Die Globalisierung macht es für Konzerne leichter, ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verschieben. Moderne Technologien vereinfachen es auch für wohlhabende Privatpersonen, Vermögen nicht deklariert auf Bankkonten in Offshore-Steueroasen zu parken. Das verfügbare wissenschaftliche Datenmaterial zB aus der Schweiz und Luxemburg, sowie systematische Anomalien in den internationalen Investment-Daten einzelner Länder zeigen, dass Offshore-Privatvermögen rasch wachsen, und der Großteil davon scheint Steuern zu umgehen. Auch wenn in den letzten Jahren Fortschritte dabei erzielt wurden, Steuervermeidung und Steuerflucht zu drosseln, könnte noch viel mehr getan werden, um die dunklen Seiten des internationalen Kapitalverkehrs zu beleuchten. Es geht um mehr als das Eintreiben von Steuern, zumal die Möglichkeit große Geldsummen ohne Fußabdruck zu verschieben auch Geldwäsche, Erpressung und Finanzterrorismus fördern.
Multinationale Konzerne, Gewinnverschiebung und Steuervermeidung
Die Körperschaftsteuer ist eine Schlüsselkomponente des Steuersystems hochentwickelter Länder. Sie ist, eine der wichtigsten Arten der Kapitalbesteuerung. In den Vereinigten Staaten kamen 2013 etwa zwei Drittel der gesamten Steuereinnahmen aller Regierungsebenen aus der Kapitalbesteuerung. In Europa liegt der durchschnittliche Anteil der Steuereinnahmen durch Kapitalbesteuerung bei 20 Prozent, also niedriger als in den USA, zumal dort die Verbrauchssteuern eine größere Rolle spielen; doch wie in den Vereinigten Staaten machen die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer etwa ein Drittel der Kapitalsteuern aus (Eurostat 2014). Ungeachtet ihrer wichtigen Rolle ist die Anwendbarkeit und die Geltendmachung der Körperschaftsteuer durch die Globalisierung stark gefordert. Sollten sich die aktuellen Trends fortsetzen, so könnte sie in den kommenden zwei bis drei Dekaden an Bedeutung verlieren.
Drei Säulen der internationalen Besteuerung
Werden Unternehmensgewinne ausbezahlt, erkennen die Steuerbehörden üblicherweise an, dass die Anteilseigner bereits der Unternehmensbesteuerung unterlagen und besteuern Einkommen aus dieser Quelle niedriger als Arbeitseinkommen. In den Vereinigten Staaten betrug die „federal“, also die bundesweite Einkommensteuer auf Kapitalerträge und Dividenden von inländischen sowie ausländischen Unternehmen im Jahr 2013 20 Prozent, im Vergleich zu 39,6 Prozent auf einfache Einkommen.
In geschlossenen Wirtschaftsräumen ist die Unternehmensbesteuerung relativ unkompliziert. Doch sobald Unternehmen in mehreren Ländern tätig sind wird es unübersichtlicher. Was passiert etwa, wenn zwei Länder, die gleichen Gewinne besteuern wollen? Bereits in den 1920er Jahren war die Doppelbesteuerung Thema und der Völkerbund befragte vier Ökonomen, wie dies am besten vermieden werden konnte. (Bruins, Einaudi, Seligman und Stamp, 1923) Sie formulierten drei Prinzipien, die bis heute die Säulen der internationalen Besteuerung bilden.
Erstens, die Körperschaftsteuer ist an die Regierung des Landes an der Quelle abzuführen. Für viele Ökonomen der 1920er Jahre waren Unternehmensgewinne einfach eine Art des Einkommens, das besteuert wurde. Wer die Steuerlast trug, war letztlich nicht besonders wichtig. Die Besteuerung an der Quelle funktioniert gut, wenn ein Unternehmen eine Niederlassung in einem anderen Land hat, die dort die gesamte Produktion und den Verkauf übernimmt. Wenn jedoch angenommen ein Tochterunternehmen den Import und Vertrieb für ein Unternehmen in einem anderen Land übernimmt, woher kommen nun die Gewinne? An diesem Punkt gelangten die Völkerbund-Experten in den 1920er Jahren zum zweiten Grundprinzip, bekannt als „arm’s length pricing“, – dem Fremdvergleichsgrundsatz. Beide Unternehmen müssen ihre eigenen Gewinne getrennt errechnen, als ob sie nichts miteinander zu tun hätten. Seit Jahrzehnten gilt dieses Prinzip für die Aufteilung der Gewinne multinationaler Konzerne in ihren Ländern. Drittens beschloss die Expertengruppe des Völkerbunds, dass internationale Steuerangelegenheiten nicht durch ein multinationales, globales Abkommen geregelt werden sollten, sondern bilateral. Mit dem Resultat, dass viele Staaten seit den 1920er Jahren tausende von bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichneten. Die Situation änderte sich in den 1970er Jahren, wenn auch zunächst nur langsam. Erst im 21. Jahrhundert, im Zuge des Anschwellens internationaler Investitionen, wurde das Problem brisant.
