolidierungsanforderungen der reformierten EU-Fiskalregeln
Am 30. April 2024 trat eine Reform der EU-Fiskalregeln in Kraft, die für die kommende österreichische Regierung – egal in welcher Zusammensetzung – die budgetpolitischen Spielräume absteckt. Das Kernziel der neuen Regeln ist, die Staatsschuldenquote auf einen sinkenden Pfad in Richtung 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu bringen. Konkrete Vorgaben übermittelte die Europäische Kommission im Juni 2024 allen Ländern, die ein Budgetdefizit höher als 3 Prozent oder eine Staatsschuldenquote höher als 60 Prozent ausweisen (für Österreich vom Finanzministerium veröffentlicht).
Österreich muss demnach ab 2025 eine Konsolidierung von mindestens 0,3 Prozentpunkten der Wirtschaftsleistung (rund 1,5 Milliarden Euro) pro Jahr liefern. Dies wäre jedoch bereits der günstigste Fall. Dieser würde eintreten, wenn 1) die EU-Kommission trotz schlechterer Budgetprognose und baldiger Eröffnung eines Defizitverfahrens gegen Österreich die Vorgaben vom Juni nicht verschärft und 2) die neue Bundesregierung einen Plan für Investitionen und Reformen vorlegt, der von der EU-Kommission akzeptiert wird. Durch einen solchen Plan würde sich der Konsolidierungszeitraum auf maximal sieben Jahre verlängern lassen – und damit die jährliche Konsolidierungserfordernis entsprechend reduzieren.
Das Finanzministerium hat jedoch mittlerweile ein höheres Budgetdefizit gemeldet; und die kommende EU-Kommissionsprognose Anfang November wird schlechtere Wachstumszahlen beinhalten. Deshalb wird die EU-Kommission die Mindestanforderung zur Konsolidierung wohl deutlich erhöhen, sodass die jährliche Konsolidierungsvorgabe selbst im günstigsten Fall mehr als zwei Milliarden Euro betragen wird. Wenn die Bundesregierung keinen akzeptablen Investitions- und Reformplan liefert, wird jedes Jahr eine noch stärkere Konsolidierung erforderlich sein, die sogar das Ausmaß während der Eurokrise (Jahre 2011 bis 2014) übersteigen könnte.
Auch in anderen Ländern muss konsolidiert werden
Ob die erforderliche Konsolidierung durch Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen umgesetzt wird, ist durch die EU-Fiskalregeln nicht vorgegeben. In der Vergangenheit haben Euro-Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, für gewöhnlich einen Mix von einnahmen- und ausgabenseitigen Konsolidierungsmaßnahmen getroffen. Rein ausgabenseitige Konsolidierungen sind historisch selten und hätten auf Basis der bestehenden empirischen Evidenz wohl Verteilungseffekte zulasten unterer Einkommensgruppen.
Andere Eurozonenländer mit einer ungünstigeren budgetären Ausgangssituation müssen übrigens noch stärker konsolidieren, um die reformierten EU-Fiskalregeln einzuhalten. Finnland, Frankreich und Italien müssen im günstigsten Fall (bei Akzeptanz eines Investitions- und Reformplans) rund 0,6 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung pro Jahr konsolidieren, Spanien 0,5 Prozentpunkte. In Deutschland, das eine geringere Schuldenquote aufweist, ist das Konsolidierungserfordernis zur Einhaltung der EU-Fiskalregeln mit 0,02 Prozentpunkten pro Jahr gering. Doch in Deutschland stehen wegen der Interpretation der innerstaatlichen Schuldenbremse im Jahr 2025 die Zeichen dennoch auf Kürzungen.
