Baustellen auf dem Weg zu einem gerechteren Steuersystem … und wie man sie endlich fertigstellt

05. September 2023

In den letzten 20 Jahren waren die Bundesregierungen eigentlich sehr fleißig: Viele Schlupflöcher im Steuersystem wurden abgedichtet und die Möglichkeiten zur Verfolgung von Steuerhinterziehung wurden deutlich effektiver. Trotzdem bleibt eine Baustelle seit Jahrzehnten bestehen. Um sie zu überwinden, müssen wir über den Tellerrand hinaussehen.

Ein Blick über den Fluss

Bevor wir uns der eigentlichen Baustelle widmen, ist noch ein kurzer Blick auf die derzeitigen Rahmenbedingungen nötig. Das Steuersystem stellt mittlerweile eine hochkomplexe Angelegenheit dar. Viele kennen das: Der eigene Steuerausgleich, die Arbeitnehmer:innenveranlagung, ist für viele mittlerweile so undurchsichtig geworden, dass sie es selbst nicht mehr schaffen. Optimale Aufteilung des Familienbonus Plus, Berechnung des Pendlerpauschales bei Jobwechsel und/oder in Kombination mit einem Jobticket, Berechnung der Alleinverdiener:innen-Grenze oder die Besteuerung von Zuverdiensten sind nur einige der Fragen, mit denen sich unsere Mitglieder täglich an die AK wenden.

Und jetzt stelle man sich die Situation mal aus Sicht der Unternehmen vor: Neben den auch für sie relevanten Vorschriften für die Lohnsteuer und Sozialversicherung kommen auch noch unzählige Vorschriften im Bereich Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuer hinzu, um nur die wichtigsten zu nennen. Fakt ist: Vielfach ist es heute weder für Privatpersonen noch Unternehmen möglich, ihre steuerlichen Pflichten vollumfänglich zu durchschauen oder gar zu verstehen.

Die Lösung heißt dann meist Steuerberater:in – mit Stundensätzen von 200 bis 300 Euro aufwärts. Die eingangs erwähnten Verschärfungen im Steuerrecht trugen in den letzten Jahren vermehrt dazu bei, dass Steuerberater:innen sich vor Arbeit kaum noch retten konnten. Da ich selbst Steuerberater bin, könnte mich das natürlich freuen – doch mir stellt sich die Frage, ob diese Komplexität im Steuerrecht wirklich im Sinne des Erfinders ist. Sollte man wirklich mehrere 100 oder 1.000 Euro zahlen müssen, um zu seinen Rechten zu kommen? Auch für die AK-Mitglieder, für welche die Steuerberatung ja bekanntlich kostenlos ist, ergeben sich immer öfter Probleme, da wir in der Beratung zunehmend an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen.

Wieso das alles relevant ist, wird später klarer …

Die Baustelle

52 Prozent – so viel wird abgezogen, wenn das Bruttogehalt von 3.300 auf 3.301 Euro erhöht wird. Zählt man dann noch die sogenannten Lohnnebenkosten auf der Dienstgeberseite dazu – eine unter Vertreter:innen der Arbeitnehmer:innenseite zugegeben etwas ungeliebte Übung – dann steigen die Grenzabgaben für den nächsten Euro auf 63 Prozent. „Nur“ 41 Prozent (bzw. 55 Prozent inklusive Lohnnebenkosten) sind es, wenn man von 2.000 auf 2.001 Euro erhöht.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Wie man diese Gleichung auch dreht und wendet und egal ob man noch die Begünstigung beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld einbezieht oder ob man auf den Unterschied von Grenz- und Durchschnittssteuersätzen verweist: Arbeit ist in Österreich massiv hoch besteuert. Während vermögensbezogene Steuern wie die Grundsteuer lediglich 750 Mio. Euro pro Jahr bringen (2022), bringt die Lohnsteuer 630 Mio. Euro pro Woche. Internationale Vergleiche bestätigen dieses Bild (siehe Grafik unten).

Dass die hohe Abgabenbelastung bei Arbeitnehmer:innen auch für Unternehmen ein großes Thema ist, zeigt die Beliebtheit der neu eingeführten Mitarbeiter:innengewinnbeteiligung (1) bzw. Teuerungsprämie (2). Auf diesem Wege lassen sich bis zu 3.000 Euro pro Jahr steuerfrei (1) bzw. steuerfrei, sozialversicherungsfrei und lohnnebenkostenfrei (2) an die Beschäftigten auszahlen. Keine andere Maßnahme der letzten Jahre im Lohnverrechnungsbereich hat so ein großes Interesse bei Unternehmen ausgelöst wie diese. Da Einmalzahlungen aufgrund des künftigen Lohnentganges jedoch sehr kritisch zu sehen sind (noch dazu, wenn sie völlig abgabenfrei gewährt werden), gilt es durch eine Reduktion der Abgabenbelastung auf Arbeit eine Ausweitung dieser und ähnlicher Trends zu verhindern.