Jedes der drei Grundprinzipien der internationalen Besteuerung von Unternehmensgewinnen, auf die man sich in den 1920er Jahren geeinigt hatte – das Quellenprinzip, der Fremdvergleichsgrundsatz sowie bilaterale Steuerabkommen – wirft eigene Probleme auf.
Die Abschlüsse tausender bilateraler Verträge statt eines multilateralen Abkommens hat ein Netz an inkonsistenten Regeln geschaffen. Multinationale Konzerne können dies ausnützen, indem sie sorgfältig den Standort ihrer Tochtergesellschaften wählen – „Treaty-Shopping“ genannt. Prominentes Beispiel ist Googles „double Irish Dutch sandwich“. Ein Konstrukt, das aus zwei irischen Tochtergesellschaften besteht, zwischen die eine niederländische Scheinfirma gepresst wurde. Im nächsten Schritt geht es darum, die Gewinne aus Irland herauszubringen und sie in einer Steueroase auftauchen zu lassen, in der die Körperschaftsteuer null Prozent beträgt. Das funktioniert, indem Umwege gemacht werden, die ein wechselseitiges Ausspielen von Steuerabkommen bewirken.
Der Einnahmenverlust durch Körperschaftsteuervermeidung
Will man die Einnahmenverluste der Staaten die durch Gewinnverschiebung in Niedrigsteuerländer verursacht werden beziffern, stellen sich jede Menge Probleme. In einer Reihe von Versuchen verwenden die AutorInnen, insbesondere Von Sullivan (2004) und Clausing (2009), Daten über die Geschäfte von US-Multis des Bureau of Economic Analysis. In diesem Punkt verfolge ich einen anderen Ansatz und beziehe mich auf volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen und Zahlungsbilanzstatistiken. Ein Vorteil dieser Daten ist, dass sie keine Doppelzählungen enthalten, von denen die Geschäftsberichte von US-Multis durchwachsen sind (siehe Bureau of Economic Analysis 2013; Hines 2010a). In der Zahlungsbilanzstatistik werden Gewinne, die durch die Ketten von Körperschaften in Steueroasen sickern – wie im beschriebenen doppelten irisch-niederländischen Sandwich-Arrangement –, konsolidiert und nur einmal gezählt, und zwar so, dass sich ein erfasster Dollar an Auslandsgewinn in der Zahlungsbilanz niederschlägt und direkt zum Volkseinkommen beisteuert. Bei der Interpretation der Zahlungsbilanzstatistiken ist Sorgfalt begoten. Diese Daten zeigen nicht die reale Quelle der Gewinne, sondern vor allem den Standort der Holdingunternehmen, die in der steuerlichen Planung eine Rolle spielen. Die Zahlungsbilanzstatistiken zeigen aber nicht genau, wieviel das Nutzbarmachen von Tochtergesellschafen in Steueroasen den einzelnen Regierungen kostet.
Weltweites Finanzregister
Ein weltweites Register würde den Zugang zu Information über Wohnsitz und Nationalität der Aktionäre eines Unternehmens geben, und den einzelnen Staaten damit ermöglichen zu überprüfen, ob Steuern erhoben wurden. Ein Weltfinanzregister wird nicht automatisch alle Probleme lösen, doch auf lange Sicht ist es ein transparentes Tool, um eine faire Verteilung der Einnahmen aus Unternehmenssteuern weltweit durchzusetzen und ein funktionierendes Zurechnungssystem in einer globalisierten Welt ermöglichen.
Ist ein Weltfinanzregister betriebsfähig? In der Praxis gibt es eine Reihe von Hürden, etwa Datenschutzbedenken. Ein Finanzregister wird zunächst Kosten verursachen, doch diese sollten nicht überbewertet werden. In jedem Land bieten Zentralbanken einen Überblick über Wertpapiere und darüber wer die Aktien und von inländischen Unternehmen begebenen Anleihen hält (the Depository Trust Corporation den Vereinigten Staaten oder Clearstream in Luxemburg). Ein weltweites Finanzregister würde aus diesen oft privat gemangten Teilregistern eine umfangreiche Datenbank schaffen.
