Seit den 1980er-Jahren steigt die Einkommensungleichheit sowohl in Industrieländern als auch in Schwellenländern an. Eine gewichtige Rolle zur Erklärung steigender Ungleichheit wird „der Globalisierung“ zugeschrieben. Analysiert man die einschlägige wissenschaftliche Literatur, so zeigt sich, dass ökonomische Globalisierung einen kleinen bis mittelgroßen die Einkommensungleichheit erhöhenden Effekt hat – der jedoch weniger durch den verstärkten Austausch von Waren und Dienstleistungen als durch die finanzielle Globalisierung zu erklären ist.
Einer der fundamentalsten und robustesten Trends seit den 1980er-Jahren ist der Anstieg der Einkommensungleichheit, der sowohl in entwickelten als auch in Schwellenländern festzustellen ist. Es liegen mehrere Erklärungen vor, um die zunehmende Einkommensungleichheit innerhalb der Nationalstaaten zu erklären. Eine dieser Erklärungen betrifft die ökonomische Globalisierung: In den letzten Jahrzehnten standen Fragen, wie sich die zunehmende Marktintegration in den Bereichen internationaler Handel und Finanzen auf die Einkommensungleichheit in der ganzen Welt ausgewirkt hat, im Mittelpunkt von sozialwissenschaftlichen Kontroversen. Die akademische Wissenschaft hat dabei zu einer schnell wachsenden Literatur beigetragen.
Richtung und Ausmaßdes Effekts der Globalisierung sind umstritten
Trotz erheblicher Forschungsanstrengungen gibt es unterschiedlicheErgebnisse hinsichtlich der Richtung und des Ausmaßes des Zusammenhangszwischen Globalisierung und Ungleichheit. Auf theoretischer Ebene dominierteine Auseinandersetzung mit dem sogenannten Stolper-Samuelson-Theorem. Diesesbesagt, dass eine zunehmende internationale Handelsintegration dieEinkommensungleichheit innerhalb der Schwellenländer verringere, dieUngleichheit in fortgeschrittenen Volkswirtschaften jedoch erhöhe. Die Öffnung derFinanzmärkte wiederum sollte mit einer Verbesserung derFinanzierungsmöglichkeiten – mit ambivalenter Verteilungswirkung – und einerdie Ungleichheit tendenziell erhöhenden Krisenanfälligkeit einhergehen.
Empirisch ist das Feld der Studien breiter gestreut. So findet sich sowohl Unterstützung für das Stolper-Samuelson-Theorem als auch Widerlegung. In zunehmendem Maße rücken aber auch Aspekte der Globalisierung in den Fokus, die sich nicht um den klassischen Warenhandel drehen. Die zunehmende internationale Integration der Finanzmärkte und die wachsende Zahl an Finanzkrisen führte in den letzten Jahrzehnten zu zahlreichen Studien zur finanziellen Dimension der Globalisierung – allerdings mit ebenso widersprüchlichen Schlussfolgerungen.
Ein weiterer Forschungsstrang beschäftigt sich mit der Frage, ob der Einfluss der Globalisierung gar nicht so wichtig ist, weil – wenn auch nicht gänzlich unabhängige – politische, institutionelle oder ganz andere Faktoren (wie Technologie, Bildung oder makroökonomische Variablen) sehr viel wichtiger für die Ungleichheitsentwicklung seien.
Einkommensungleichheitim Fokus
Angesichts der Vielzahl von Ergebnissen in der wissenschaftlichen Literatur empfiehlt es sich, diese systematisch auszuwerten und, wenn möglich, daraus stilisierte Fakten abzuleiten, anstatt sich selektiv einzelne Resultate herauszupicken. Eine sogenannte Meta-Analyse kann hierbei sinnvolle Dienste leisten. Dabei werden die Ergebnisse und Eigenschaften einer Vielzahl von Studien zu diesem Thema gesammelt und mithilfe statistischer Methoden systematisch ausgewertet.
Was sagen uns nun sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Studien über die Auswirkungen der Globalisierung auf die Einkommensungleichheit? Und welche Faktoren tragen dazu bei, die Unterschiede in den berichteten Ergebnissen über die Beziehung zwischen Globalisierung und Ungleichheit zu erklären? Zur Klärung dieser Fragen habe ich in einer aktuellen Studie alle 123 relevanten englischsprachigen ökonometrischen Studien, die in begutachteten wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln publiziert sind, quantitativ hinsichtlich der in diesen Studien berichteten Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung auf die Einkommensungleichheit analysiert.
