Preissteigerungen und Energiearmut in Wien: ein Rückblick auf 2022

24. Januar 2023

Das Jahr 2022 verzeichnete die höchste Teuerungsrate seit Jahrzehnten: Im Jahresdurchschnitt betrug die Inflation 8,6 Prozent. Preise für Güter des täglichen Verbrauchs waren also im Schnitt fast ein Zehntel teurer als im Vorjahr. Die Teuerung trifft jedoch nicht alle Haushalte und auch nicht alle Bundesländer gleich. Abgesehen von deutlichen Diskrepanzen in der Möglichkeit der selbstständigen finanziellen Abfederung verfügen Haushalte je nach Einkommen auch über verschiedene Konsummuster, die sie bei Preissteigerungen unterschiedlich vulnerabel machen. Wenn das verstärkt die Grundbedürfnisse Wohnen, Energie & Ernährung betrifft, kann die Teuerung zur existenziellen Bedrohung werden.

Ursachen der gestiegenen und weiter hohen Energiepreise

Grund für den außergewöhnlichen Anstieg des Verbraucherpreisindex ist in erster Linie eine (fossile) Energiekrise, die vorwiegend durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ausgelöst wurde. Auch wenn die Energiepreise bereits Ende 2021 zu steigen begannen, schossen allen voran die Gaspreise nach Beginn des Kriegs regelrecht und kontinuierlich in die Höhe und bedingten auch einen Anstieg von Öl-, Strom- und sogar Fernwärmepreisen. Auch Basiseffekte als Folgen der Corona-Krise sowie Lieferkettenprobleme spielen aber teilweise noch eine Rolle. Problematisch ist vor allem, dass trotz derzeit sinkender Großhandelspreise am Gasmarkt spürbare Entlastungen für die Haushalte wohl erst – wenn überhaupt – in ein paar Monaten eintreten werden. Denn auch in der Vergangenheit haben Energielieferanten Preissenkungen kaum bis gar nicht an die Konsument:innen weitergegeben, wie vor allem während der ersten Phase der Corona-Pandemie zu beobachten war.

Wie viele Haushalte können sich Heizkosten nicht mehr leisten?

Der Begriff „Energiearmut“ – also die mangelnde Fähigkeit, Energiekosten zu stemmen und Energie so nutzen zu können, wie sie gebraucht wird – erlangte vor allem in den letzten Monaten einiges an erhöhter Aufmerksamkeit. Dabei ist „Energiearmut“ kein neues Phänomen: Auch abseits der Energiekrise gibt es Tausende Haushalte in Wien (und Österreich), die bei der Bezahlung ihrer Energiekosten unter Druck stehen. Wien ist hier grundsätzlich aufgrund diverser sozioökonomischer Merkmale stärker betroffen als der Rest Österreichs. Eine einheitliche Definition der „energiearmen Haushalte“ gibt es nicht, Annäherungen jedoch viele. Manche davon zählen Haushalte, die Energiekosten einer gewissen Höhe bestreiten und gleichzeitig an der Armutsgefährdungsgrenze leben. Andere quantifizieren Haushalte, die ihre Wohnung laut eigenen Angaben nicht angemessen warm halten können oder im letzten Jahr mindestens einmal mit ihren Wohnnebenkosten in Verzug waren.

Im Schnitt der letzten drei Jahre trafen die beiden letzteren Definitionen in Wien auf rund 37.000 und somit auf vier Prozent der Haushalte zu, österreichweit auf rund zwei Prozent. Die Umfrage „So geht’s uns heute“, die seit dem letzten Quartal 2021 von der Statistik Austria durchgeführt wird, schließt mit aktuelleren Werten an: Dementsprechend ist die Zahl der betroffenen Haushalte infolge der Krisensituation deutlich angestiegen. Im 2. Quartal 2022 konnten es sich laut der Umfrage 14 Prozent der Wiener:innen nicht leisten, ihre Wohnung angemessen warm zu halten – fast doppelt so viele wie in Österreich und mehr als dreimal so viele als noch im Jahr 2021. Auch die Zahl der Haushalte, die bei der Bezahlung ihrer Wohnnebenkosten Probleme haben, ist angestiegen – wenn auch nicht gleich stark. Ein Grund für die regionalen Unterschiede kann der höhere Anteil von häufiger betroffenen Ein-Personen-Haushalten in Wien sein. Zudem weisen Großstädte aufgrund größerer sozioökonomischer Diversität tendenziell ein geringeres mittleres Einkommensniveau, eine höhere Arbeitslosen- und Armutsgefährdungsquote sowie einen höheren Anteil an Mieter:innen auf als kleinere Städte oder ländliche Gebiete oder in diesem Falle der Rest Österreichs.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Grundbedürfnisse müssen gesichert werden

