Am 17.10.2022 fand die 4. Reichtumskonferenz an der WU Wien statt. Als Pendant zur alle zwei Jahre stattfindenden Armutskonferenz richtete sie ihren Blick auf die Spitze der Verteilung und thematisierte die Probleme, die sich aus der hohen Vermögenskonzentration für die Gesellschaft ergeben. Das heurige Motto der Konferenz war: Was tun gegen Überreichtum und Vermögenskonzentration? Dieses Thema ist gerade angesichts der drohenden sozialen Krise durch die enorme Teuerung von immenser gesellschaftlicher Bedeutung.
Die Fakten liegen auf der Hand
Mittlerweile ist allgemein bekannt, dass die soziale Ungleichheit in den meisten Industrieländern zunimmt. Vor allem privates Vermögen ist höchst konzentriert und damit sehr ungleich verteilt. Die Vermögenden profitierten in Europa seit den 1980er-Jahren von der Deregulierung der Märkte, Privatisierungswellen, der Orientierung am Shareholder-Value sowie dem internationalen Steuerwettbewerb und den Steuersümpfen. In Österreich besitzt das reichste Prozent der Haushalte Schätzungen zufolge rund 40 Prozent des Nettovermögens. Die obersten 10 Prozent haben mehr als die restlichen 90 Prozent der Bevölkerung gemeinsam. Damit steht das Land europaweit an der unrühmlichen Spitze, was die Vermögensungleichheit betrifft. Die Corona-Krise hat die Ungleichheit zwischen den Reichsten und dem Rest der Gesellschaft weiter verschärft: Das Vermögen der hundert reichsten Österreicher:innen ist von 2020 auf 2021 beispielsweise um 15 Prozent angestiegen, während rund 1,29 Millionen Menschen weiterhin armutsgefährdet sind und eine wachsende Zahl an Menschen ohne sozialstaatliche Leistungen ihren Lebensbedarf nicht mehr sichern kann. Nicht nur aus sozialpolitischer, sondern auch aus ökologischer Perspektive ist dieses Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich bedrohlich. Berechnungen zufolge verursacht das einkommensstärkste Prozent beispielsweise rund 17 Prozent aller CO2-Emissionen in Österreich und lebt damit sein „gutes Leben“ auf Kosten unserer gemeinsamen Zukunft.
Warum ist das Ungleichheitsregime so stabil?
Dennoch entgeht interessierten Beobachter:innen nicht, dass sich an der ungleichen Vermögensverteilung in den letzten Jahren kaum etwas geändert hat. Dies lässt sich in erster Linie machtpolitisch erklären: Wer viel Vermögen besitzt, kann sich politisch mehr Gehör verschaffen als andere und damit Vorteile auf Kosten der breiten Bevölkerung erlangen. Politische Macht kann über verschiedene Kanäle geltend gemacht werden. Zum einen mittels Mitsprache durch Wahlen. Die Arbeiten der Soziologin Martina Zandonella zeigen unter anderem, dass diese stark vom sozialen Status abhängt: In Österreich verzichten im ökonomisch stärksten Drittel ihren Berechnungen zufolge nur 17 Prozent auf ihr Wahlrecht, im ökonomisch schwächsten Drittel sind es aber bereits 41 Prozent, die nicht zur Wahlurne gehen.
Es gibt aber auch zahlreiche andere Formen, die Politik im eigenen Interesse zu beeinflussen, zum Beispiel über persönliche Kontakte und Netzwerke, Lobbystrategien, Parteispenden oder direkten wie indirekten Einfluss auf die Meinungsbildung. Je reicher eine Person ist, desto mehr Möglichkeiten der politischen Mitgestaltung hat sie. Durch diese höheren Machteinflüsse werden reiche Menschen in weiterer Folge beispielsweise nicht fair besteuert, die Umverteilung von Reich zu Arm bleibt gering und die soziale Schere geht weiter auf.
Allerdings sind handfeste machtpolitische Überlegungen nicht der einzige Grund für die Stabilität des Ungleichheitsregimes: Schon die Soziologen Thorstein Veblen oder Georg Simmel wiesen darauf hin, dass Reichtum in unserer Gesellschaft per se positiv besetzt ist. Reich sein bedeutet, sich keine (finanziellen) Sorgen machen zu müssen und sich alles leisten zu können, was man will. Reichtum wird auch mit Freiheit verbunden, denn wer Geld hat, kann sich aus den Abhängigkeiten gegenüber anderen Menschen herauslösen. Und wer möchte nicht gerne frei, unbeschwert und glücklich leben?