Was hier nicht gefordert wird

Die undifferenzierte Senkung von Lohnabgaben, egal ob aufseiten der Beschäftigten oder der Unternehmen, ist und wird zu Recht nie Position von Arbeiterkammern und Gewerkschaften sein. Die hohen Abgaben auf Arbeit werden ja aus einem wichtigen Grund erhoben: und zwar zur Finanzierung des Sozialstaates. Und dieser kostet nun mal Geld. Wesentliche Einsparungspotenziale ohne gleichzeitige massive Verschlechterung für die Versicherten (z. B. Pensionskürzungen) sind hier nicht auszumachen. Im Gegenteil: Die Herausforderungen in der Pflege und Gesundheitsversorgung der nächsten Jahre werden vermutlich noch zusätzliche Mittel benötigen.

Steuerpolitische Perspektiven …

Wenn Einsparungen nicht zielführend sind, wie soll die Senkung der Abgabenbelastung auf Arbeit dann finanziert werden? Die einzig vernünftige Alternative ist eine Angleichung der vermögensbezogenen Steuern an die Niveaus vergleichbarer Staaten.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Ob das jetzt die Einführung von reinen Vermögensteuern, Erbschafts- & Schenkungssteuern, die Reform der Grundsteuer und/oder andere Maßnahmen, beispielsweise im Bereich der Kapitalerträge, bedeutet, soll nicht Teil dieses Beitrags sein. Herauszufinden, welche Maßnahmen das im Detail sind, wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein. Diese sollte jedenfalls bedenken, dass sich hohe Steuern auf Arbeit nachteiliger auf Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand der Bevölkerung auswirken als höhere Steuern auf Vermögen.

mit Aber

Um die Realisierungschancen eines solchen Shifts von Steuern auf Arbeit zu Steuern auf Vermögen zu erhöhen, ist es jedoch unumgänglich, die Sichtweise des politischen Gegenübers zu verstehen, ernst zu nehmen und Antworten darauf zu entwickeln. Im Bereich der vermögensbezogenen Steuern sind das meist die Frage nach der Verwendung der Mittel sowie die generelle Ablehnung neuer Steuern in einem „Hochsteuerland“. Die Antwort auf Ersteres sollte jedenfalls auch ein klares Bekenntnis zur Senkung der Steuerbelastung auf Arbeit enthalten und nicht ausschließlich auf die Finanzierung zusätzlicher sozialstaatlicher Leistungen gerichtet sein.

Die Antwort auf die zweite Frage erzeugt deutlich mehr Arbeit – und genau deshalb lohnt sich der eingangs erfolgte Blick auf die andere Seite. Die Zustimmung zu neuen oder höheren Steuern in gewissen Bereichen kann dadurch erleichtert werden, dass die derzeit existierenden Probleme und Komplexitäten im Steuersystem erkannt und Vorschläge zu deren Bewältigung vorgelegt werden.

Das Paradebeispiel ist der Leasingaktivposten des § 8 Abs 6 Z 2 EStG: Wird ein Pkw geleast und nicht gekauft, so muss die schnellere Abschreibung im Rahmen des Leasingvertrages (die Leasingfirma will den Pkw üblicherweise realistischer abschreiben als linear mit jährlich 1/8) mit einem Aktivposten ausgeglichen werden. Über die Laufzeit egalisiert sich der Unterschied freilich wieder und der Finanzminister hat aus dieser Maßnahme (bis auf Zinseffekte) keinen Vorteil. Die Administration und Verwaltung dieser Aktivposten ist auf Unternehmensseite allerdings äußerst aufwendig und mit hohen Kosten verbunden (Steuerberater:in).

§ 8 (6) Z 2 EStG: Wird dem Steuerpflichtigen ein Personenkraftwagen oder Kombinationskraftwagen im Sinne der Z 1 entgeltlich überlassen, gilt folgendes: Übersteigen die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Teile des Nutzungsentgelts die sich nach den Verhältnissen des Mieters ergebende Absetzung für Abnutzung des Vermieters (Z 1), hat der Steuerpflichtige für den Unterschiedsbetrag einen Aktivposten anzusetzen. Der Aktivposten ist so abzuschreiben, daß der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallende Gesamtbetrag der Aufwendungen jeweils den sich aus der Z 1 ergebenden Abschreibungssätzen entspricht.

Quelle: RIS – Einkommensteuergesetz 1988 § 8 – Bundesrecht konsolidiert, tagesaktuelle Fassung (bka.gv.at)

Auftrag

Beispiele wie dieses gibt es vielfach. Es ist auch in unserem Sinne, sie zu identifizieren und daraus Ansätze zu entwickeln, welche die Komplexität im Steuerrecht reduzieren. In Wahrheit zahlt das Standardunternehmen (Großkonzerne freilich ausgenommen) wohl lieber einen Prozentpunkt mehr an Körperschaftsteuer und verliert dafür zehn solcher „Leasingaktivposten-Regeln“, die neben Kosten auch Kopfschmerzen verursachen. Solche Vereinfachungen und das generelle Verständnis für „die andere Seite“ sind ein gutes Schmiermittel, um die seit Jahrzehnten von Arbeiterkammern und Gewerkschaften geforderte Erhöhung vermögensbezogener Steuern tatsächlich Realität werden zu lassen.

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