Die derzeitige Lage verschärft die Situation natürlich sehr. Die Preise steigen überall und treffen so Haushalte in allen, nicht nur den niedrigsten Einkommensgruppen. Wichtig bei politischen Maßnahmen ist hier in erster Linie jedoch, vor allem die Möglichkeit der Deckung der Grundbedürfnisse, also Wohnen, Energie und Ernährung, im Blick zu haben. Wirft man einen Blick auf die verschiedenen Konsummuster je nach verfügbaren Haushaltseinkommen (siehe Grafik), wird klar: Besonders ärmere Haushalte geraten bei der Preissteigerung von Grundbedürfnissen unter Druck. In den ersten beiden Einkommensdezilen wird nämlich rund die Hälfte des Haushaltseinkommens für lebensnotwendige Güter ausgegeben – in den oberen nur rund ein Drittel. Zu den 10 bzw. 20 einkommensschwächsten Prozent der Wiener Haushalte zählen hier jene mit einem verfügbaren Nettoeinkommen von maximal rund 1.150 bzw. 1.650 Euro im Monat. Die reichsten 20 bzw. 10 Prozent haben hingegen mindestens 5.070 bzw. 6.410 Euro pro Monat zur Verfügung. Im Durchschnitt verfügt ein Wiener Haushalt laut dieser Datenquelle über 3.540 Euro im Monat.

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Zusätzlich zu den verschiedenen Ausgabenmustern zeigen detaillierte Daten der Teuerung, dass die Preise für die Grundbedürfnisse überproportional steigen: Während die Inflation im Jahr 2022 laut Statistik Austria rund 8,6 Prozent betrug, lag sie für Nahrungsmittel bei rund 11 Prozent; bei Wohnen, Wasser & Energie sogar bei fast 13 Prozent. Die Energiekosten stiegen besonders stark an: Sie waren im Jahresdurchschnitt rund 37 Prozent höher als im Jahr 2021.

Mehrkosten belasten ärmere Haushalte überproportional

Einkommensschwache Haushalte leiden also mehrfach unter der Teuerung: Sie geben gemessen an ihren Gesamtausgaben mehr für lebensnotwendige Güter aus, deren Preise in den letzten Monaten besonders stark gestiegen sind. Eine Änderung des Konsumverhaltens ist hier oft nicht möglich: Wohnungsmieten müssen bezahlt und Nahrungsmittel konsumiert werden, und ein Grundverbrauch an Energie ist ebenso unausweichlich, um (über)leben zu können. Zusätzlich besitzen gerade diese Haushalte jedoch oft wenig Rücklagen und haben ein deutlich geringeres Einkommen – sie können damit die höheren Kosten oft nicht selbst ausgleichen. Addiert man die jeweiligen Mehrkosten der vergangenen Monate, die in den verschiedenen Gütergruppen aufgrund verschiedener Inflationsraten und unterschiedlicher Konsummuster entstanden sind, lässt sich die absolute Mehrbelastung im Jahr 2022 annähern. Grundlage ist die Annahme, dass die Haushalte ihr Verhalten nicht an die Inflation angepasst haben. Die Mehrausgaben verstehen sich im Vergleich zu den monatlichen Ausgaben im Normalfall (Referenzjahr 2020).

Die einkommensschwächsten Wiener Haushalte wurden so im Jahr 2022 mit rund 1.400 Euro Mehrkosten konfrontiert. Für die reichsten Haushalte bedeutete die hohe Inflation fast viermal so hohe Mehrkosten (in absoluten Zahlen) – da sie generell aufgrund ihres hohen Einkommens höhere „Normalausgaben“ tätigen. Gemessen am Einkommen in derselben Zeitperiode ist die Belastung für Haushalte mit niedrigem Einkommen aber überproportional: Sie beträgt 14 Prozent des durchschnittlichen Einkommens innerhalb der 10 ärmsten Prozent und „nur“ rund 5 Prozent des durchschnittlichen Einkommens innerhalb der 10 reichsten Prozent. Zusätzlich zu verschiedenen Mehrkosten lassen sich auch verschieden hohe Inflationsraten in den unterschiedlichen Einkommensgruppen feststellen.

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Analog zu den verschiedenen Konsummustern pro Einkommensgruppe lässt sich auch die Verwendung der getätigten Mehrausgaben unter Anbetracht der verschiedenen güterspezifischen Inflationsraten analysieren: Auffällig ist, dass der Großteil der inflationsbedingten Mehrausgaben bei den untersten Einkommen für Grundbedürfnisse ausgegeben wird (bzw. werden muss). Bei den höchsten Einkommen sind es im Schnitt weniger als die Hälfte. Interessant ist außerdem, dass mehr als ein Viertel der Mehrausgaben bei den einkommensstärksten Wiener:innen für Verkehr (hauptsächlich aufgrund der zeitweise starken Preissteigerung von Diesel und Benzin) ausgegeben wird – was in den meisten Fällen innerhalb Wiens weder ein Grundbedürfnis darstellt noch aufgrund des starken Widerspruchs zu den Wiener Klimazielen gefördert werden sollte.

