Allein aufgrund der Alterung ist in den kommenden Jahren mit einem Anstieg der öffentlichen Ausgaben insbesondere für Gesundheits- und Pflegeleistungen zu rechnen. Die neuen Budgetregeln der EU schaffen nun einen Anreiz, mit deren gegenfinanziertem Ausbau bereits heute zu beginnen: Wird er auf die lange Bank geschoben, reduziert sich der Budgetspielraum für die heutigen Ausgaben. Mit dem für ein gutes Leben im Alter zwingend notwendigen Ausbau der Leistungen sollte deshalb besser heute als morgen begonnen werden.
Österreichs Bevölkerung wächst und wird älter
Laut aktueller Bevölkerungsprognose der Statistik Austria wird die Bevölkerung in Österreich in den kommenden Jahren weiter wachsen: bis 2080 auf 10,2 Mio. Menschen. Bei aller Vorsicht mit solch langfristigen Prognosen fällt besonders der Anstieg der Bevölkerung über 65 auf. Dieser konzentriert sich auf die nächsten beiden Jahrzehnte: Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung steigt von 20 Prozent im Jahr 2023 auf 27 Prozent 2040 – im mehr als doppelt so langen Zeitraum danach nur mehr um zwei Prozentpunkte.
Dies führt selbst bei einem reinen Fortschreiben der bestehenden Leistungen zu einem deutlichen Anstieg der öffentlichen Ausgaben für Pensionen, Gesundheit und Langzeitpflege. Bei den Pensionen wurden durch vergangene Pensionsreformen langfristige Leistungskürzungen implementiert, die zu einer Stabilisierung der Ausgaben relativ zum BIP ab 2032 führen, ehe sie dann sogar zurückgehen. Anders verhält es sich bei Gesundheit und Pflege, wo ein qualitativer Ausbau und eine Weiterentwicklung des Status quo schon jetzt dringend notwendig wären, insbesondere der Langzeitpflege.
Ausgabenentwicklung: stabile Pensionen, hohe Dynamik bei Pflege und Gesundheit
Diese Entwicklung ist schon lange bekannt und es liegen zahlreiche Kostenschätzungen für Österreich vor.
Im Kontext der EU-Fiskalregeln ist der alle drei Jahre erscheinende Ageing Report der Europäischen Kommission, der die alterungsbedingten Kosten für die Haushalte der Mitgliedsstaaten analysiert, besonders relevant. Der aktuelle Bericht von 2024 prognostiziert für Österreich einen Anstieg aller Alterungskosten von 27,7 Prozent des BIP im Jahr 2022 auf 29,1 Prozent in 2030 und 29,3 Prozent in 2040. Diese im EU-Vergleich unterdurchschnittliche Dynamik verdeckt die hohen relativen Zuwächse in der Pflege von 1,6 Prozent 2022 auf 2,1 Prozent des BIP 2040 (und weiter auf 3,1 Prozent bis 2070). Die Gesundheitsausgaben sollen von 7,8 auf 8,4 Prozent zulegen.
Die ältere langfristige Budgetprognose des Finanzministeriums auf Basis von Berechnungen des WIFO kommt bis 2040 zu einem etwas stärkeren Anstieg der Pensionsausgaben, geht aber in den Bereichen Gesundheit und ebenfalls insbesondere der Langzeitpflege von einer ähnlichen Entwicklung wie der Ageing Report 2024 aus. Längerfristig bleiben die Pensionsausgaben auch hier stabil, während sie in den anderen beiden Bereichen weiter wachsen.
In einer Analyse der neuen EU-Fiskalregeln der Hans Böckler Stiftung wird auf das Problem aufmerksam gemacht, dass es deutliche Unterschiede in den geschätzten Alterungskosten zwischen 2030 und 2040 – dem relevanten Zeitraum für das neue Regelwerk – zwischen verschiedenen Jahrgängen (2015, 2018, 2021, 2024) von Ageing Reports für verschiedene Länder gibt. Diese könnten enorme Folgen für deren fiskalische Spielräume innerhalb der neuen Fiskalregeln haben.
