Gesundheitssystem: Es braucht mehr Sozialstaats­beiträge und Steuer­mittel

14. August 2024

Gesundheitsleistungen sind eine der wichtigsten Säulen des österreichischen Sozialstaates, da alle Menschen davon profitieren. Forderungen nach Senkung der Lohnnebenkosten bedeuten geringere Einnahmen. Angesichts der Herausforderungen im Gesundheitssystem – sinkende Zufriedenheit, Wartezeiten, alternde Bevölkerung und demografischer Wandel – gefährden diese Forderungen die Versorgung. Statt Kürzungen braucht es eine Offensive im Gesundheitsbereich und eine verbesserte Gesundheitsfinanzierung mit mehr Sozialstaatsbeiträgen und zusätzlichen Steuermitteln.

Sinkende Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung

Die Zufriedenheit mit den Gesundheitsleistungen sinkt. So zeigt eine IFES-Befragung, dass weniger als die Hälfte (47 Prozent) der Befragten zufrieden mit dem Gesundheitssystem ist. Jede:r Sechste ist mit dem System unzufrieden. Die Unzufriedenheit der Versicherten bezieht sich auf die Verfügbar- und Erreichbarkeit von Kassenärzt:innen, Wartezeiten im niedergelassenen und im Operationsbereich, aber auch in Hinblick auf die Versorgungsqualität. In engem Zusammenhang mit den Versorgungsproblemen stehen auch hohe private Gesundheitsausgaben.

Hohe private Gesundheitsausgaben

Die öffentlichen Gesundheitsausgaben werden in Österreich zum Großteil über Steuern und über Sozialversicherungsbeiträge – u. a. aus sogenannten „Lohnnebenkosten“ – finanziert. Rund 40 Prozent der laufenden Gesundheitsausgaben wurden 2021 über die Sozialversicherung, knappe 38 Prozent über Steuern und ungefähr 22 Prozent über private Zahlungen finanziert. Im internationalen Vergleich sind die privaten Ausgaben in Österreich relativ hoch. In Ländern wie z. B. Schweden, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Kroatien, Deutschland und den Niederlanden ist der Anteil der privaten Gesundheitsausgaben deutlich unter 20 Prozent.

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Die hohen privaten Ausgaben werden zum ernsthaften Problem, wie Analysen vom Institut für höhere Studien (IHS) zeigen. Immer mehr Menschen verarmen, weil sie für ihre Gesundheit privat zahlen müssen. Waren dies 2004/05 noch 1,4 Prozent der Haushalte, verdoppelt sich dieser Anteil in den folgenden 15 Jahren auf 2,8 Prozent.

Herausforderung hohe Personalbedarfe

Der Gesundheitsbereich ist ein wichtiger Arbeitgeber und zentraler Wirtschaftsfaktor. Allein im Krankenhausbereich arbeiten derzeit über 100.000 Menschen in Gesundheitsberufen. Demografische Entwicklungen wirken sich sowohl auf Menschen, die Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen als auch auf das Personal – Stichwort Pensionierung – aus und tragen dazu bei, dass ein enormer Bedarf an Beschäftigten in Gesundheitsberufen besteht. So zeigt sich laut aktueller Personalbedarfsprognose der Gesundheit Österreich, dass für die Pflege bis zum Jahr 2050 zusätzlich rund 70.000 Pflegepersonen benötigt werden, allein um den Versorgungsstand von 2019 aufrechtzuerhalten. Darüber gibt es zusätzlichen Personalbedarf, um die belastenden Arbeitsbedingungen zu verbessern. Für Oberösterreich gehen wir davon aus, dass es zur Entlastung unmittelbar 20 Prozent mehr Personal in den Krankenhäusern, verteilt auf alle Berufsgruppen, braucht. Nicht zuletzt führt der Personalmangel mittlerweile zu Bettensperren und verschobenen Operationen in den Krankenhäusern. Im niedergelassenen Bereich ist ein Trend zur Verschiebung von Leistungen hin zu Wahlärzt:innen und eine Verdichtung bei den Kassenärzt:innen sichtbar.

Herausforderung Klimawandel

Das Projekt COIN hat frühzeitig auf die weitreichenden Folgen der Klimakrise auf die Gesundheit aufmerksam gemacht. Im schlechtesten Szenario werden zwischen 2016 und 2045 jährlich bis zu 1.200 Hitzetote erwartet – zwischen 2036 und 2065 bis zu 3.000. Die Anzahl an Hitzetoten ist aber dabei nur die Spitze des Eisberges. Hitzeperioden belasten zusätzlich den Rettungsdienst, den niedergelassenen Bereich und die Spitäler. Schlechte thermische Sanierung oder mangelnde Klimatisierung von Spitalsgebäuden führen zu weiteren Problemlagen. Die prognostizierten Hitzeperioden stellen nicht nur Risiken für die Patient:innen dar, sondern sind auch zusätzliche Arbeitsbelastungen für das Pflege- und medizinische Personal. Ziel muss es daher sein, ein klimaresilientes Gesundheitssystem zu etablieren, das Anpassungsmaßnahmen setzt, die trotz klimawandelbedingter Extremwetterereignisse und Gesundheitsfolgen in der Lage ist, den Versorgungsauftrag weiterhin aufrechtzuerhalten. Dabei entscheidend wird die Personalausstattung und die Finanzierung im Gesundheitssystem sein.

