In der letzten Parlamentssitzung vor den Neuwahlen scheiterte ein Initiativantrag zur Änderung der Bundesverfassung, mit dem eine sogenannte Schuldenbremse verankert werden sollte, vorerst an der 2/3-Mehrheit. Diese Verfassungsmehrheit wäre nun nach der Nationalratswahl gegeben. Deshalb analysieren wir den Vorschlag hinsichtlich seiner potenziellen sozial- und wirtschaftspolitischen Auswirkungen.
Es zeigt sich, dass die vorgeschlagene Schuldenbremse im Sinne einer wohlstandsorientierten Budgetpolitik problematisch wäre, weil sie (1.) in Abschwungphasen zu wirtschaftlich schädlichen prozyklischen Budgetkürzungen führen, (2.) die Tür für politische Willkür öffnen und (3.) die Ausschöpfung des Wohlstandspotenzials verunmöglichen kann.
Die Idee konkreter numerischer Budgetregeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung ist in vielen Staaten umgesetzt. Üblicherweise wird dabei die Höhe des Budgetdefizits, manchmal auch jene der Staatsverschuldung, beschränkt. In der Regel gilt: Je stärker die an diese Orientierungsgrößen gekoppelten Sanktionen bei Regelverletzungen sind, desto mehr Ausnahmen müssen für jene Situationen definiert werden, in denen die Regeln nicht sinnvoll eingehalten werden können. Das prominenteste Beispiel sind die europäischen Budgetregeln.
Ausgehend von Deutschland gab es in den letzten Jahren den Trend, diese Regeln auch auf nationaler Ebene festzuschreiben. Mit dem außerhalb des europäischen Rechtssystems vereinbarten Fiskalpakt sollte dies sogar im Rahmen der nationalen Verfassungen geschehen. In Österreich erfolgte die Umsetzung im Rahmen des Bundeshaushaltsrechts sowie einer – von der Bundesregierung nicht einseitig aufkündbaren – Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden – dem Österreichischen Stabilitätspakt.
Darin enthalten ist eine „Schuldenbremse“, definiert als verpflichtende Obergrenze für das strukturelle Defizit von 0,45 % der Wirtschaftsleistung, ergänzt um Kontrollkonten, auf denen allfällige Überschreitungen zu verbuchen sind (und die in der Zukunft auszugleichen sind). Erstmalig gültig ist diese Schuldenbremse übrigens heuer (allerdings nach einem Übergangszeitraum von 2012 bis 2016) – erste Ergebnisse werden im Sommer 2018 vorliegen. Es überrascht, dass diese Regelung nun bereits vor der erstmaligen Anwendung per Initiativantrag verändert werden sollte.
Grundproblem 1: Wechselspiel öffentliche Haushalte und Konjunkturverlauf
Grundproblem jeder Budgetregel ist, dass öffentliche Haushalte nicht wie ein Privathaushalt funktionieren: Wenn ein privater Haushalt z. B. 10 % seiner Ausgaben kürzt, ist das volkswirtschaftlich egal. Würde der Staat 10 % seiner Ausgaben kürzen, fehlen im Wirtschaftskreislauf an die 18 Mrd. Euro – mit entsprechenden Auswirkungen auf Einkommen und Beschäftigung. Zum Vergleich: 2009, im Jahr der schwersten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg, schrumpfte die heimische Wirtschaftsleistung um 5,7 Mrd. Euro. Sinken Einkommen und Beschäftigung, dann gehen auch die Einnahmen eines Staates zurück. Eine Verbesserung des Staatshaushaltes ist deshalb nur in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs sinnvoll möglich. Budgetregeln stehen dazu in einem unauflösbaren Widerspruch – ihr Ziel ist ja gerade umgekehrt, die budgetären Handlungsmöglichkeiten unter allen Umständen einzuschränken.
Gelöst wird dieses Grundproblem in der Praxis durch diverse Ausnahmeregelungen sowie eine Berücksichtigung der konjunkturellen Lage in den Regelwerten. Das macht die Regeln aber komplex und führt zur Notwendigkeit zuverlässiger ökonomischer Berechnungen für konjunkturbereinigte Defizite als Grundlage für die Budgetplanung und -kontrolle. Das hat sich in den letzten Jahren allerdings als nicht machbar erwiesen. Zwar gibt es ökonomische Methoden, mit denen konjunkturelle Einflüsse auf die Neuverschuldung geschätzt und um Sonderfaktoren korrigiert werden können, doch sind diese sehr unzuverlässig. Das gilt insbesondere für das strukturelle Defizit.
Grundproblem 2: Wohlstandsorientierte Budgetpolitik wird ausgebremst
Ein weiteres Grundproblem von Budgetregeln besteht in der gesetzlichen Priorisierung eines Ziels der Budgetpolitik (Verringerung des Budgetdefizits) gegenüber anderen sozial- und wirtschaftspolitischen Zielen (Verringerung der Arbeitslosigkeit, Ausweitung öffentlicher Investitionen oder Ausbau von sozialen Dienstleistungen). Eine wohlstandsorientierte Politik erfordert aber eine ausgewogene Ausrichtung an allen Zielen der Budgetpolitik.
Es wäre auch vor dem Hintergrund der ohnehin bereits stabilen Staatsfinanzen besonders unverständlich. Zieht man als Kriterium eine langfristige Stabilisierung des Staatsschuldenstandes unter 60 % des BIP heran, so erfüllt die Budgetpolitik dieses Ziel seit 2012 durchgehend: