Die Errichtung von Gemeinschaftsräumen wurde in den letzten Jahren im Wiener Wohnbau zum Megatrend. In Neubauquartieren fordert die Stadt Wien, dass diese auch von Personen genutzt werden können, die nicht zur Hausgemeinschaft gehören. Indem Bewohner:innen untereinander Nutzungsregeln vereinbaren und die Räume partizipativ mitgestalten, soll nicht nur der eigene Wohnraum kostengünstig erweitert, sondern auch das Entstehen lebendiger und integrativer Nachbarschaften gefördert werden. Die quartierübergreifende Entwicklung der Räume ist aber von unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen und von Privatisierungstendenzen einer vermehrt kooperativen Stadtentwicklung beeinflusst und gefordert. Ein Plädoyer für eine gelungene Vergemeinschaftung.
Stadterweiterung braucht mehr als Wohnen
Die Wiener Bevölkerung wächst kontinuierlich. Aktuell steht sie kurz davor, zum historisch zweiten Mal die 2-Millionen-Marke zu erreichen. Besonders stark vom Wachstum betroffen sind die Außenbezirke, wo die größten Entwicklungsgebiete liegen. Während die Erweiterung dieser Gebiete von einer regen Bautätigkeit geprägt ist, hinkt die sozio-kulturelle Nahversorgung hinterher. Das zeigt mitunter eine Auswertung der Anzahl und Lage öffentlicher und privater Einrichtungen der Daseinsvorsorge und des sozialen Ausgleichs im Rahmen des Fachkonzeptes „Polyzentrales Wien“ (Beitrag zum STEP 2025).
Stadterweiterung braucht mehr als Wohnen, das ist indes bekannt. Soziale und kulturelle Infrastruktur – in Form von Schulen, Büchereien, Kindergärten, Kulturstätten, aber auch Jugend- und Nachbarschaftszentren – wird seit den 1990er Jahren in Forschungen zu urbaner Resilienz untersucht. Insbesondere ihre Bedeutung für lokale Gemeinschaftsbildung wird angesichts zunehmender Individualisierung, gesellschaftlicher Differenzierung und multipler Krisen hervorgehoben.
Hauseigene Gemeinschaftsräume
Die Berücksichtigung von Gemeinschaftseinrichtungen bei der Planung neuer Wohnbauten hat in Wien lange Tradition. Bereits im kommunalen Wohnbau des „Roten Wien“ wurden diese, beispielsweise in Form von Hobby- oder Waschräumen, errichtet. Seit der Einführung des Kriteriums der „sozialen Nachhaltigkeit“ in Bauträgerwettbewerben im Jahr 2009 gehören sie auch im geförderten Wohnbau zur Standardausstattung. Im frei finanzierten Segment gelten sie, neben Assets wie Photovoltaikanlagen, Erdwärmepumpe, Hausservice oder Urban Gardening, mittlerweile als Verkaufsargument. Auch Stadtentwicklungsgebiete, bei denen die Errichtung gemeinschaftlicher Raumressourcen zwischen privaten Entwicklungsgesellschaften und der Stadt vereinbart wird, nutzen diese für ihr Marketing.
Gemeinschaftsräume sind aber oft wenig ausgelastet. Das ist zum Teil auf Mehrkosten zurückzuführen, die bei ihrer Instandhaltung entstehen: Teilweise wurden die Kosten für die Ausstattung nicht mitgedacht, die Mitnahme von Mobiliar durch Bewohner:innen wird aber aus Haftungsgründen untersagt. Andernorts lässt die schlechte Raumakustik keine Nutzung in Gruppen zu. Die geringe Auslastung lässt sich aber auch mit dem traditionell auf die Hausgemeinschaft beschränkten Zugang erklären. Denn klar ist: Nicht alle interessieren sich für Gemeinschaftseinrichtungen. Während sie meist von allen Bewohner:innen über die Betriebskosten mitfinanziert werden, beschränkt sich die Nutzung oft auf ein paar wenige interessierte Haushalte.
