Die Arbeiterkammer Wien hat 2023 erstmals einen mit 5.000 Euro dotierten Essaypreis zum Thema „Überreichtum“ ausgelobt. Dieser würdigt Aufsätze zur gesellschaftlichen und demokratiepolitischen Herausforderung von Überreichtum. Gewonnen hat dieses Jahr der Essay „Über Reichtum und politische Macht“ von Johannes Amann. Zwei Anerkennungspreise gingen an Nicole Osimk für ihr Langgedicht zur Freiheit im Denken und Handeln von Milliardär:innen sowie an Daniel Mayerhoffer, Jan Schulz und Daria Tisch für ihren Text zur Fehlwahrnehmung von Überreichtum in der Bevölkerung.
Vermögenskonzentration in Österreich enorm
Das reichste Prozent in Österreich hat fast die Hälfte des gesamten privaten Vermögens. Das bedeutet nicht nur höchst ungleiche Lebensbedingungen, sondern geht auch mit einer Konzentration von Macht, Einflussnahme und Entscheidungsgewalt einher. Diese Vermögenskonzentration ist gefährlich: Überreichtum beeinträchtigt die Demokratie, das Klima und die Gerechtigkeit. Unsere Demokratie leidet unter dem übergroßen politischen Einfluss der Überreichen, den diese mittels Spenden, Lobbying, Denkfabriken und Medien geltend machen. Das Konsum- und Mobilitätsverhalten der Reichen beschleunigt zudem die Klimakrise.
Ungerecht ist Überreichtum, weil durch Vererbung wirtschaftliche und gesellschaftliche Privilegien über Generationen hinweg zementiert werden. Auch die Finanzierung des Sozialstaates ist durch den Überreichtum der Wenigen gefährdet. Sozialleistungen werden hauptsächlich durch Beiträge der arbeitenden Bevölkerung finanziert, während vermögensbezogene Steuern nur 1,4 Prozent des Steueraufkommens ausmachen. Die Überreichen leisten einen viel zu kleinen Anteil an der Finanzierung des Sozialstaats. Demokratie und Gesellschaft würden enorm davon profitieren, wenn Überreichtum begrenzt und besteuert würde.
Überreichtum seit Jahren Thema
Die Arbeiterkammer thematisiert die enorme Vermögenskonzentration in Österreich seit Langem. Die weltweit führenden Vermögensforscher wie Thomas Piketty, Gabriel Zucman oder Lucas Chancel haben die Ergebnisse ihrer Forschung und ihre politischen Schlussfolgerungen in der AK Wien einem großen Publikum präsentiert. Wir beauftragen Studien zur Konzentration der Vermögen in Österreich, zur Rolle von Erbschaften oder zu den Netzwerken der Superreichen. Unsere Expert:innen publizieren ihre wissenschaftlichen Analysen zum Reichtum in Fachzeitschriften und Massenmedien, sie erarbeiten konkrete und detaillierte Konzepte zur Realisierung einer progressiven Besteuerung von Vermögen und Erbschaften. Auf der Website „So reich ist Österreich“ können sich alle selbst einschätzen, wo sie in der Vermögensverteilung in Österreich stehen.
AK Essaypreis zum ersten Mal vergeben
Doch wissenschaftliche Studien allein reichen nicht. Wir wollen neue Formen der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Übel des Überreichtums finden. Deshalb haben wir uns zur Ausschreibung des ersten AK Essaypreises entschieden, um Überreichtum auch kulturell und literarisch zu thematisieren. Die Entscheidung fiel der Jury, bestehend aus Juliane Nagiller (Ö1), Armin Thurnher („Falter“), Martin Schürz (Autor), Sybille Pirklbauer (AK Wien) und Markus Marterbauer (AK Wien), nicht leicht: Über 30 Essays der unterschiedlichsten literarischen Formen wurden eingereicht, sie spiegeln genau jene Vielfalt an Texten wider, auf die die Ausschreibung abzielte. Gewonnen hat dieses Jahr ein Essay von Johannes Amann, zwei Anerkennungspreise gingen an Nicole Osimk sowie an Daniel Mayerhoffer, Jan Schulz und Daria Tisch. Die Texte der Preisträger:innen stehen exemplarisch für die große Bandbreite der Einreichungen.