EU Economic Governance: einseitiger Fokus auf Kosten ohne Nutzenkalkül
Mit dem Anstieg der Alterungskosten ist Österreich nicht allein. Im Euroraum ist er bis 2045 in etwa im Durchschnitt. Auf europäischer Ebene wird er als besonderes Problem gesehen, weil der politische Blick fehlgeleitet ist: Die EU Governance fokussiert nämlich auch nach ihrer Reform nicht auf die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen (wie es die europäischen Verträge vorsehen würden), sondern auf die Vermeidung übermäßiger Budgetdefizite. Damit gerät der Nutzen öffentlicher Sicherung von Pensionen bzw. der Versorgung pflege- oder heilungsbedürftiger alter Menschen aus dem Blick, weil der Fokus auf deren Kosten gelegt wird. Statt eines regelmäßigen Berichts über das Wohlergehen älterer Menschen gibt es nur einen zu den Ageing Costs – der konsequenterweise nun stärkere Konsequenzen nach sich ziehen soll.
Das Vehikel dafür war die Reform der Fiskalregeln, die im Frühjahr 2024 in Kraft trat. Wesentliche – und grundsätzlich begrüßenswerte – Änderung ist die Ausrichtung auf die langfristige Schuldentragfähigkeit. Das Problem: Welche Staatsverschuldung als tragfähig gilt, wurde nicht sachlich anhand von üblichen Kriterien – wie dem Verhältnis zum öffentlichen Vermögen auf der Aktivseite der Bilanz, dem stemmbaren Schuldendienst oder zumindest einem internationalen Benchmarking – bestimmt, sondern politisch bzw. arbiträr: langfristig auf unter 60 Prozent des BIP zurückgehend. Um das zu gewährleisten, müssen die Mitgliedsstaaten vier- bis siebenjährige Fiskalstrukturpläne abgeben, die bei Überschreitung dieser Schwelle eine entsprechende Selbstverpflichtung – unter Wahrung von EU-Mindeststandards – zur Konsolidierung enthalten muss, deren Einhaltung nun am jährlichen Ausgabenwachstum (anstelle nicht beobachtbarer Defizitschätzungen) überprüft wird. Obwohl entscheidend, wurde die wesentliche Detailregelung dieser Mindeststandards nicht in der Verordnung selbst getroffen, sondern der EU-Kommission überlassen.
EU-Fiskalregeln als sanktionsfähiges Druckinstrument zur Kostensenkung
An dieser Stelle kommen die Kosten der Alterung ins Spiel. Sie sind nämlich eine der wesentlichen Grundlagen für die Bestimmung dieser Mindeststandards, für die die Kommission eine besonders prognoseabhängige Methode entschieden hat: In mehreren Teilanalysen wird simuliert, ob die Staatsschuldenquote mit hoher Wahrscheinlichkeit auch 10 Jahre nach Ende des Fiskalstrukturplans weiter zurückgegangen sein wird – konkret also bis 2038 oder gar 2041. Während die Einnahmen langfristig stabil angenommen werden, wird der prognostizierte Ausgabenanstieg gemäß Ageing Report voll aufgeschlagen – obwohl ja die Fiskalregeln selbst genau das zwischenzeitlich verhindern müssten. Diese Quadratur des Kreises wird nochmals ad absurdum geführt, als dass die Berechnungen derart komplex sind bzw. so viele Annahmen erfordern, dass die Mitgliedsstaaten selbst sie gar nicht verlässlich durchführen können – was auch die aktuelle Verwirrung um den Konsolidierungsbedarf der kommenden Regierung erklärt, der sich wesentlich aus den unterschiedlichen Annahmen von Fiskalrat, Budgetdienst und BMF bzw. EU-Kommission speist (konkret dürfte gerade bei den mittelfristigen Ageing Costs der größte Unterschied liegen).
Im Ergebnis führt die Methode dazu, dass der prognostizierte Anstieg der Alterungskosten bis 2038/2041 zu einem unmittelbar höheren Konsolidierungsbedarf im aktuellen Plan führt. Das kann aber umgekehrt auch als Anreiz für langfristige Reformen gesehen werden: Beschließt man heute eine für die Pflege zweckgewidmete Erbschaftsteuer, würde das den unmittelbaren Konsolidierungsbedarf senken, selbst wenn die Einnahmen erst in ein paar Jahren fließen. Beispielsweise konnte die progressive Regierung in Spanien mit ihrer langfristig einnahmenseitig wirkenden Pensionsreform ihren aktuellen Konsolidierungsbedarf so weit senken, dass ein hartes Kürzungsprogramm vermieden werden konnte. Gleichzeitig kann dieser Anreiz auch von staatsfeindlicher Seite genutzt werden, weil langfristige Leistungskürzungen ebenso bereits den heutigen Konsolidierungsbedarf reduzieren. Die rechte Regierung in Finnland konnte so mit Leistungskürzungen in der Pflege die Anforderungen reduzieren.