Gleichzeitig wird individueller Reichtum vielfach auch mit einer höheren Leistung begründet und damit legitimiert: Reiche Menschen haben eben hart gearbeitet und mehr geleistet als andere. Dies ist natürlich ein Mythos, denn zum einen hat nicht jede:r die Chance, über „eigene Leistung“ reich zu werden. Hohe Vermögen und damit einhergehende Startvorteile (auch im Bereich der Bildung) werden meist über Generationen hinweg weitervererbt. Hinter dem Vermögen einiger weniger steckt die Leistung vieler (und nicht zuletzt auch staatliche Infrastruktur). Zum anderen greift das Leistungsprinzip bei hohen Einkommen und Vermögen nur bedingt: So lässt sich etwa die steigende Kluft zwischen Manager:innengehältern und dem Durchschnittseinkommen wohl kaum nur durch reine Leistungsunterschiede erklären.
Aber woher rührt dann diese weite Verbreitung des Leistungsprinzips? Studien weisen unter anderem darauf hin, dass in einer meritokratischen Gesellschaft viele Menschen nach Wohlstand streben und es sich zum Lebensziel machen, durch „harte Arbeit“ aufzusteigen. Das steigert die generelle Akzeptanz gegenüber jenen, die es – so lautet jedenfalls die Erzählung – über „harte Arbeit“ und „gute Ideen“ geschafft haben. Die Soziologin Hannah Quinz zeigt aber auch, dass reiche Menschen das Narrativ, es „selbst geschafft“ und daher ihren Reichtum „verdient“ zu haben, gezielt weiter schüren, indem sie im Rückblick auf ihren eigenen Lebensweg besonders diese Aspekte betonen, während sie strukturelle Vorteile oder soziale Netzwerke in den Hintergrund rücken. Auch betonen sie, wie der Vermögensforscher Martin Schürz argumentiert, gern ihre Rolle als die „besseren“ Menschen, indem sie stets darauf hinweisen, was sie der Gesellschaft alles zurückgeben (zum Beispiel Arbeitsplätze schaffen, gesellschaftlich notwendige Projekte fördern oder einen Teil ihres Vermögens spenden). Wer sie kritisiert, wird oft als „neidisch“ beschrieben.
Es wird in der Forschung aber auch schlicht auf die Tatsache hingewiesen, dass die Vermögenskonzentration und das private Vermögen einiger weniger mittlerweile so groß geworden ist, dass es für viele Menschen unvorstellbar wird: Was bedeutet es denn, wenn ein:e Einzelne:r über so viel Geld verfügt, dass es dem BIP eines ganzen Landes entspricht? Diese schlichte Unvorstellbarkeit von Reichtum unterstützt auch die Stabilität des Ungleichheitsregimes.
Was also tun?
Die Fakten und Erklärungen zur Stabilität des Ungleichheitsregimes wurden in den letzten Reichtumskonferenzen bereits umfassend erläutert und diskutiert. Ziel der 4. Reichtumskonferenz ist es nun, den Blick in die Zukunft zu richten und gemeinsam Lösungen und Strategien gegen hohe Vermögenskonzentration und Überreichtum zu erarbeiten.
Klar ist: Ein zu großes Ausmaß an sozialer Ungleichheit wird in Österreich als ungerecht erachtet. Über 80 Prozent der Bevölkerung empfinden die Unterschiede zwischen Arm und Reich mittlerweile als zu groß. Vermögensungleichheit wird in der Regel auch stärker kritisiert als Einkommensungleichheit. Vor allem die Folgen einer hohen privaten Vermögenskonzentration, wie ungerechtfertigte Vorteile für einige wenige oder die Gefährdung des sozialen Zusammenhalts, stehen im Zentrum der Kritik.
Fest steht aber auch: Gesellschaftliche Kritik allein wird nicht ausreichen, um Überreichtum und Vermögenskonzentration zu reduzieren. In verschiedenen Workshops wurden im Rahmen der 4. Reichtumskonferenz daher anhand von konkreten gesellschaftlichen und politischen Feldern und Akteur:innen gemeinsam Lösungen und Strategien erarbeitet. Sei es für den Bereich der Medien, des Wohnens, der Umwelt, der Bildung oder der Gesundheit und Pflege, allgemein für die Rolle des Rechts und der Steuerpolitik oder im Konkreten für die Rolle von multinationalen Konzernen, Think-Tanks und Lobbynetzwerken.
Hoffnung gibt die Tatsache, dass der Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass Ungleichheitsentwicklungen keineswegs naturgegeben sind. Es gibt in der Geschichte nicht „automatisch“ Phasen mit einem höheren und einem niedrigeren Ausmaß sozialer Ungleichheit. Dieses war und ist hingegen stets ein Ausdruck einer spezifischen Form von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und damit einhergehend von bewusst gewählten politischen Entscheidungen. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass die aktuelle Zunahme sozialer Ungleichheit nicht notgedrungen so weitergehen muss, sondern dass sich über gesellschaftliche Kämpfe Ideologien wie Politiken und damit einhergehend auch materielle Verhältnisse (in Richtung einer Reduktion sozialer Ungleichheit) verändern können. Möge die 4. Reichtumskonferenz ihren Beitrag hierzu leisten.
Die 4. Reichtumskonferenz fand am 17. Oktober 2022 an der WU Wien statt. Die Materialien und Informationen zur Konferenz sind online verfügbar.