„Über Reichtum und politische Macht“
Johannes Amann spannt in seinem originellen Essay den Bogen von der Geschichte überreicher Herrscher zu den politischen Ambitionen heutiger Milliardär:innen. Amann arbeitet als Ökonom und Deutschlehrer in Wien, wie auch die anderen prämierten Texte war sein Essay „Über Reichtum und politische Macht“ bisher unveröffentlicht.
„Historisch war Reichtum oft mit politischer Macht verbunden. In der Moderne gibt es vermögende Einzelpersonen, die transnational agieren und politischen Einfluss ausüben. An Beispielen wie Berlusconi, Trump und philanthropischen Milliardären wird gezeigt, wie Reiche politische Prozesse beeinflussen. Die Trennung von Vermögen, politischer Macht und Gewalt verschwimmt, wirft ethische Fragen auf und erfordert eine Neubewertung der Rolle der Überreichen im 21. Jahrhundert.“ – Johannes Amann
„Das Spiel des Lebens“
Nicole Osimk legt den Fokus mit ihrem kreativen und berührenden Langgedicht auf die persönlichen Auswirkungen von Reichtum. Osimk ist Sozialarbeiterin und Bildungswissenschafterin in Wien. In „Das Spiel des Lebens“ nähert sie sich dem Thema Überreichtum auf literarischem, autobiografischem Weg.
„Der Titel, das Spiel des Lebens, ist eine Referenz an das gleichnamige Brettspiel und wird im Laufe des Textes zum Synonym für das Alltagserleben der (über)reichen Bevölkerung in Österreich. Dabei bedeutet Reichtum in diesem Text nicht nur, monetäre Ressourcen zu haben, sondern u. a. mehr Freiheit im Denken und Handeln. Damit können privilegierte Menschen oft Entscheidungen über Regeln und Strukturen treffen, die für die Gesamtbevölkerung gelten, während sie für sich Ausnahmen schaffen. Mit meinem Text versuche ich, der Komplexität des Themas Überreichtum Raum zu geben und diese anhand persönlicher Erfahrungen greifbar zu machen.“ – Nicole Osimk
„Fehlwahrnehmungen von ‚Überreichtum‘“
Daniel Mayerhoffer, Jan Schulz und Daria Tisch haben wiederum einen wissenschaftlich geprägten Essay zu den Fehlwahrnehmungen von Überreichtum geschrieben und welche Folgen diese für die Überwindung von übermäßigem Reichtum haben können. Mayerhoffer ist Assistant Professor in der Forschungsgruppe Institutions, Inequalities, and Life Courses am Amsterdam Institute for Social Science Research und dem Data Science Centre der UvA Amsterdam. Schulz arbeitet als Postdoktorand am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft am Institut VWL der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Tisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe „Vermögen und soziale Ungleichheit“ am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.
„Maßnahmen zur Bekämpfung von übermäßigem Reichtum werden kaum umgesetzt, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffen und vielen nutzen würden. Das könnte auf weit verbreitete Fehlwahrnehmungen von Vermögen zurückzuführen sein, welche über Gesellschaftsschichten und nationale Grenzen hinweg bestehen. Menschen neigen dazu, ihre eigene finanzielle Situation und die gesellschaftliche Ungleichheit falsch einzuschätzen. Dies erschwert den öffentlichen Diskurs sowie politische Maßnahmen zur Umverteilung von Vermögen. Fehleinschätzungen zu Überreichtum haben damit direkte Auswirkungen auf politische Präferenzen und letztlich auf die Gestaltung der Vermögensungleichheit. Der Essay analysiert die Ursachen dieser Fehlwahrnehmungen, die von individuellen kognitiven Prozessen bis hin zu medialen Einflüssen reichen, und zeigt ihre Auswirkungen auf die Überwindung von übermäßigem Reichtum auf. Ziel ist ein transformativer Diskurs über Vermögensungleichheiten.“ – Daniel Mayerhoffer, Jan Schulz & Daria Tisch
Prämierte Essays online kostenlos verfügbar
Die Essays sind in voller Länge in einer eigenen Publikation der AK Wien zu finden, die hier abrufbar ist.