Herausforderung Finanzierung

Allein aufgrund der demografischen Entwicklung und des technischen Fortschritts in der Medizin geht der Ageing Report 2024 davon aus, dass die Gesundheitsausgaben bis 2070 um rund 1,1 Prozentpunkte auf 8,9 Prozent des BIP steigen (ohne Ausgaben für Langzeitpflege). Würde es gelingen, die gesunden Lebensjahre bei steigender Lebenserwartung zu erhöhen, könnten die Gesundheitsausgaben erheblich gedämpft werden. Dies zeigt das Potenzial von präventiven Gesundheitsmaßnahmen.

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Herausforderungen solidarisch meistern

Die Gesundheitsversorgung ist in Österreich eine gemeinschaftliche, sozialstaatliche Leistung. Ausgabensteigerungen in diesem Bereich können einen höheren Wohlstand bedeuten, wenn diese eine gute Versorgung der Menschen widerspiegeln. Investitionen in das Gesundheitssystem sind aber auch ein entscheidender Faktor für zukünftiges Wirtschaftswachstum. Um die großen Herausforderungen anzugehen und um Fortschritte im Gesundheitssystem zu erzielen, braucht es den politischen Willen, dies zu finanzieren und weitere Einnahmequellen zu erschließen.

Die Gesundheitsökonomin Hofmarcher-Holzhacker problematisiert einerseits die mehrgleisige Gesundheitsfinanzierungstruktur (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherung) als „Dschungel der Zuständigkeiten“, in dem verfügbare Gelder nicht effizient genug eingesetzt werden. Andererseits spricht sie auch nötige Mehreinnahmen an, um aktuelle und zukünftige Bedarfe zu decken. Diese könnten über höhere Krankenversicherungsbeiträge, die dadurch aber den Faktor Arbeit zusätzlich belasten, oder aber über vermögensbezogene Steuern finanziert werden.

Mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge erscheint die Rücknahme der massiven Kürzungen der Unfallversicherungsbeiträge (UV-Beitrag) als besonders wichtig. Grund dafür ist, dass sich durch die Kürzung interne Zahlungsströme zwischen den Versicherungsträgern zulasten der Krankenversicherung veränderten. Der UV-Beitrag wurde seit 2014 mehrmals von 1,4 auf 1,1 Prozent gekürzt. Eine Rücknahme der Kürzungen würde pro Jahr über 400 Millionen Euro an Finanzierungsmitteln für die Unfall- und Millionenbeträge für die Krankenversicherung bedeuten.

Darüber hinaus sollten Maßnahmen getroffen werden, um die Sozialversicherungs-Beitragsrückstände der Betriebe zu reduzieren. Die KV-Beitragsrückstände der Unternehmen beliefen sich in den Vor-Corona-Jahren auf mehrere Hundertmillionen Euro pro Jahr (siehe 2019, 2018, 2017). Und allein 2022 waren es eine Dreiviertelmilliarde Euro. Beiträge, die dem Gesundheitssystem fehlen.

Ein etwas komplizierter, aber wichtiger Vorschlag betrifft die Krankenversicherung der Pensionist:innen. Pensionsbezieher:innen zahlen einen Krankenversicherungsbeitrag von 5,1 Prozent. Die realen Kosten können durch diesen Beitrag in der Krankenversicherung aber nicht gedeckt werden. Deshalb schießt der Staat Geld über sogenannte Hebesätze zu. Diese Hebesätze gestalten sich aber nach Pensions- und Krankenversicherungsträger sehr unterschiedlich. So werden die Beitragseinnahmen von den meisten Arbeitnehmer:innen um 178 Prozent erhöht, während jene der Selbstständigen um 196 Prozent und jene der Bäuerinnen und Bauern um 387 Prozent erhöht werden. Würden auch die Beiträge der Arbeitnehmer:innen um 387 Prozent erhöht werden, würde das Mehreinnahmen für die ÖGK von ungefähr 4 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Eine Erhöhung um 200 Prozent würde immerhin zu Mehreinnahmen von ungefähr 430 Millionen Euro im Vergleich zum Status quo führen. Diese grob geschätzten Werte sollen verdeutlichen, dass eine Veränderung der Hebesätze immense Effekte zur Folge hätte. Eine stärkere Steuerfinanzierung der Krankenversicherung der Pensionist:innen könnte ein gangbarer Weg sein. Zumal der demografische und klimabedingte Wandel den Aufwand für Pensionist:innen in der Krankenversicherung steigen lässt. Gleichzeitig könnten bestehende Ungerechtigkeiten durch die unterschiedlich hohen Hebesätze reduziert werden.

Die hier andiskutierten Vorschläge könnten einen Beitrag dazu leisten, die zukünftigen Finanzierungsherausforderungen in Angriff zu nehmen. Sie orientieren sich an einem sozialstaatlichen Verständnis, wonach die Gesundheitsversorgung eine öffentliche Aufgabe ist. Private Zahlungen sind nicht zielführend, da dadurch Gesundheitsleistungen von der Zahlungsfähigkeit der Betroffenen und nicht vom medizinischen Bedarf abhängig werden. Stärkere private Zahlungen erhöhen daher die gesundheitliche Ungleichheit, was keine gesellschaftlich wünschenswerte Entwicklung wäre.

Eine Langversion dieses Beitrags erscheint demnächst in der Wirtschafts- und sozialpolitischen Zeitschrift WISO.

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