Die Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern sind groß und kommen uns teuer zu stehen. Gleichzeitig sind neue Technologien nicht für alle leistbar. Deshalb braucht es eine faire Verteilung der Transformationskosten. Doch welche Pläne haben die Mitgliedsstaaten dazu für die kommenden Jahre? Ein Blick in die Nationalen Energie- und Klimapläne gibt darüber Aufschluss – mit einem Best Practice aus Österreich.
Energiearmut ist ein vielschichtiges Problem
Energiearmut ist ein komplexes Phänomen unserer modernen Gesellschaften, das an politischer Brisanz gewinnt. Das liegt unter anderem daran, dass Energiearmut nicht allein über finanzielle Unterstützung bekämpft werden kann, denn es ist kein rein monetäres Problem (beispielsweise aufgrund von zu geringem Einkommen). Es gibt vielschichtige Ursachen, die zum Entstehen von Energiearmut beitragen: die Wohnverhältnisse, die Gebäudeausstattung, das Wissen über die richtige Energienutzung und auch der Wohnort selbst spielen ebenso eine wichtige Rolle im Entstehen von Energiearmut wie die Preisdynamiken auf den Energiemärkten oder aber zu geringe finanzielle Mittel. Um Energiearmut nachhaltig zu bekämpfen, braucht es daher eine Kombination von Maßnahmen aus Sozial- und Energiepolitik. Einerseits, um damit finanzielle Absicherung allgemein und gleichzeitig Leistbarkeit von (energetischen) Maßnahmen zu gewährleisten. Andererseits, um neben der Bekämpfung von Auswirkungen auch die Ursachen von Energiearmut direkt zu adressieren. Was ist damit gemeint?
Der Kampf gegen Energiearmut und eine inklusive Energiewende wird nur gelingen, wenn man es schafft, Sozial- und Energiepolitik zusammenzudenken, denn Energiearmut ist viel mehr als Einkommensarmut allein. Neben einer adäquaten finanziellen Absicherung von Betroffenen durch faire Löhne und Gehälter sowie mindestsichernde Leistungen, die diesen Namen auch verdienen, braucht es zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen. Dazu zählen die Unterstützung bei hohen Energierechnungen oder zur Finanzierung energetischer/gebäudetechnischer Maßnahmen. Diese Beispiele zeigen auch schon auf: Alleinige Symptombekämpfung reicht nicht aus. Vielmehr müssen auch die Ursachen von Energiearmut, nämlich zu geringe Einkommen, Preisdynamiken, schlechte Gebäude- und Wohnungsausstattungen und fehlendes Wissen, direkt adressiert werden.
Herausforderungen und Maßnahmen im Kampf gegen Energiearmut
Eines der Leitmotive des Europäischen Grünen Deals ist, am Weg in die Klimaneutralität niemanden zurückzulassen. Eine der Schwerpunktsetzungen der Europäischen Kommission wird daher weiterhin der Kampf gegen Energiearmut sein. Die Mitgliedsstaaten sind über ihre Meldeverpflichtungen im Rahmen der Nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP) dazu aufgefordert, Maßnahmen gegen Energiearmut zu setzen. Durch die Vielschichtigkeit des Phänomens und die starken sozialpolitischen, wirtschaftsstrukturellen und räumlichen Unterschiede der Mitgliedsstaaten, unterscheiden sich auch die Maßnahmen im Kampf gegen Energiearmut. Jedoch können wir gerade mit Blick auf diese Vielfalt viel über den Kampf gegen Energiearmut lernen. Ein vergleichender Blick in die geplanten und bereits umgesetzten Maßnahmen in den NEKPs lohnt sich und dabei wird schnell deutlich:
Der Kampf gegen Energiearmut braucht eine neue Qualität in der Gestaltung politischer Maßnahmen. Sie muss vielfältig in ihren Ansätzen sein und aus einer Bandbreite von Maßnahmen bestehen. Es braucht, wie bereits erwähnt, einen ganzheitlichen Ansatz, welcher sowohl finanzielle Unterstützung als auch Maßnahmen zur Verbesserung von Energieeffizienz sowie eine generelle Stärkung der wohlfahrtsstaatlichen Absicherungsmaßnahmen umfasst. Dies erfordert vor allem auch ein gut funktionierendes Zusammenspiel aus unterschiedlichen lokalen und regionalen Akteuren und stellt damit einhergehend eine Herausforderung für die Koordinierung dar: Energieversorger, Ministerien, Kommunen und NGOs müssen für ein Gelingen zusammenarbeiten (können). Schlussendlich ist die gemeinsame und einheitliche Definition der Aufgabenstellung eine große Herausforderung. Eine begrenzte und durchaus sehr unterschiedliche Datenlage macht es für die Politik schwer, die Effektivität und Treffsicherheit von Maßnahmen zu bestimmen.