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Handlungsspielraum muss erkannt und Prioritäten müssen für 2023 richtig gesetzt werden

Ebenso wie die Preissteigerungen selbst haben die politischen Ankündigungen bezüglich Entlastungen der Haushalte, aber auch von Unternehmen und Industrie den medialen und öffentlichen Diskurs im vergangenen Jahr dominiert. Neben den Entlastungspaketen (z. B. „Anti-Teuerungspakete“) der österreichischen Bundesregierung, verteilt über das Jahr 2022, hat auch die Stadt Wien eigene Unterstützungsleistungen für die Wiener:innen im Herbst 2022 umgesetzt. Summiert man die getätigten Einmalzahlungen von Bund und Wien auf, zeigt sich eine durchaus erreichte Kompensation der notwendig getätigten Mehrausgaben im Jahr 2022 bis in die Mittelschicht hinein.

Problematisch ist allerdings, dass diese Einmalzahlungen definitionsgemäß eben nur einmal erfolgen, das Preisniveau aufgrund anhaltend hoher Inflation jedoch weiter hoch bleibt. So zeigen auch die Berechnungen des Budgetdienstes, dass 2023 das untere Einkommensdrittel (im Gegensatz zu hohen Einkommen, wo die Abschaffung der kalten Progression wirkt) durch die öffentliche Hand keinen ausreichenden Teuerungsausgleich bekommen wird (Stand: Jänner 2023). Zusätzlich wird von verschiedenen Forschungsinstituten für 2023 eine Stagflation erwartet, das bedeutet geringes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig hohen Preisen (und dadurch auch steigende Kosten für Konsumausgaben). Dies zeigt die Notwendigkeit der Umsetzung weiterer (Unterstützungs-)Maßnahmen für besonders betroffene Gruppen, die längerfristig entlastend und inflationsdämpfend wirken müssen. Ebenso braucht es systemische Lösungen, die darauf abzielen, die Inflation wieder dauerhaft zu senken. Die seit Dezember gültige Stromkostenbremse hat bereits erste Wirkungen gezeigt und zu einer gewissen Reduktion der Inflation beigetragen. Für weitere systemische Lösungen muss auch die europäische Ebene beitragen. Es müssen endlich Lösungen zur nachhaltigen Preisreduktion, wie eine stärkere Akkordierung der Gasbeschaffung, das Entkoppeln von Strom- und Gaspreis und eine Änderung des europäischen Strommarktdesigns, vorangetrieben werden. Zudem müssen die Anstrengungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien und das Vorantreiben des Ausstiegs aus Öl und Gas umgesetzt werden.

Generell sollte bedacht werden, dass in Zeiten der Klimakrise der Grat zwischen notwendiger Unterstützung und nicht notwendiger Subventionierung fossiler Brennstoffe, vor allem langfristig, nicht verschwimmen darf. Grundsätzlich kann ein hoher Preis fossiler Energieträger ermöglichen, deren Verbrauch (endlich) zu drosseln, deren Nutzung effizienter zu gestalten und gleichzeitig eine Wende zu erneuerbaren Energieträgern voranzutreiben – dieses Potenzial betrifft vor allem energieintensive Unternehmen. Die vor Weihnachten beschlossenen Energiehilfen für Unternehmen hätten daher progressiver ausgestaltet werden müssen, um diesem Ziel näher zu kommen.

Es bleibt abzuwarten, welche langfristigen strukturellen Veränderungen zur Bekämpfung der hohen Preise und zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern, neben gezielten Unterstützungsleistungen, umgesetzt werden und ob es tatsächlich gelingt, den Energieverbrauch nachhaltig zu senken. Bezogen auf die Unternehmensebene, müssen vor allem Überförderungen verhindert werden. Bezogen auf Haushalte, scheitert gezielte Unterstützung häufig an fehlenden Daten und tatsächlicher Auffindbarkeit bzw. möglicher Adressierung der einzelnen Haushalte – abseits der allgemein zu geringen politischen Priorität von (Energie-)Armutsbekämpfung. Ein Weg zur Unterstützung dieser Haushalte könnten dabei neue Schnittstellen zum Zusammenbringen wichtiger Stakeholder sein: um einerseits den Sozialstaat niederschwelliger zu organisieren und gerade jenen, die sich in Krisensituationen befinden, rasch zu helfen und andererseits, um auch Ungleichheiten abseits der aktuellen Situation langfristig zu verringern.

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