EU-Vorschlag zur Harmonisierung von Unternehmensbesteuerung funktioniert nur durch Kooperation

22. November 2018

Zwischen den Mitgliedstaaten der EU wird aktuell wieder intensiv über eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung diskutiert. Das Ziel ist eine faire und effiziente Besteuerung der Unternehmensgewinne. Die EU-Kommission hat dazu das Konzept einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) in Form eines zweistufigen Vorschlages neu aufgelegt. Die Notwendigkeit, die Harmonisierung in mehreren Schritten anzugehen, verdeutlicht, wie wichtig und gleichzeitig schwierig die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten ist.

Probleme durch 28 verschiedene Unternehmenssteuergesetze in der EU

Das internationale Steuersystem ist historisch gewachsen und versucht, die Gewinne von Unternehmen dort zu besteuern, wo sie entstehen. In der EU bedeutet dies, dass multinationale Unternehmen mit bis zu 28 verschiedenen Steuergesetzen in Kontakt kommen. Zusätzlich zum enormen Verwaltungsaufwand entsteht dadurch auch die Möglichkeit, die nationalen Steuersysteme gegeneinander auszuspielen und durch verschiedenste Tricks, Steuern zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten sind gleichzeitig in Versuchung, durch gezielte Steueranreize Unternehmen anzulocken. Dies kann von aktiver Standortpolitik in einen schädlichen Wettbewerb kippen, wenn sich Länder gegenseitig bei Steuersätzen unterbieten oder großzügige Ausnahmen erlauben. Insgesamt entsteht so die schwierige Situation, dass die Mitgliedstaaten sehr wohl schädliche Steueranreize unterbinden wollen, sich aber gleichzeitig nicht den eigenen steuerpolitischen Spielraum einschränken lassen wollen. Dies trifft insbesondere auf jene Staaten zu, die unter dem bestehenden System auf Kosten anderer EU-Länder profitieren können. Die EU-Kommission versucht daher den Spagat und möchte den Steuerwettbewerb nicht abschaffen, aber fair und transparent gestalten. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Strategie ist der neu aufgelegte zweistufige Vorschlag zu einer gemeinsamen (konsolidierten) Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage.

In zwei Stufen zur Harmonisierung und gemeinsamen Berechnung der Bemessungsgrundlage

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht bei voller Umsetzung vor, dass multinationale Unternehmen in der EU bei einer Steuerbehörde („one-stop-shop“) die EU-weiten zu versteuernden Gewinne berechnen und die Mitgliedstaaten die Gewinne anteilig mit dem jeweiligen Steuersatz besteuern. Diese deutliche Abkehr vom derzeitigen System der internationalen Besteuerung konnte bereits im ursprünglichen Vorschlag von 2011 keine Einstimmigkeit erzielen. Daher hat die EU-Kommission den aktuellen Vorschlag in zwei Stufen unterteilt. Die erste Stufe sieht einheitliche Regeln zur Berechnung der Bemessungsgrundlage vor. Erst in der zweiten Stufe werden die steuerbaren Gewinne gemeinsam von einer Hauptsteuerbehörde berechnet und anhand von Aufteilungsfaktoren auf die einzelnen Mitgliedstaaten aufgeteilt.

Die erste Stufe: kleinster gemeinsamer Nenner mit signifikanten Ausnahmen

Der Vorschlag für die gemeinsame Bemessungsgrundlage umfasst ungefähr 40 Seiten und regelt einige wichtige Aspekte der steuerlichen Gewinnermittlung. Dem gegenüber stehen tausende Seiten nationales Einkommensteuerrecht und eine umfassende Verwaltungspraxis des aktuellen internationalen Steuersystems. Dies verdeutlicht, dass die Harmonisierung im Vorschlag für die gemeinsame Bemessungsgrundlage nur Eckpunkte setzen kann, die dann im nationalen Unternehmenssteuerrecht umgesetzt werden müssen. Entsprechend spiegelt der Vorschlag für die gemeinsame Bemessungsgrundlage im Wesentlichen einen kleinsten gemeinsamen Nenner der bestehenden nationalen Steuergesetze wider.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Die starke Orientierung an bestehenden nationalen Regelungen führt dazu, dass die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage EU-weit und in den meisten Mitgliedstaaten beinahe aufkommensneutral wäre. Für Österreich würden zum Beispiel Änderungen bei der Bildung von Sozialkapitalrückstellungen die Bemessungsgrundlage reduzieren. Gleichzeitig würden Änderungen bei Rücklagen für drohende Verluste und bei der steuerlichen Abschreibung die Bemessungsgrundlage verbreitern: Unterm Strich wären daher die fiskalischen Auswirkungen relativ gering.

In zwei Punkten weicht der Vorschlag für die gemeinsame Bemessungsgrundlage jedoch signifikant von der Logik des kleinsten gemeinsamen Nenners ab. Zum einen ist eine großzügige steuerliche Forschungsförderung vorgesehen. Zum anderen beinhaltet der Vorschlag eine teilweise Abzugsfähigkeit von Eigenkapitalkosten. Beide Maßnahmen waren im Vorschlag von 2011 noch nicht vorgesehen und führen tendenziell zu einer Verringerung der Bemessungsgrundlage. Damit reduzieren sich nicht nur potenziell die Steuereinnahmen in vielen Ländern, sondern mit größter Wahrscheinlichkeit auch die Zustimmung dieser Mitgliedstaaten. Zum Beispiel lehnen Deutschland und Frankreich, trotz Unterstützung für den GKKB-Vorschlag generell, diese beiden Aspekte explizit ab.