Quartierübergreifende Gemeinschaftsräume als neuartiger Trend
Ein neuer Trend ist es daher, Gemeinschaftseinrichtungen für ganze Nachbarschaften zu öffnen. Das ist vor allem in Neubauquartieren der Fall, die über wenig Anknüpfungspunkte mit bestehenden Ortskernen verfügen und einen Mangel an sozialer und kultureller Infrastruktur aufweisen.
Beispiele dafür sind das ehemalige Areal der Coca-Cola-Produktion Biotope City Wienerberg oder das Quartier Erlaaer Flur, wo sich die Bauplätze ein gegenseitiges Nutzungsrecht für ihre Gemeinschaftsräume einräumen. In Neu Leopoldau wird ein Quartierszentrum errichtet und im Wildgarten entwickelte die Projektgesellschaft ein Nachbarschaftszentrum in einem denkmalgeschützten Gebäude.
Mitgestaltung durch Bewohner:innen
Die Entwicklung quartierübergreifender Gemeinschaftsräume ist dabei stark vom wohnungspolitischen Ziel „Wohnen in Gemeinschaft“ beeinflusst, das in Bauträgerwettbewerben verankert ist. Dabei geht es mitunter um die Förderung lebendiger Nachbarschaften. Die gemeinsame und teilweise weitgehend selbstverwaltete Nutzung von Räumen und das Aushandeln von Nutzungsregeln unter Bewohner:innen wird dafür als förderlich betrachtet. Außerdem soll Mitgestaltung das Verantwortungsbewusstsein und die Identifikation mit dem Wohnumfeld stärken.
Um das zu ermöglichen, werden Gemeinschaftsräume anfänglich von Expert:innen für Gemeinwesenarbeit begleitet. Während die Stadt Wien ähnliche Prozesse bereits im Rahmen des Stadtteilmanagements der städtischen Gebietsbetreuungen initiiert, werden diese in Neubauquartieren vor allem von Bauträgern finanziert. Beispiele dafür sind die Biotope City Wienerberg, wo ein Quartiersmanagement von den Bauträgern Arwag, Gesiba, Mischek, ÖSW, Buwog und Wohnungseigentum beauftragt wurde oder das Quartier Wildgarten, wo die Entwicklungsgesellschaft die soziale Begleitung finanziert.
Hürden für die Aneignung
Die Handlungs- und Entscheidungskompetenzen von Bewohner:innen hinsichtlich Ausstattung und Entwicklung von quartierübergreifenden Gemeinschaftsräumen sind aber begrenzt. Probleme, die bereits bei hauseigenen Gemeinschaftsräumen auftreten, bleiben im Zuge ihrer quartierübergreifenden Öffnung bestehen – hinzu kommen weitere rechtliche und finanzielle Unsicherheiten. Vielerorts ergeben sich ungeklärte haftungsrechtliche Fragen, beispielsweise wenn Bewohner:innen aus einem anderen Haus kommen und etwas kaputt machen. Unklar scheint auch, wie vorgegangen wird, wenn bei Mietkaufwohnungen die Kaufoption gezogen wird und die Eigentümer:innen entscheiden können, was mit ihrem Raum passiert.
Besonders kritisch ist die Entwicklung von Gemeinschaftsräumen im Rahmen von Public-Private-Partnerships. Das zeigt ein aktuelles Beispiel in einem großen Wiener Stadtentwicklungsgebiet: Die Stundenpreise für das quartierübergreifende Nachbarschaftszentrum wurden dort im Jahr der Teuerungen 2022 von 12 auf 24 Euro verdoppelt. Die zum Teil kostenlose Öffnung der Räume für die Nachbarschaft wurde laut städtebaulichem Vertrag außerdem lediglich für die Phase der Besiedlung festgeschrieben – der Flächenwidmungsplan erlaubt auch eine gewerbliche Nutzung.
