Die Klimakrise erfordert rasches Handeln im großen Stil. Durch den European Green Deal hat sie zwar in der EU einen prominenten Platz auf der politischen Tagesordnung, die geplanten Maßnahmen sind jedoch bei Weitem nicht ausreichend. Eine europäische Vermögenssteuer kann Abhilfe bei der Finanzierung eines ausgeweiteten European Green Deals 2.0 schaffen. Eine neue Studie schätzt, dass diese Steuer – je nach Ausgestaltung – Einnahmen von drei Prozent bzw. elf Prozent des BIP generieren kann. Eine Vermögenssteuer ist auch angesichts der überraschend hohen Vermögensungleichheit in Europa eine naheliegende Option.
Untererfassung von Spitzenvermögen
Qualitativ hochwertige Daten zur Verteilung der Vermögen der privaten Haushalte sind trotz intensiver Bemühungen der internationalen Forschungsgemeinschaft nach wie vor nur für einige wenige Länder vorhanden. Doch eine von der Europäischen Zentralbank koordinierte Haushaltsbefragung, der Household Finance and Consumption Survey (HFCS), liefert seit 2013 alle drei Jahre eine Momentaufnahme der Vermögensverteilung der privaten Haushalte für 22 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Mithilfe dieser Daten lässt sich für das Jahr 2017 ein detailliertes Bild der Verteilung privater Vermögen in der EU-22 zeichnen.
Jedoch ist die Erhebung mit Problemen behaftet. Denn die Daten werden im Rahmen einer freiwilligen Haushaltsbefragung erhoben und bilden daher die Spitze der Verteilung nicht adäquat ab. Dieses Problem entsteht aufgrund der großen Unterschiede in den Vermögen am oberen Rand der Verteilung und der geringeren Bereitschaft von vermögenden Haushalten, an der Befragung teilzunehmen. Die Umfragedaten unterschätzen daher nicht nur das Gesamtvermögen der europäischen Privathaushalte, sondern vor allem das Vermögen an der Verteilungsspitze. Diese Untererfassung kann durch die Annahme einer Pareto-Verteilung auf Basis der beobachteten Vermögen und unter Zuhilfenahme von Reichstenlisten kompensiert werden.
Vermögensungleichheit in der EU so hoch wie in den USA
Durch Anwendung dieses Verfahrens steigt das geschätzte Netto-Gesamtvermögen der europäischen Haushalte von 35,7 Billionen Euro auf 43,7 Billionen Euro (also 43.700 Milliarden Euro). Das Nettovermögen eines Haushalts ergibt sich aus den Sachvermögen, wie Autos, Wertgegenständen und Immobilien, und den Finanzvermögen, wie Sparbüchern, Lebensversicherungen oder Aktien, abzüglich aller ausstehenden Schulden. Der Anteil des reichsten 1 Prozent der Haushalte am europäischen Nettovermögen beträgt 18 Prozent auf Basis der Umfrage und steigt durch die Anwendung des Pareto-Verfahrens auf 32 Prozent. Das Ausmaß der Konzentration von Vermögen in den Händen des obersten 1 Prozent wird dabei auch im Vergleich mit anderen Ländern deutlich: In den gemeinhin als deutlich ungleicher geltenden USA besaß das oberste 1 Prozent im Jahr 2017 35 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die Tatsache, dass relativ arme Länder wie Rumänien (20 Millionen Einwohner*innen) und Bulgarien (7 Millionen Einwohner*innen) im HFCS nicht enthalten sind, bedeutet, dass die Vermögenskonzentration in der EU-27 noch höher ausfällt als in der EU-22 und der Unterschied zu den USA weiter schrumpfen würde. Die Wahrnehmung von Europa als Kontinent mit relativ gleicher Vermögensverteilung im Vergleich zu den USA spiegelt sich damit in den Daten nicht wider.
