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Allein bei der Körperschaftsteuer geht die OECD davon aus, dass durch die Steuervermeidungsstrategien der Unternehmen den Staaten weltweit bis zu 240 Mrd. Dollar entgehen. Das sind bis zu 10 Prozent des weltweiten Körperschaftsteueraufkommens.
Zahlreiche Skandale um Steuervermeidung und Steuerhinterziehung aufgeflogen
Bei der Steuervermeidung auf die Spitze getrieben haben es dabei sicher der Technologiekonzern Apple und der EU-Mitgliedstaat Irland: Aufgrund einer Sondervereinbarung mit Irland zahlte Apple im Jahr 2004 eine Gewinnsteuer von lediglich 0,005 Prozent. Das sind 50 Euro für 1 Million Euro Gewinn. An die Öffentlichkeit gelangten diese unlauteren Praktiken vor allem durch Whistleblower, die auf derartige Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten und Konzernen aufmerksam machten. Die offengelegten Informationen zeigen wie Vermögende mithilfe der Finanz- und Beratungsindustrie ihr Vermögen in Steueroasen verstecken.
Die zahlreichen publik gewordenen Steueroasenskandale wie „LuxLeaks“, „Panama Papers“ und „Paradise Papers“ dokumentieren Tausende Fälle von Steuerumgehung und Steuerbetrug. Trotzdem war es bislang kaum möglich, auf Ebene der Europäischen Union Fortschritte gegen derartige Praktiken zu erreichen.
Vorschläge der Europäischen Kommission, wie etwa die Einführung der sogenannten Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, Maßnahmen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft, die geplante länderweise Berichterstattung für Großunternehmen hinsichtlich Umsätze und Gewinne oder auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, liegen zum Teil schon seit Jahren auf dem Tisch.
Einzelne Mitgliedstaaten blockieren schon seit Jahrzehnten Entscheidungen, die beispielsweise den Wettlauf nach unten bei den Unternehmensgewinnsteuern beenden würden. Es sind vor allem jene Mitgliedstaaten, die mit ihren Niedrigststeuermodellen den anderen Mitgliedstaaten schaden.
Neuer Kommissionsvorschlag soll Entscheidungen in der EU-Steuerpolitik vereinfachen
Anfang des Jahres hat die Europäische Kommission nun einen Vorschlag veröffentlicht, der schrittweise für ein Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip bei steuerpolitischen Regelungen sorgen soll. Stattdessen soll, wie in anderen Politikbereichen auch, für einen Beschluss eine qualifizierte Mehrheit ausreichen.
In einem ersten Schritt soll für Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sowie für mehr Steuerehrlichkeit von Unternehmen die qualifizierte Beschlussfassung eingeführt werden. Insbesondere die Verwaltungszusammenarbeit und Amtshilfe zwischen den EU-Ländern soll damit erleichtert werden. Auch der Abschluss von einschlägigen internationalen Abkommen zwischen der EU und Drittländern könnte damit möglich werden. Besteuerungsrechte, Bemessungsgrundlagen sowie die in den einzelnen Mitgliedsländern gültigen unterschiedlichen Steuersätze wären davon laut Kommission nicht berührt.
In einer zweiten Phase soll die qualifizierte Mehrheit für steuerliche Maßnahmen zur Erreichung anderer politischer Ziele eingeführt werden. Die Kommission führt Beispiele aus dem Umweltbereich, dem Gesundheitswesen und der Verkehrspolitik an.
Der dritte Teil der Neuerung im Steuerbereich soll darin bestehen, bereits weitgehend EU-weit harmonisierte Regelungen im Steuerbereich weiterzuentwickeln. Die Kommission zielt damit insbesondere auf das bestehende Mehrwertsteuersystem ab, das in der derzeitigen Form schwerfällig und sehr betrugsanfällig ist.
Im abschließenden vierten Schritt soll die qualifizierte Mehrheit auch für Initiativen angewendet werden, die direkt den Steuerbereich betreffen und für eine faire Besteuerung am Binnenmarkt sorgen sollen. Als Beispiel führt die Kommission die geplante Reform der Gewinnbesteuerung („Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage“) sowie die Besteuerung der digitalen Wirtschaft an.
Alle EU-Mitgliedsländer müssten neuem Verfahren zustimmen
Zur Verwirklichung dieser Ziele ist es nötig, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs einer sogenannten „allgemeinen Überleitungsklausel“ („Passerelle clause“) zustimmen, die im EU-Vertrag enthalten ist. Die im Artikel 48 Absatz 7 EUV enthaltene Regelung würde eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung bei EU-Steuerthemen möglich machen. Gleiches gilt auch für Artikel 192 Absatz 2 AEUV, der sich auf steuerliche Maßnahmen im Umweltbereich konzentriert. Das Problem bei beiden Klauseln: Alle Mitgliedstaaten müssten dem zustimmen.
Es gibt für die Kommission allerdings noch einen anderen Weg, Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit bei steuerpolitischen Fragen herbeizuführen. Der EU-Vertrag sieht im Artikel 116 AEUV vor, dass ein Beschluss auch im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren möglich ist, wenn Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Steuervorschriften bestehen, die in den Beratungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht beseitigt werden konnten. Davon hat die Europäische Kommission bis heute jedoch leider nicht Gebrauch gemacht.
Derzeitiges System verursacht hohe Steuerausfälle
Die Kommission beziffert die Höhe der entgangenen Steuern beim Mehrwertsteuersystem auf rund 147 Mrd. Euro jährlich sowie 50 Mrd. Euro aufgrund von Mehrwertsteuerbetrug. Bei der Finanztransaktionssteuer beträgt der Steuerausfall aufgrund einer fehlenden Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten 57 Mrd. Euro. Weitere 5 Mrd. Euro fehlen im Staatssäckel aufgrund der nicht erreichten Einigung über eine Digitalsteuer.
Steuern sichern das Bestehen des Wohlfahrtsstaats
Die vorliegenden Studien und die Ausführungen der Kommission zeigen deutlich: Die Steuerausfälle aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Steuerpolitik sind enorm. Der Handlungsbedarf ist da, und unter den bestehenden Rahmenbedingungen bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Besteuerung sehr mobiler Faktoren, wie eben bei der Kapitalbesteuerung im weitesten Sinn, wenig Spielraum. Die Steuerbelastung wird zunehmend auf die weniger mobilen Faktoren Arbeit und Konsum verschoben. Würden sich die FinanzministerInnen und Regierungschefs über eine einheitliche EU-Steuerpolitik einigen, wären dringend notwendige Steuerstrukturreformen möglich. Auch könnten so die Haushaltsprobleme in den Mitgliedstaaten teilweise gelöst werden.
Letztendlich ist eine gemeinsame Steuerpolitik ein notwendiger Schritt, um auch den einzelnen Mitgliedstaaten wieder mehr Souveränität zu geben. Selbst die Kommission hebt hervor, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen ein faires und nachhaltiges Sozialsystem gewährleisten würden. Der Ball für ein faires EU-Steuersystem liegt nun bei den EU-Staats- und -Regierungschefs. Realistischerweise ist allerdings bei so einer weitreichenden Maßnahme nicht mit einer raschen Einigung zu rechnen. Es ist allerdings wichtig, dass dieses Thema jetzt einmal ernsthaft diskutiert wird und Maßnahmen gefunden werden, wie der derzeitige Stillstand in der europäischen Steuerpolitik überwunden werden kann.