Ein großer Anteil des weltweiten Aktienkapitals mag keinem genau identifizierbaren, profitierenden Eigentümer zuschreibbar sein. Wertpapiere werden größtenteils über einen verflochtenen Zwischenhandel gehalten, wie etwa Investment- oder Pensionsfonds und dergleichen. Um den Wohnsitz des eigentlichen Eigentümers herauszufinden, wäre es notwendig, die Verbindung zwischen den einzelnen Gesellschaften in der Veranlagungskette zu kennen. Ein großer Teil der US-Aktien (und der Papiere anderer einkommensstarker Länder) wird von Intermediärbanken in Offshore-Finanzzentren verwaltet. Das US-Finanzministerium sammelt Daten über den Wohnsitz der Eigner von US-Aktien; das US Treasury Capital Dataset ist eine qualitativ hochwertige Datensammlung und eine der Hauptstützen der internationalen Statistik der USA. (Bertaut, Griever und Tryon 2006) Im Jahr 2013 gehörten neun Prozent aller in den USA notierenden Wertpapiere Privatpersonen oder in Steueroasen registrierten Unternehmen. Um hinter den Schleier der Geheimhaltung zu schauen, braucht es internationale Zusammenarbeit, die Sanktionen gegen Steueroasen umfassen, wenn Informationen über ausländische Kunden und Konten nicht offengelegt werden.
Acht Prozent des Weltvermögens
Wie hoch sind die Summen, die auf Offshore-Konten liegen? Bis vor kurzem waren die Daten dazu dünn. Steueroasen veröffentlichten nur selten informative Statistiken. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen. Dank der gründlichen, detaillierten Umfrage, die die Schweizer Nationalbank monatlich durchführt, kennen wir die Höhe des Vermögens von Ausländern in der Schweiz. Die jüngsten Daten vom Juni 2014 ermittelt einen Gesamtwert von 2,46 Billionen $. Luxemburg hat zuletzt ähnliche Informationen veröffentlicht, die aufzeigen, dass ausländische Haushalte dort 370 Milliarden $ halten. (Luxemburg hat eine halbe Million Einwohnern und ein jährliches Volkseinkommen von rund 35 Milliarden $). Kein anderes Land publiziert ähnliche Daten. Die USA veröffentlichen keine Vermögenswerte, wie etwa jene von Lateinamerikanern, die in Banken in Florida verwaltet werden.
Um einen Eindruck vom weltweiten Offshore-Reichtum zu bekommen, muss man indirekte Methoden anwenden. Mein eigener Zugang stützt sich auf Anomalien in globalen Investmentstatistiken, die durch Offshore-Vermögen erzeugt werden. (Zucman 2013a, 2013b). Durch die Analyse dieser Anomalien kam ich darauf, dass geschätzte acht Prozent des globalen Finanzvermögens privater Haushalte in Steueroasen parkt, Ende 2013 waren das 7,6 Billionen $. Andere Schätzungen liegen im Allgemeinen höher. Durch Interviews mit Vermögensverwaltern (2014) kam die Boston Consulting Group auf 8,9 Billionen Dollar. Henry’s Schätzung (2012) ist 32 Billionen $ hoch.
Automatischer Austausch von Bankinformationen
Seit der Finanzkrise 2008-2009 wurden große Fortschritte in der Einschränkung des Bankgeheimnisses gemacht. Vor 2008 haben sich Steueroasen geweigert, Informationen mit ausländischen Steuerbehörden zu teilen. Im Jahr 2010 setzte der US-Kongress mit der Unterschrift von Präsident Obama den Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) durch. Ein Gesetz, das ausländische Banken zwingt, Informationen über die Konten von US-Steuerzahlern automatisch Jahr für Jahr zu übermitteln. Unter Androhung von Sanktionen.(Grinberg, 2012Weitere einkommensstarke Länder folgten, wie von der OECD vorgeschlagen (2014), und der automatische Austausch von Bankdaten entwickelt sich zum globalen Standard.
Allerdings gibt es 3 potentielle Hürden am Weg zum Strafvollzug: 1) Die Einhaltung der Vorschriften von Offshore-Bankern. 2) Die Undurchsichtigkeit internationaler Aufbewahrungspflichten 3) Sicherzustellen, dass sich Offshore-Banking nicht in unerschlossenen Steueroasen niederlässt.
Auch wenn in den vergangenen paar Jahren Fortschritte erzielt wurden, Steuervermeidung und –Flucht zu drosseln, könnte noch viel mehr getan werden, um die dunklen Seiten des internationalen Kapitalverkehrs zu beleuchten. Es geht um mehr als das Eintreiben von Steuern, zumal die Möglichkeit große Geldsummen ohne Fußabdruck zu verschieben auch Geldwäsche, Erpressung und Finanzterrorismus fördern.
Übersetzte und gekürzte Version von: Zucman, Taxing across Borders: Tracking Personal Wealth and Corporate Profits, Journal of Economic Perspectives–Volume 28, Number 4-Fall 2014-Pages 121-148.