(Good) Governance als Voraussetzung für ein Gelingen des Kampfes gegen Energiearmut
Die vergleichende Betrachtung der Maßnahmen in den NEKPs zeigt, dass es in der Governance der Maßnahmen gegen Energiearmut sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten gibt. Während einige Länder recht gut etablierte Koordinierungsmechanismen und Monitoring-Systeme haben, weisen die meisten eine fragmentierte Herangehensweise und einen Mangel an Transparenz auf.
Gut funktionierende politische Prozesse in Administration und Unterstützung werden zur Conditio sine qua non – zur unabdingbaren Voraussetzung – und gerade diese Prozesse fehlen häufig. Grund dafür ist meist fehlendes Problembewusstsein über die Mehrdimensionalität von Energiearmut und damit einhergehend fehlende oder unzureichende Zuständigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen. Mit Blick in die Nationalen Energie- und Klimapläne der einzelnen Mitgliedsstaaten wird auch ein weiteres Problem deutlich: Eine fehlende einheitliche Definition führt in letzter Konsequenz neben der fehlenden Implementierung angemessener Maßnahmen auch zu Beurteilungsproblemen in der Evaluierung gesetzter Maßnahmen. So bleibt es oftmals aufgrund eines Mangels an gehaltvollen Daten und Informationen fraglich, wie einzelne Maßnahmen in der Umsetzung tatsächlich wirken und wie effektiv die jeweiligen Maßnahmen Energiearmut bekämpfen.
Maßnahmen und Schwerpunkte der Mitgliedsstaaten in der Bekämpfung der Energiearmut
Mit Blick in die 27 Nationalen Energie- und Klimapläne lassen sich die Maßnahmen grob in fünf Stoßrichtungen einteilen.
- Finanzielle Unterstützung: Viele Mitgliedsstaaten setzen auf finanzielle Hilfen, um einkommensschwachen Haushalten die Energiekosten zu erleichtern. Beispiele hierfür sind die „Tarifa Social de Energia“ in Portugal und das Wohngeld in Finnland.
- Energieeffizienzmaßnahmen: Durch die energetische Sanierung von Gebäuden können der Energieverbrauch und damit die Energiekosten gesenkt werden. Dies kommt insbesondere einkommensschwachen Haushalten zugute. Spanien und Litauen nennen dies als prioritäre Maßnahme.
- Förderung erneuerbarer Energien: Erneuerbare Energien können dazu beitragen, die Energiekosten zu senken und die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu erhöhen. Die Förderung von Eigenverbrauchsanlagen und Energiegemeinschaften wird in diesem Zusammenhang von mehreren Mitgliedsstaaten genannt, z. B. Spanien und Portugal.
- Information, Bewusstseinsbildung & Aufklärung: Viele Mitgliedsstaaten betonen die Bedeutung von Information und Beratung, um Haushalte über Energiesparmöglichkeiten und Förderprogramme zu informieren. Zum Beispiel strebt Finnland eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Energieberater:innen und Sozialdiensten an. Ein ähnliches Beispiel findet sich auch in den Niederlanden. Hier sind „Energy Fixers“ im Einsatz. Energieberater:innen, welche neben Beratung auch Energieeffizienzmaßnahmen in von Energiearmut betroffenen Haushalten setzen sollen, z. B. der Tausch von Weißwaren etc.