Ausbau von Langzeitpflege und Gesundheit möglichst rasch beginnen
Die Regel eröffnet aber noch eine dritte Reformoption: den heutigen Ausbau von Gesundheits- und Pflegeleistungen, der langfristig bereits eingepreist ist. Dies würde nämlich zu einem flacheren Anstieg der Staatsausgaben nach Planende führen, der einen steileren Anstieg innerhalb des Plans ermöglicht. Berücksichtigt man zudem, dass dies Teil eines Reform- und Investitionspakets sein könnte, das eine Streckung der Konsolidierung von vier auf sieben Jahre – mit entsprechend geringerem Anpassungsbedarf pro Jahr – ermöglicht, könnte der Gesamteffekt sogar spielraumgebend sein. Um das berechnen zu können, müsste die Kommission die Grundlage dafür veröffentlichen und regelmäßig aktualisieren (derzeit stellt sie diese nur nach eingereichtem Plan ohne Aktualisierung zur Verfügung).
Was man jedenfalls sagen kann: Den Ausbau der Leistungen zu verschleppen, ist weder für die betroffenen Menschen noch für die Einhaltung der Fiskalregeln eine ratsame Option. Bereits 2030 werden rund 370.000 mehr Menschen als 2023 in Österreich 65 Jahre oder älter sein, 2040 sind es voraussichtlich rund 770.000. Eine fortschrittliche Budgetpolitik muss dies berücksichtigen und die entsprechenden Mittel hierfür bereitstellen. Dabei gilt es Folgendes zu berücksichtigen: Erstens müssen die laufenden Ausgaben dauerhaft über (höhere) Steuern und Beiträge abgesichert sein. Hier hilft, dass ein großer Teil der Ausgabensteigerungen Personalkosten sind, die sich zu knapp 70 Prozent selbst finanzieren, da sie auch zu höheren Beitrags- und Steuereinnahmen führen. Zweitens müssen nachhaltige Regelungen im Rahmen des Finanzausgleichs geschaffen werden, damit Bund, Länder und Gemeinden in der Lage sind, die Leistungen entsprechend der Bedarfe anzubieten. Dabei sollten auch bestehende sinnvolle Strukturen, wie der Pflegefonds, für eine gemeinsame Gestaltung und Weiterentwicklung der Leistungsangebote genutzt werden.
Potenziale nutzen – Systeme effizient weiterentwickeln
Wenngleich für den notwendigen Ausbau des Gesundheits- und Pflegesystems höhere Einnahmen unumgänglich sein werden, befinden sich einige Ansatzpunkte zur Effizienzsteigerung in und zwischen den Systemen. Zentraler Ansatzpunkt bleibt die Prävention: Eine Erhöhung der Jahre, die Menschen in Gesundheit verbringen, wirkt sich sehr positiv auf die Kosten beider Systeme aus – und führt zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Menschen. Österreich hat großes Potenzial, die Gesundheitsprävention zu verbessern, dabei muss bereits im Kindesalter und im direkten Umfeld der Menschen angesetzt werden. Es sollte so rasch wie möglich und unter Einbeziehung der Sozialpartner ein Präventionsgesetz entwickelt werden, das die Zuständigkeiten klar regelt und die Finanzierungsbasis verbessert.
Weiters gilt es, das Potenzial der Digitalisierung zu nutzen. Zudem bergen Schnittstellen sowohl zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, aber insbesondere zwischen Gesundheits- und Pflegesystem (wer bietet wo Leistungen an, Rettungswesen, Entlassungsmanagement, Kurzzeitpflege versus Drehtüreffekte im Spital) Einspar- und Optimierungspotenziale. Das gesparte Geld und Zeit können dann in bessere Leistungen fließen.
Fazit: Alterung darf kosten
Die alternde Gesellschaft führt zu Ausgabensteigerungen. Diese dürfen nicht nur als reine Kosten gesehen werden, denn ein Ausbau der Gesundheits- und Pflegeleistungen führt zu einem höheren gesellschaftlichen Wohlstand und mehr Wohlergehen für die Betroffenen und auch für ihre Familien. Letztlich geht es um nicht weniger als die Frage, wie wir uns als Gesellschaft ein gutes Leben im Alter vorstellen. Ein Ausbau der Leistungen muss also weit über das reine Fortschreiben des Status quo anhand der demografischen Entwicklung hinausgehen.