Wachstum und Schuldentragfähigkeit
Ein zentraler Bestandteil der reformierten EU-Fiskalregeln ist die sogenannte Schuldentragfähigkeitsanalyse (Debt Sustainability Analysis, kurz DSA). Die DSA untersucht modellgestützt verschiedene Szenarien zur wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Entwicklung der Mitgliedsländer. Daraus werden Konsolidierungsanforderungen abgeleitet, deren Einhaltung die Schuldenquote langfristig Richtung 60 Prozent bringen soll. Die aus der DSA abgeleiteten Konsolidierungsanforderungen greifen für den Referenzpfad Österreichs, binden jedoch auch die meisten anderen Eurozonenländer, weil sie strenger sind als die Mindest-Konsolidierungsvorgaben der Schutzklauseln zum strukturellen Budgetdefizit und zur öffentlichen Schuldenquote.
In einer kürzlich erschienenen Studie zeige ich, dass die DSA-Projektionen für das Wirtschaftswachstum und die öffentlichen Schuldenquoten empfindlich auf Änderungen von Annahmen reagieren, wie sich die Konsolidierung auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. In der Studie betrachte ich die fünf größten Ökonomien des Euroraums (Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, Niederlande) und Österreich. Für die Berechnungen gehe ich von den Konsolidierungsanforderungen für einen Vierjahreszeitraum (2025–2028) aus, da noch nicht klar ist, ob die EU-Kommission einen Plan für Investitionen und Reformen akzeptieren wird, um die jährliche Konsolidierungserfordernis zu reduzieren.
In ihren offiziellen Projektionen trifft die EU-Kommission optimistische Annahmen bezüglich der Auswirkung von Sparprogrammen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf drei zentrale DSA-Annahmen:
- Kurzfristig reduziert, gemäß EU-Kommission, eine Konsolidierung von 1 Mrd. Euro die Wirtschaftsleistung um 750 Millionen Euro (ein Multiplikatoreffekt von 0,75). Dieser Wert ist insbesondere im Wirtschaftsabschwung und für ausgabenseitige Konsolidierungen zu klein und er ist auch kleiner als in der Studie, auf die sich die EU-Kommission bezieht.
- Mittelfristig geht die EU-Kommission davon aus, dass der Multiplikatoreffekt drei Jahre nach der Anpassung komplett verschwindet und die Wirtschaftsleistung auf ihren alten Wachstumspfad zurückkehrt. Auch hier bleibt die EU-Kommission hinter eigenen Publikationen zurück, die länger nachwirkende Bremseffekte diskutieren. Die jüngere Literatur geht davon aus, dass fiskalpolitische Maßnahmen auch mittelfristig wirksam bleiben.
- Die EU-Kommission betrachtet die Auswirkungen der Konsolidierung für jeden Mitgliedstaat separat. Jedoch haben Kürzungen in wichtigen Handelspartnerländern (für Österreich z. B. Deutschland und ferner Italien) über die engen Handelsverflechtungen auch Auswirkungen auf die exportabhängige Wirtschaft und somit die Staatsfinanzen. Diese Effekte werden von der EU-Kommission an anderer Stelle als wichtige Einflussgröße diskutiert, in der DSA aber aktuell ignoriert.
Ich nehme in den DSA-Simulationen an, dass die Konsolidierungsanforderungen umgesetzt werden und – wie die EU-Kommission – dass die Primärüberschüsse die kommenden zehn Jahre gleich bleiben; das bedeutet beispielsweise für Österreich einen Primärüberschuss von 0,8 Prozent des BIP für 2029–2038.
Im wichtigsten alternativen Szenario verändere ich die Annahmen der DSA wie folgt:
- Der kurzfristige Multiplikatoreffekt beträgt nicht 0,75, sondern 0,9 – eine konservative Schätzung auf Basis der internationalen Literatur.
- Der Bremseffekt baut sich erst nach fünf (anstatt drei) Jahren vollständig ab – ebenfalls eine konservative Schätzung auf Basis der internationalen Literatur.
- Die gleichzeitige Konsolidierung in den EU-Mitgliedstaaten vermindert über die Handelsbeziehungen die Wirtschaftsleistung (angelehnt an die empirische Evidenz in der internationalen Literatur).
Mit diesen alternativen Annahmen zeigt sich, dass die simulierte inflationsangepasste Wirtschaftsleistung während des Konsolidierungszeitraums 2025–2028 niedriger ausfällt als unter den offiziellen Annahmen der EU-Kommission.