- Definition und Indikatoren: Um Energiearmut effektiv bekämpfen zu können, ist es wichtig, sie klar zu definieren und geeignete Indikatoren für die Messung und Überwachung zu entwickeln. In Italien wurde ein Observatorium für Energiearmut eingerichtet, das diese Aufgaben wahrnehmen soll. Malta plant die Einführung eines neuen Indikators, der die Besonderheiten des Landes besser widerspiegelt.
Die Mitgliedsstaaten setzen dabei, abhängig von ihrer national unterschiedlichen Betroffenheit, verschiedene Schwerpunkte und Maßnahmen. Das zuvor geforderte Zusammendenken von Sozial- und Energiepolitik findet allerdings nur in den wenigsten Mitgliedsstaaten tatsächlich statt. Meist bilden einzelne Maßnahmen aus den oben genannten Stoßrichtungen die Hauptaktivität gegen Energiearmut. Auch finden sich in den wenigsten Mitgliedsstaaten geeignete Governance-Strukturen.
Best Practice Österreich?
In Österreich wurde 2022 im Rahmen des Energieeffizienzgesetzes (Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie) eine eigene Stelle zur Bekämpfung von Energiearmut eingerichtet. Sie spielt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Energiearmut, indem sie eine Koordinierungs- und Schnittstellenfunktion übernimmt. Darüber hinaus soll sie dazu beitragen, die unterschiedlichsten Maßnahmen – vom Weißwarentausch bis zur Förderung der Heizsystemumstellung – zu koordinieren und ihre Wirksamkeit zu verbessern.
Aufgaben der Koordinierungsstelle für Energiearmut (kea):
- Analyse und Bewertung der Energiearmut in Österreich: Die kea erhebt Daten zu Energiearmut, analysiert die Ursachen und bewertet die Wirksamkeit von Maßnahmen.
- Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiearmut: Die kea erarbeitet Vorschläge für politische Maßnahmen und Programme zur Verringerung der Energiearmut.
- Koordinierung der Aktivitäten der relevanten Akteure: Die kea arbeitet mit anderen Ministerien, Behörden, Energieversorgungsunternehmen, NGOs und anderen Akteuren zusammen, um Maßnahmen gegen Energiearmut zu koordinieren.
Mit dieser Schwerpunktsetzung und in ihrer Funktionalität ist sie bisher einzigartig in Europa und kann als Best-Practice-Beispiel angesehen werden. Sie versucht genau dort anzusetzen, wo die meisten Politiken gegen Energiearmut enden: ein koordiniertes Vorgehen über unterschiedliche Policy-Ebenen und Maßnahmenbereiche sicherzustellen.
Beispielhaft kann das an den drei zentralen Unterstützungsprogrammen der kea dargestellt werden:
- „Sauber heizen für alle“ übernimmt für Menschen mit wenig Einkommen bis zu 100 Prozent der Kosten bei der Umstellung auf eine klimafreundliche Heizung (Sanierung & Technologiezugang).
- „Wohnschirm Energie“ zielt auf die finanzielle Unterstützung von Miet- und Energieschulden ab.
- „Energiesparen im Haushalt“ stellt die Dimension der Energieeffizienz ins Zentrum und unterstützt energiearme Haushalte durch Beratung und den Tausch energiefressender Weißware, wie zum Beispiel Kühlschrank und Waschmaschine etc.
Energiearmut: Quo vadis?
Die Teilhabe am modernen gesellschaftlichen Leben ist nur mit einem Zugang zu sauberen, sicheren und leistbaren Energien möglich. So vielseitig die Facetten von Energiearmut sein können, so vielfältig müssen auch die Lösungen im Kampf gegen sie sein. Die Nationalen Energie- und Klimapläne der europäischen Mitgliedsstaaten zeigen jedenfalls die unterschiedlichen Stoßrichtungen und Optionen, welche die einzelnen Mitgliedsstaaten im Kampf gegen Energiearmut wählen. Jedenfalls können wir von den vielfältigen Maßnahmen lernen: was funktioniert, wie, in welchem Kontext und wo neue Herausforderungen im Zuge der Umsetzung auftreten. Österreich selbst kann mit der Koordinierungsstelle für Energiearmut (KEA) ein Best-Practice-Beispiel für die internationalen Diskussionen beisteuern. Am Weg in eine klimaneutrale und gerechte Zukunft bleibt trotzdem noch viel zu tun.