Zunächst ist zu klären, wie „ökonomische Globalisierung“ definiert und gemessen werden kann. Brady et al. schlagen vor, diese als „die Intensivierung des internationalen Wirtschaftsaustauschs und die Bezeichnung für die Gegenwart der internationalen Wirtschaftsintegration“ zu verstehen. In der Folge werden drei Dimensionen der internationalen Marktintegration erfasst: Handelsglobalisierung, finanzielle Globalisierung und gesamte ökonomische Globalisierung, wobei Maßzahlen zu Letzterer die Dimensionen von Handel und finanzieller Globalisierung kombinieren.
Der mit Abstand wichtigste Indikator für die Handelsglobalisierung ist die Handelsoffenheit, die typischerweise als Summe der Importe und Exporte in Prozent des BIP gemessen wird, obwohl es auch zahlreiche andere Indikatoren für die Handelsoffenheit gibt und der Indikator für sich betrachtet missverständlich ist. In der Dimension der finanziellen Globalisierung haben ForscherInnen Maßzahlen wie ausländische Direktinvestitionen und Indizes zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs herangezogen. Darüber hinaus hat sich der Index der Globalisierung der Schweizer Konjunkturforschungsstelle zum wohl am häufigsten gebrauchten gesamthaften Globalisierungsindex entwickelt.
NegativeVerteilungseffekte der Globalisierung überwiegen
Wertet man nun die über 1.000 Einzelergebnisse aus den 123gesammelten publizierten Studien aus, so zeigt sich erstens, dass diese relativbreit streuen. Es gibt sowohl Ergebnisse, die einen egalisierenden Verteilungseffektdurch die Globalisierung anzeigen, als auch solche, die einen Effekt inRichtung stärkerer Einkommenskonzentration finden. Zweitens lässt sich feststellen,dass ungleichheitserhöhende Effektgrößen überwiegen – insbesondere für dieTeilgruppe finanzielle Globalisierung. Überraschenderweise lassen sichallerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen Hocheinkommens- undSchwellenländern finden.
Drittens zeigt sich, dass Variablen für Bildung und technologischenFortschritt die in der wissenschaftlichen Literatur berichteten Verteilungseffekteder Globalisierung beeinflussen – weil Bildung und Technologie selbst Teil derErklärung für Veränderungen in der Einkommensungleichheit sind und den Effektvon Globalisierung moderieren.
Letztlich verweisen die Ergebnisse der Meta-Analyse auch aufinteressante methodische Aspekte. Wenn
- der Zusammenhang zwischen Globalisierung und Ungleichheit dasHauptthema einer Untersuchung ist,
- AutorInnen Rückmeldungen von anderen AutorInnen erhalten haben,die in der einschlägigen Literatur veröffentlicht haben und
- AutorInnen zuvor im Bereich der Globalisierung und Ungleichheitveröffentlicht haben,
sind in der Regel jeweils schwächere berichtete Effekte in derLiteratur vorzufinden.
Schlussfolgerungen
Die in diesem Beitrag vorgestellten Meta-Analyse- und Meta-Regressionsergebnisse deuten darauf hin, dass die Globalisierung im Durchschnitt einen (kleinen bis mittelgroßen) die Einkommensungleichheit erhöhenden Effekt hat. Die „Handelsglobalisierung“ dürfte die Einkommensungleichheit in geringerem Maße beeinflusst haben als die „finanzielle Globalisierung“.
Diese quantitative Analyse kann jedoch nicht weiterführende Fragen klären. Ein Bereich wichtiger weiterführender Fragen gilt den indirekten bzw. multifaktoriellen Einflüssen von Globalisierung, denen eine transformierende Kraft auf andere politikrelevante Phänomene zugeschrieben wird – insbesondere auf die Umverteilung durch den Staat sowie auf den wachsenden Rechtspopulismus. Ein zweiter wesentlicher Bereich für eine genauere und weiterführende Analyse betrifft die zeit- und ortsspezifischen Formen der Globalisierung. Denn Globalisierung stellte sich beispielsweise in Form der Ausweitung des Handels mit dem relativ einfachen Mittel des Zollabbaus in der Vergangenheit anders dar als heute, wo bilaterale und multilaterale Versuche forciert werden, um länderübergreifend Standards anzugleichen oder Sonderrechte für internationale Unternehmen durchzusetzen. Weiterführende und breiter gefasste Studien sind somit unerlässlich – insbesondere hinsichtlich der Frage, wie die Globalisierung zukünftig gestaltet werden soll, um die wirtschaftspolitisch gewünschten Effekte zu erzielen.
Dieser Beitrag ist eine überarbeite Version der in der aktuellen Ausgabe der Quartalszeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienenen wissenschaftlich begutachteten Langfassung dieses Beitrags.