Die zweite Stufe: deutliche fiskalische Umverteilung durch Gewinnaufteilung

Die zweite Stufe sieht die Konsolidierung der Bemessungsgrundlage und die Aufteilung auf die Mitgliedstaaten vor. Dabei sollen multinationale Unternehmen die EU-weite Berechnung der Bemessungsgrundlage nach einem „One-stop-shop“-Prinzip im Land des Hauptsitzes erledigen. Die gemeinsame Bemessungsgrundlage wird dann anhand von Faktoren wie eingesetztes Kapital, Lohnsumme bzw. Anzahl der Beschäftigten und Umsatz auf die jeweiligen Mitgliedstaaten aufgeteilt. Dieser zweite Schritt bringt höchstwahrscheinlich weitreichende fiskalische Veränderungen für die Mitgliedstaaten mit sich.

Die gemeinsame Berechnung der Bemessungsgrundlage eliminiert unternehmensinterne Transaktionen, und steuerlich motivierte Gewinnverlagerung innerhalb der EU wird korrigiert. Dies führt zu weniger Steuereinnahmen für Länder mit niedrigen Steuersätzen, welche vom bisherigen System profitieren und zu mehr Steuereinnahmen für Länder mit höheren Steuersätzen. Darüber hinaus nimmt eine einheitliche Formel für die Aufteilung der Gewinne implizit an, dass die Produktionsfaktoren in allen Ländern gleich produktiv sind. Dadurch erhalten Länder mit einer geringeren Produktivität einen größeren Anteil der Bemessungsgrundlage als unter dem bestehenden Steuersystem. Ein weiterer Aspekt ergibt sich durch die automatische Berücksichtigung von Verlusten bei einer EU-weiten steuerlichen Gewinnermittlung. Für Länder, die gerade eine konjunkturell schwache Phase durchmachen, wird somit der konjunkturbedingte Rückgang der Steuereinnahmen abgefedert.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Eine Simulation der zweiten Stufe des GKKB-Vorschlages zeigt, welcher dieser drei Aspekte vermutlich dominiert. Für den Zeitraum von 2010 bis 2015 hätte die gemeinsame Berechnung der Bemessungsgrundlage und die Aufteilung nach ökonomischen Faktoren deutliche Einbußen an Steuereinnahmen in den Niederlanden, Irland, Luxemburg und Malta gebracht. Hier ist davon auszugehen, dass der Rückgang der Steuereinnahmen die Eindämmung von Gewinnverlagerungen abbildet. Die Mitgliedstaaten, welche am meisten von der Steuerreform profitieren, sind Frankreich, Kroatien, Litauen und Spanien, wobei hier wohl eine Kombination der drei oben genannten Mechanismen wirkt. Während insgesamt ein leichter Anstieg der Steuereinnahmen zu erwarten ist, wird für Österreich laut der Simulation ein moderater Rückgang der Steuereinnahmen prognostiziert. Dies ist vermutlich auf die relativ robuste Gewinnsituation in Österreich zurückzuführen.

Ein Mindeststeuersatz könnte den Steuerwettbewerb einschränken

Die Einführung einer G(K)KB mit Formelzerlegung könnte vermutlich die Gewinnverlagerung innerhalb der EU reduzieren, führt aber zu neuen Ineffizienzen durch die weiterhin unterschiedliche Besteuerung. Die untersuchte Literatur ist nicht eindeutig in der Frage, ob die Verzerrungen in einem System der Formelzerlegung größer sind als unter dem bestehenden System. Zusammen mit dem geographisch eingeschränkten Anwendungsbereich ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Steuerwettbewerb nur ändert und nicht beseitigt wird. Die weiterhin bestehenden Anreize für internationalen Steuerwettbewerb könnten durch einen EU-weiten Mindeststeuersatz, eventuell differenziert nach Wirtschaftskraft, reduziert werden.

Gleichwohl ist anzumerken, dass die Einführung eines Mindeststeuersatzes Gewinner- und Verliererländer erzeugen würde. Gemeinsam mit der Tatsache, dass dies eine deutliche Einschränkung der formalen nationalen Souveränität darstellt, ist daher davon auszugehen, dass die politische Bereitschaft für Steuersatzharmonisierung wohl nur bei entsprechenden Kompensationsmechanismen gegeben ist.

Internationale Kooperation statt Steuerwettbewerb notwendig für Verbesserungen

Gleichzeitig bedingt die One-stop-shop-Lösung erhebliche internationale Koordination und ein solides Vertrauensverhältnis zwischen den Steuerbehörden. Die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage ist durch die Umsetzung in nationales Recht sicherlich nur in groben Zügen gewährleistet. Somit müssen die Mitgliedstaaten untereinander sehr viel Vertrauen aufbringen, um die Berechnungen der Hauptsteuerbehörde zu akzeptieren. Insbesondere bei der Ermittlung der Aufteilungsfaktoren ist zusätzlich internationale Kooperation zwischen den Steuerbehörden notwendig. Andernfalls kann es weiterhin Gewinnverlagerung durch Manipulation der Verteilung der Aufteilungsfaktoren geben. Dies verdeutlicht einmal mehr die Problematik, dass eine effiziente Lösung für die internationale Besteuerung von multinationalen Unternehmen nur kooperativ erzielt werden kann. Der Wunsch der EU-Kommission, mithilfe einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage eine wesentliche Verbesserung bei der fairen und effizienten Besteuerung von Unternehmen zu erzielen, steht und fällt mit der Bereitschaft zur Kooperation der Mitgliedstaaten.

Dieser Beitrag basiert auf der am 22. November 2017 veröffentlichten WIFO-Studie Die Auswirkungen der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage auf Österreich, AutorInnen: Loretz, S., Schratzenstaller, M.