Eine europäische Vermögenssteuer: ein progressives Modell
Die Grundidee progressiver Modelle ist, dass der anzuwendende Steuersatz mit steigendem Vermögen ebenso ansteigt. Das hier vorgestellte Modell sieht dabei zugleich einen hohen Freibetrag von 2 Millionen Euro vor, wobei nur rund 1 Prozent der Haushalte in der EU-22 ein Nettovermögen von mehr als 2 Millionen Euro besitzen. Das Nettovermögen eines Haushalts ergibt sich dabei aus dem Gesamtwert aller Vermögensgegenstände, abzüglich aller Schulden. Ein Haushalt mit einer Eigentumswohnung im Wert von 500.000 Euro, der ein Kredit in Höhe von 300.000 Euro gegenübersteht, hat somit ein Nettovermögen von 200.000 Euro. Es wären somit zehn solcher Eigentumswohnungen notwendig, um steuerpflichtig zu werden. Der Steuersatz ist progressiv, das heißt, er steigt sukzessive an: von 2 Prozent für Nettovermögensanteile über 2 Millionen Euro auf 10 Prozent für Nettovermögensanteile über 500 Millionen Euro.
Ein progressives Vermögenssteuermodell
Vermögensgrenze für Steuerstufe | Anteil der betroffenen Haushalte | Steuersatz |
ab € 2 Millionen | 1% | 2% |
ab € 5 Millionen | 0,3% | 3% |
ab € 10 Millionen | 0,1% | 5% |
ab € 50 Millionen | 0,01% | 7% |
ab € 100 Millionen | 0,005% | 8% |
ab € 500 Millionen | 0,001% | 10% |
Eine europäische Vermögenssteuer: „Modell Piketty“
Das zweite Vermögenssteuermodell beruht auf Argumenten des französischen Ökonomen Thomas Piketty. Es unterscheidet sich in dreierlei Hinsicht vom ersten Modell:
- Es beruht auf der Überlegung, dass exzessive Vermögenskonzentration ein fundamentales Problem für die Demokratie darstellt. Die Macht und Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme, die mit Milliardenvermögen einhergehen, untergraben das Grundprinzip, dass jede*r Wähler*in über eine Stimme verfügt, unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation. Um exzessive Vermögenskonzentration zu vermeiden, werden die größten Vermögen explizit sehr hoch besteuert: mit 60 Prozent für Vermögen über 260 Millionen Euro und 90 Prozent für Vermögen über 2,6 Milliarden Euro.
- Zweitens sind die Steuertarife in Relation zum Durchschnittsvermögen definiert. In der EU-22 beträgt dieses 260.000 Euro. Die höchsten Steuersätze von 60 Prozent und 90 Prozent fallen für Vermögen an, die über dem tausend- beziehungsweise zehntausendfachen Durchschnittsvermögen liegen. Dahinter verbirgt sich das Argument, dass derartige riesige Unterschiede in der Vermögensausstattung nicht durch Ehrgeiz, Talent oder Arbeitseinsatz erklärt bzw. gerechtfertigt werden können.
- Der dritte Unterschied besteht darin, dass die Besteuerung früher beginnt, und zwar mit 0,1 Prozent ab einem Nettovermögen von 130.000 Euro. Dies würde bedeuten, dass eine Eigentumswohnung im Wert von 500.000 Euro abzüglich eines Kredits von 300.000 Euro mit 200 Euro im Jahr besteuert werden würde.
