„We have a world to win“ – damit trifft die Bewegung „Fridays for Future“ den Nerv der Zeit. Für die AktivistInnen ist klar, dass es eine stärkere Ausrichtung der politischen Agenda auf ökologische und soziale Belange braucht. Die zunehmende Bedeutung von Klimaschutz und Nachhaltigkeit bringt nicht nur die Politik unter Zugzwang, auch Anleger fordern bei Investitionsentscheidungen verstärkt die Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance). Der Ruf nach sozialer und ökologischer Rendite ist nicht zu überhören. Doch CSR-Ratings machen noch keine bessere Welt, dafür ist eine substanzielle Neuausrichtung der Steuerung kapitalmarktorientierter Konzerne notwendig.
Damit dies gelingt, muss sich die Unternehmensführung an einer transparenten, konsequenten Nachhaltigkeitsstrategie orientieren, die wesentliche politische Leitlinien wie das Erreichen der Sustainable Development Goals (SDGs) oder der europäischen Klima- und Energieziele 2030 integriert. Im nächsten Schritt sind Nachhaltigkeitskennzahlen aus den Kategorien Umwelt, ArbeitnehmerInnen, Soziales und Gesellschaft auszuwählen und mit konkreten Zielvorgaben (z. B. CO2-Reduktion, Anhebung des Frauenanteils in Führungspositionen auf 40 Prozent) zu versehen. Diese nichtfinanziellen Ziele sollten sich zudem im Bonussystem der Vorstandsvergütung und damit in der unmittelbaren Steuerung des Unternehmens wiederfinden. So kann es gelingen, den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu schaffen, die langfristige Rentabilität mit sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz verbindet.
Die Renaissance der ehrbaren Kaufleute?
Tatsächlich ist das Gros der österreichischen Wirtschaft von diesem hehren Ziel weit entfernt, mangelt es doch sowohl an der Integration von Nachhaltigkeit in den Kern der Unternehmensstrategie als auch an einer nachhaltigen Vergütungskultur für das Management. Woran es allerdings nicht fehlt, sind medienwirksame Lippenbekenntnisse der Unternehmen, doch diese Lesart von Corporate Social Responsibility (CSR) gerät verstärkt in Misskredit. Selbst die europäische Politik, die immer wieder das Prinzip Selbstverpflichtung proklamiert, setzt nunmehr beispielsweise mit dem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (Sustainable Finance) oder der Aktionärsrechterichtlinie erste (zaghafte) Schritte in Richtung mehr Verbindlichkeit im Hinblick auf nachhaltiges Wirtschaften. So will die Aktionärsrechterichtlinie über den Anker der Vorstandsvergütung börsennotierten Konzernen zu mehr Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung verhelfen. Weitere Ziele sind die Erhöhung der Transparenz sowie die Einbindung der Aktionäre in Vergütungsfragen.
Etwas verspätet wurde diese Richtlinie Anfang Juli 2019 auch in Österreich mit dem Aktienrechts-Änderungsgesetz 2019 (AktRÄG) umgesetzt. Demnach hat die Vergütungspolitik für den Vorstand die Geschäftsstrategie und die langfristige Entwicklung der Gesellschaft zu fördern. Eine konkrete Vorgabe zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten findet sich jedoch nicht: Bezogen auf nichtfinanzielle Leistungskriterien, die gerade für die nachhaltige Unternehmenssteuerung von Bedeutung sind, sehen lediglich die Erläuterungen zum Gesetz folgende Konkretisierung vor: „Die Leistung von Mitgliedern der Unternehmensleitung sollte anhand sowohl finanzieller als auch nichtfinanzieller Kriterien, gegebenenfalls einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren, bewertet werden.“ Im Gesetz selbst ist es hingegen verabsäumt worden, Kriterien im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen zu präzisieren bzw. einen konkreten Mindestanteil für deren Berücksichtigung in der Anreizstruktur vorzusehen.
Die Zeichen stehen auf „ökologisch-soziale“ Vorstandsboni
Zwar hat der Gesetzgeber Mut zur Lücke bewiesen, dennoch ist die Botschaft unmissverständlich: Vorstände müssen künftig verstärkt am ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Impact des Unternehmens gemessen werden. Dafür ist es auch höchste Zeit, denn der Aufholbedarf in Struktur und Gestaltung der Vergütungspolitik für Vorstände börsennotierter Unternehmen ist groß, wie die Geschäftsberichte 2018 bzw. 2018/19 der 20 Unternehmen des Austrian Traded Index (ATX) zeigen: Nach wie vor spielen nichtfinanzielle Kriterien eine untergeordnete Rolle, es dominieren kurzfristige Finanzziele wie Umsatz, Gewinn oder EBIT. Dabei könnten gerade kapitalmarktorientierte Unternehmen, was die Auswahl von nichtfinanziellen Indikatoren betrifft, aus dem Vollen schöpfen – sind sie doch (ab 500 Beschäftigten) laut Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG) rechtlich verpflichtet, über Key Performance Indicators (KPI) in den Belangen Umwelt, Soziales, ArbeitnehmerInnen, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption zu berichten. Diese Leistungsindikatoren sollten verstärkt zur Unternehmenssteuerung sowie als Bonusziele für das Management eingesetzt werden.
