Die eklatante Kluft zwischen den Einkommen der Vorstände in den großen, börsennotierten Unternehmen Österreichs und der Beschäftigten im Land bleibt einmal mehr bestehen. Dank hoher Bonuszahlungen war 2019 nach 2018 das bislang zweitbeste Gagenjahr für das heimische Top-Management. Damit die Schere in der Krise nicht weiter aufgeht, muss die – 2020 erstmals verpflichtend – zu erstellende Vergütungspolitik für den Vorstand nach einem gänzlich neuen Paradigma ausgerichtet werden.
Klaffende Einkommensschere
Die AK-Studie „Vorstandsvergütung in den ATX-Unternehmen“ vom April 2020 zeigt, dass das Durchschnittsgehalt der Vorstände in den 20 Unternehmen des Leitindex der Wiener Börse (Austrian Traded Index) im Jahr 2019 knapp 1,9 Mio. Euro erreicht: Das ist 57-mal so viel wie das mittlere Einkommen aller Beschäftigten in Österreich. Seit Beginn der AK-Erhebungen im Jahr 2003 war die Schere nur 2018 mit dem Faktor 1:64 größer. Angesichts der herrschenden Wirtschaftskrise drängt sich nicht nur die Frage der Verhältnismäßigkeit auf, sondern auch jene nach der sozialen Verantwortung der Vorstände. So wie die Beschäftigten mit Kurzarbeit und (Corona-bedingt) oftmals erschwerten Arbeitsbedingungen einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, müssen sich auch die Vorstände ihrer gesamtgesellschaftlichen und unternehmerischen Verantwortung gewahr sein. Dies gilt besonders für das Management in börsennotierten Unternehmen, die Staatshilfe in Anspruch nehmen. Denn die Inanspruchnahme von staatlichen Maßnahmen zur Liquiditätssicherung steht diametral im Widerspruch zu überzogenen Vorstandsgehältern, die zuletzt maßgeblich von hohen Bonuszahlungen angetrieben wurden.
Halber Bonus
Unternehmen, die auf staatliche Unterstützung zurückgreifen, sollten auf mindestens 50 Prozent der letztjährigen Bonuszahlungen für das Management verzichten. Dies gilt bereits bei der Inanspruchnahme von Direktzuschüssen, Garantien und Direktkrediten, die über die Finanzierungsagentur des Bundes (COFAG) gewährt werden. Diese verpflichtende „Boni-Bremse“ sollte jedoch einheitlich als unverzichtbare Voraussetzung für sämtliche staatliche Maßnahmen gelten, wie z. B. bei Kurzarbeit oder beim Unterstützungsprogramm der Österreichischen Kontrollbank für Exportunternehmen („Sonder-KRR“). Bei Eigenkapitalbeteiligungen, die ein höheres Risiko für den Staat mit sich bringen, muss die Messlatte noch höher liegen: In Anlehnung an die sogenannten Governance-Voraussetzungen im „Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Unterstützung der Wirtschaft angesichts des Ausbruchs von COVID-19“ der EU-Kommission soll für die Dauer einer staatlichen Beteiligung (bis zur Rückzahlung von mindestens 75 Prozent) eine Beschränkung der Vorstandsvergütung gelten: Für börsennotierte Unternehmen in Österreich sollte hier als Richtschnur die Grenze der steuerlichen Absatzbarkeit und damit eine Beschränkung der Managergehälter bei 500.000 Euro eingezogen werden. Zudem muss es ein Verbot von Bonuszahlungen sowie anderer variabler oder vergleichbarer Vergütungselemente geben.
Nachhaltige Ziele
Bei der kritischen Diskussion der herrschenden Vorstandsvergütungspolitik geht es neben der Höhe bzw. der Angemessenheit im Kern um die bedeutende Frage, nach welchen Prinzipien ManagerInnen (unter 78 ATX-Vorständen sind im Juni 2020 lediglich fünf Frauen vertreten) ihr Unternehmen steuern: D. h. welche quantitativen, qualitativen, strategischen oder individuellen Ziele wurden vonseiten des Aufsichtsrats für die Vorstände definiert? Wesentlich ist darüber hinaus, welches Gewicht der Zielerreichung und damit dem Bonus beigemessen wird: Bezogen auf das Jahr 2019, stammt ein Anteil von 42,5 Prozent aus dem Fixgehalt, das unabhängig von der Zielerreichung fließt; weitere 8,6 Prozent steuern die sonstigen Gehaltsbestandteile (wie Abfindungen, Pensionen, Sachbezüge etc.) zur Gesamtvergütung bei. Fast die Hälfte (48,9 Prozent) trägt somit bereits die variable Vergütung und damit die „klassische“ Bonuszahlung zur Gesamtvergütung bei. Dabei zeigt sich, dass die Bonuszahlungen fast zur Gänze vom finanziellen Erfolg des Unternehmens abhängig sind. Es dominieren also „harte“ Bonusziele wie die Steigerung des Jahresüberschusses oder des Aktienkurses. An zukunftsweisenden Zielen wie den Sustainable Development Goals (SDGs), den europäischen Klima- und Energiezielen 2030 an Innovation und Diversität, an Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten oder an der Steigerung der Anzahl von Frauen in Führungspositionen werden Vorstände bis heute nicht gemessen. Dies bestätigt Michael Schaumann von Stanton Chase, einem auf höchste Führungsebenen spezialisierten Headhunter: „Die Vergütung richtet sich derzeit tatsächlich zu wenig nach strategischen und nachhaltigen Zielen, sondern überwiegend nach finanziellen Kriterien.“
Gefinkelte Entlohnungstaktik
In der Krise hätte die Dominanz von Finanzkennzahlen ausnahmsweise sogar etwas Gutes: Im Grunde könnte man nämlich davon ausgehen, dass sich – unter der Annahme einer unerfreulichen Ertragsentwicklung – die Boni und damit die Vorstandsvergütung insgesamt automatisch reduzieren. Doch sicher ist das nicht, wie die Erfahrungen nach der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen: Im Krisenjahr 2009 lag der Anteil des fixen Teils am durchschnittlichen Vorstandsgehalt bei 60,4 Prozent, 2008 waren es noch 46,6 Prozent; das „Krisengehalt“ machte knapp eine Million Euro aus. Schon 2011 erreichte die Vorstandsvergütung mit 1,3 Mio. Euro wieder das Vorkrisenniveau – 60,5 Prozent stammen dabei noch immer aus fixen Bestandteilen. Von 2008 auf 2011 wurden die Fixgehälter um 29,5 Prozent angehoben, auch sonstige Gehaltsbestandteile haben zugenommen, während Bonuszahlungen um mehr als die Hälfte gesunken sind. Diese Entlohnungstaktik – also die Auswahl der Vergütungsinstrumente je nach Opportunität – darf sich jetzt nicht wiederholen.