In den letzten 20 Jahren waren die Bundesregierungen eigentlich sehr fleißig: Viele Schlupflöcher im Steuersystem wurden abgedichtet und die Möglichkeiten zur Verfolgung von Steuerhinterziehung wurden deutlich effektiver. Trotzdem bleibt eine Baustelle seit Jahrzehnten bestehen. Um sie zu überwinden, müssen wir über den Tellerrand hinaussehen.
Ein Blick über den Fluss
Bevor wir uns der eigentlichen Baustelle widmen, ist noch ein kurzer Blick auf die derzeitigen Rahmenbedingungen nötig. Das Steuersystem stellt mittlerweile eine hochkomplexe Angelegenheit dar. Viele kennen das: Der eigene Steuerausgleich, die Arbeitnehmer:innenveranlagung, ist für viele mittlerweile so undurchsichtig geworden, dass sie es selbst nicht mehr schaffen. Optimale Aufteilung des Familienbonus Plus, Berechnung des Pendlerpauschales bei Jobwechsel und/oder in Kombination mit einem Jobticket, Berechnung der Alleinverdiener:innen-Grenze oder die Besteuerung von Zuverdiensten sind nur einige der Fragen, mit denen sich unsere Mitglieder täglich an die AK wenden.
Und jetzt stelle man sich die Situation mal aus Sicht der Unternehmen vor: Neben den auch für sie relevanten Vorschriften für die Lohnsteuer und Sozialversicherung kommen auch noch unzählige Vorschriften im Bereich Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuer hinzu, um nur die wichtigsten zu nennen. Fakt ist: Vielfach ist es heute weder für Privatpersonen noch Unternehmen möglich, ihre steuerlichen Pflichten vollumfänglich zu durchschauen oder gar zu verstehen.
Die Lösung heißt dann meist Steuerberater:in – mit Stundensätzen von 200 bis 300 Euro aufwärts. Die eingangs erwähnten Verschärfungen im Steuerrecht trugen in den letzten Jahren vermehrt dazu bei, dass Steuerberater:innen sich vor Arbeit kaum noch retten konnten. Da ich selbst Steuerberater bin, könnte mich das natürlich freuen – doch mir stellt sich die Frage, ob diese Komplexität im Steuerrecht wirklich im Sinne des Erfinders ist. Sollte man wirklich mehrere 100 oder 1.000 Euro zahlen müssen, um zu seinen Rechten zu kommen? Auch für die AK-Mitglieder, für welche die Steuerberatung ja bekanntlich kostenlos ist, ergeben sich immer öfter Probleme, da wir in der Beratung zunehmend an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen.
Wieso das alles relevant ist, wird später klarer …
Die Baustelle
52 Prozent – so viel wird abgezogen, wenn das Bruttogehalt von 3.300 auf 3.301 Euro erhöht wird. Zählt man dann noch die sogenannten Lohnnebenkosten auf der Dienstgeberseite dazu – eine unter Vertreter:innen der Arbeitnehmer:innenseite zugegeben etwas ungeliebte Übung – dann steigen die Grenzabgaben für den nächsten Euro auf 63 Prozent. „Nur“ 41 Prozent (bzw. 55 Prozent inklusive Lohnnebenkosten) sind es, wenn man von 2.000 auf 2.001 Euro erhöht.