Bislang gelingt diese zukunftsweisende Verknüpfung nur in Ausnahmefällen, die Mehrheit der Unternehmen setzt wie bisher auf Steuerung per Finanzkennzahlen: So verweist der Anlagenbauer Andritz AG darauf, dass sich die variable Vergütung für den Vorstand ausschließlich am Jahresüberschuss und damit einzig und allein am Gewinn orientiert. Dass es anders gehen kann, zeigen Konzerne wie die Österreichische Post AG: Hier ist mehr als ein Drittel (35 Prozent) der variablen Vergütung des Vorstands an nichtfinanzielle Aspekte aus dem Bereich Kundenorientierung (Zustellqualität), Umwelt und Mitarbeiter geknüpft. Vielfach bleibt es in der Gesamtschau der 20 Unternehmen des Leitindex an der Wiener Börse aber für externe Vergütungsanalysten völlig im Dunkeln, welche Anreize der Vergütungspolitik zugrunde liegen: Es mangelt neben der Implementierung nichtfinanzieller Indikatoren auch an Transparenz. Defizite in der Offenlegung treten insbesondere bei der Abgrenzung zwischen kurz- und langfristigen Bonuszahlungen sowie dem Ausweis von „sensiblen“ Gehaltsbestandteilen wie Abfertigungen, Abfindungen und Pensionszusagen auf. Die Unternehmensberatung hkp hält dazu fest, dass die gängige Ausweispraxis der Vorstandsvergütung in den ATX-Unternehmen den internationalen Marktstandards nicht standhält.
Wake up, Wise up: Unternehmen nachhaltig steuern
Diese intransparente und kurzfristig orientierte Vergütungspolitik für Vorstände hat dazu geführt, dass die Einkommen immer weiter auseinanderdriften: Die Gesamterhebung der ATX-Unternehmen im Juli 2019 zeigt, dass sich das Einkommen eines ATX-Vorstands im Jahr 2018 im Schnitt auf 2,04 Mio. Euro belief, das ist der bisherige Spitzenwert seit Beginn der AK-Erhebungen vor 15 Jahren. Maßgebliche Treiber sind variable Vergütungsbestandteile, die sich insbesondere an Finanzkennzahlen und der Steigerung des Aktienkurses orientieren. Derselbe Trend lässt sich aus der Einkommensbefragung des Wirtschaftsforums der Führungskräfte (WdF) von mehr als 600 Führungskräften aus der ersten und zweiten Führungsebene ablesen, wo mit klassischen Parametern wie Gewinn und anderen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen hohe Boni lukriert wurden, während die so oft geforderten modernen Kennzahlen für einen Bonus, wie etwa Nachhaltigkeit, Diversität oder MitarbeiterInnenzufriedenheit, nicht berücksichtigt werden.
Zukunftsorientierte Unternehmenssteuerung sieht anders aus und braucht nachhaltige, transparente Anreizstrukturen für das Management. Wie aus der AK-Stellungnahme zum Aktienrechts-Änderungsgesetz 2019 (AktRÄG) hervorgeht, hat die – im Herbst – zu wählende Regierung im Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen für Nachhaltigkeit, Transparenz und Angemessenheit in der Vorstandsvergütung börsennotierter Unternehmen nachzujustieren. Damit beispielsweise die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen (§ 78a Abs. 3 AktG) der ArbeitnehmerInnen der jeweiligen Gesellschaft tatsächlich berücksichtigt werden (vertikaler Vergleich), muss der Gesetzgeber den Aufsichtsrat in die Pflicht nehmen: Dieser soll eine angemessene Relation („Manager to Worker-Pay-Ratio“) zwischen der Vergütung des Vorstands und der Belegschaft festlegen. Eine ähnliche Regelung dazu findet sich bereits im Deutschen Corporate Governance Kodex. Zudem sind die evidenten Defizite im Ausweis von Altersversorgung und Nebenleistungen, die nach wie vor eine Analyse nach internationalen Standards erschweren, zu beheben. Der neue Vergütungsbericht (§ 78c AktG) sollte Teil des Corporate Governance Berichtes sein und muss auch sensible Gehaltsbestandteile wie Abfertigungen bzw. Abfindungen sowie Pensionszusagen individuell ausweisen. Vorrangig ist es, nichtfinanzielle Ziele in den Bereichen Umwelt, Soziales und Gesellschaft zu konkretisieren und einen bestimmten Mindestanteil dafür in der variablen Vergütung vorzusehen (z. B. mindestens 20 Prozent). Denn sonst besteht die Gefahr, dass nachhaltige Unternehmenssteuerung das bleibt, was sie heute ist – und damit werden sich auf Dauer weder Beschäftigte, KundInnen noch die Zivilgesellschaft zufriedengeben.