Vermögenssteuermodell „Piketty“
Vermögensgrenze für Steuerstufe | Vermögensgrenze in Euro | Steuersatz |
ab 0,5 x durchschnittl. Vermögen | € 130.000 | 0,1% |
ab 2 x durchschnittl. Vermögen | € 520.000 | 1% |
ab 5 x durchschnittl. Vermögen | € 1,3 Millionen | 2% |
ab 10 x durchschnittl. Vermögen | € 2,6 Millionen | 5% |
ab 100 x durchschnittl. Vermögen | € 26 Millionen | 10% |
ab 1.000 x durchschnittl. Vermögen | € 260 Millionen | 60% |
ab 10.000 x durchschnittl. Vermögen | € 2,6 Milliarden | 90% |
Aufkommensschätzung
Basierend auf den oben beschriebenen Daten, wurden mögliche Steueraufkommen für die beiden vorgestellten Modelle geschätzt. Werden nur die originalen Umfragedaten ohne Anwendung des Pareto-Verfahrens herangezogen, ergibt sich ein jährliches Aufkommen von 88 Milliarden Euro für das progressive Modell bzw. von 249 Milliarden für das „Modell Piketty“. Dadurch, dass in beiden Modellen der Steuersatz mit dem Vermögen steigt und das Pareto-Verfahren vor allem zu Anpassungen an der Spitze der Verteilung führt, ist das so geschätzte Aufkommen deutlich größer: Es wird auf 505 Milliarden beziehungsweise 1.837 Milliarden Euro geschätzt. Darüber hinaus wird die Tatsache berücksichtigt, dass manche Haushalte versuchen werden, ihr Vermögen der Besteuerung zu entziehen. Sofern diese Versuche erfolgreich sind, wird sich die Bemessungsgrundlage der Steuer verringern. Geht man von in der Literatur üblichen Werten von einer Verringerung des Immobilienvermögens von 20 Prozent, des Finanzvermögens von 24 Prozent und 13 Prozent des Firmenvermögens durch Steuervermeidung aus, ergeben sich Aufkommen von 357 Milliarden bzw. 1.281 Milliarden Euro. Dies entspricht 3 Prozent bzw. 10,8 Prozent des BIP der EU-22.
Aufkommensschätzung verschiedener Tarife
Steuertarif | Originaldaten | Pareto-Spitze | Pareto-Spitze + Hinterziehungseffekte | Pareto-Spitze + starke Hinterziehungseffekte |
„progressiv“ | € 88 Mrd. | € 505 Mrd. | € 357 Mrd. | € 303 Mrd. |
„Piketty“ | € 249 Mrd. | € 1.837 Mrd. | € 1.281 Mrd. | € 1.081 Mrd. |
Europäische Vermögenssteuer machbar und ertragreich
Der European Green Deal hat das Ziel, Investitionen im Ausmaß von 1.000 Milliarden Euro über zehn Jahre verteilt zu ermöglichen, also im Schnitt 100 Milliarden pro Jahr. Ein jährliches Steueraufkommen von 357 Milliarden Euro würde somit mehr als das Dreifache dieses Volumens ermöglichen. Dies erscheint auch nötig, wenn man berücksichtigt, dass der tatsächliche Investitionsbedarf zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels bei rund 850 Milliarden jährlich liegt. Eine europäische Vermögenssteuer könnte hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Aber ist eine solche Steuer technisch machbar? Den politischen Willen dazu vorausgesetzt, ist eine europäische Vermögenssteuer unter Berücksichtigung von fünf Grundprinzipien technisch durchaus umsetzbar:
- Eine Implementierung auf europäischer Ebene bzw. in enger nationalstaatlicher Koordination stellt sicher, dass der Druck auf Steuerhinterzieher*innen hoch ist.
- Die Bewertung von Vermögensgegenständen wird auf Basis von Marktwerten bzw. marktüblichen Wertermittlungsverfahren vorgenommen.
- Steuerbehörden müssen über ausreichend personelle und technische Ressourcen verfügen, um die Steuer erfolgreich zu implementieren. Zur besseren Verwaltung könnte auch die Erstellung spezieller Datenbanken zur Bewertung sowie ein institutionalisierter Informationsaustausch mit Finanzunternehmen dienen.
- Der bürokratische Aufwand für Bürger*innen kann durch die Verwendung von vorausgefüllten Steuererklärungen deutlich reduziert werden.
- Die Europäische Union muss ihren Einfluss international geltend machen, um illegale Gelder ihrer Bürger*innen im Ausland aufspüren zu können, ähnlich wie es die USA mit FACTA bewerkstelligen.