Handlungsbedarf: städtebauliche Verträge
Gerade in Neubauquartieren kommen städtebauliche Verträge zunehmend zum Einsatz. Seit 2014 ermöglicht das städtebauliche Instrumentarium, Grundeigentümer:innen zur Beteiligung an Planungs- und Infrastrukturkosten zu verpflichten. Auch die Einrichtung eines Quartiermanagements und die langfristig gemeinnützige Entwicklung quartierübergreifender Gemeinschaftsräume können damit vereinbart werden. Da die Verträge zwischen Stadt und privaten Investor:innen nicht einsehbar sind, ist über die konkreten Vertragsinhalte bislang aber wenig bekannt. Und selbst nach Einsicht bleibt vieles unklar: Konzepte für die langfristige Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen werden offen formuliert. Verbindliche Vereinbarungen betreffen vor allem den sozialen Wohnbau, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie den öffentlichen Raum.
Quartierübergreifender Gemeinschaftsraum als (öffentliche) Daseinsvorsorge
Auch für eine gelungene Entwicklung quartierübergreifender Gemeinschaftsräume braucht es aber mehr als ihre bauliche Errichtung und eine befristete soziale Begleitung. Das Ziel der Mitgestaltung und Selbstverwaltung kann keine Auslagerung von Kosten auf Bewohner:innen bedeuten. Stattdessen braucht es ein (neues) Bekenntnis der Stadt zu gemeinschaftsfördernder Infrastruktur im Grätzel als Teil der (öffentlichen) Daseinsvorsorge. Im Kontext von Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes, steigender Wohnkosten und allgemeiner Teuerungen können konsumzwangfreie Gemeinschaftsräume eine wichtige räumliche Qualität bieten. Das ist aber nur der Fall, wenn Leistbarkeit und Zugänglichkeit langfristig für alle im Stadtteil gesichert sind.
Vor allem in Stadtentwicklungsgebieten, die im Rahmen von Public-Private-Partnerships geplant werden, sind einheitliche, klare und wirksame vertragliche Vereinbarungen sowie qualitätssichernde Maßnahmen notwendig. Der erst kürzlich von der Stadt Wien eingeführte Qualitätsbeirat könnte dafür ein hilfreiches Instrument darstellen. Das Fachkonzept „soziale Infrastruktur“, das aktuell im Rahmen des STEP 2035 erstellt wird, soll laut Stadtregierung darüber hinaus „verbindliche Vorgaben für die Ausstattung von Stadtentwicklungsgebieten mit sozialer Infrastruktur“ schaffen. Unklar ist noch, inwiefern mit den Maßnahmen auch quartierübergreifende Gemeinschaftsräume gefasst werden. Das wäre dringend notwendig.
Forderungen für die Entwicklung quartierübergreifender Gemeinschaftsräume in Wiener Neubauquartieren
- Sicherstellung von Leistbarkeit und Zugänglichkeit für alle interessierten Bewohner:innengruppen
- Qualitätskontrollen in Hinblick auf Ausstattung und Nutzbarkeit
- Finanzierungsmodelle für die Verrechnung bauplatzübergreifender Kosten innerhalb der Wohnbauförderungslandschaft
- Verbesserung von Wirksamkeit und Transparenz städtebaulicher Verträge
- Nicht-gewerbliche Nutzungsfestlegungen
- Langfristige finanzielle Absicherung für Betrieb und Verwaltung
- Längerfristige finanzierte professionelle Begleitung der Räumlichkeiten durch Expert:innen für Gemeinwesenarbeit
- Stärkere Einbindung von Bewohner:innen sowie Besiedlungs- und Quartiermanagement bei der Evaluierung von Bestandsprojekten
Der Beitrag basiert auf Untersuchungen zu der von Eva-Maria Kehrer verfassten Masterarbeit „Raum für alle, von Anfang an? Bewohner:innenperspektiven auf quartierübergreifende Raum- und Mitgestaltungsangebote im Rahmen von Public-Private-Partnerships bei der Wiener (AT) Stadterweiterung“. Die Arbeit wurde am Institut für Politikwissenschaften verfasst und von der Arbeiterkammer Wien im Rahmen einer Forschungsassistenz gefördert.