Die Nutzung der Ressource Wasser durch Privatunternehmen sorgt seit Langem innerhalb der EU für Diskussionen. Obwohl der Zugang zu Wasser seit 2010 als UN-Menschenrecht gilt, schlug die EU-Kommission 2011 vor, die Privatisierung der Wasserversorgung voranzutreiben. Durch die europäische Bürgerinitiative „right2water“ konnte das Projekt gestoppt werden. Die Neufassung der Trinkwasserrichtlinie verpflichtet EU-Mitgliedsländer erstmals, den Zugang zu Trinkwasser vor allem für benachteiligte Gruppen zu verbessern. Nun ist der Europäische Gerichtshof mit der Frage befasst, ob der Staat die kommerzielle Nutzung von Trinkwasser beschränken darf. Was für manche vielleicht bloß wie der Plot von „James Bond 007: Ein Quantum Trost“ klingt, könnte in der EU zukünftig zur Realität werden.
Gold des 21. Jahrhunderts
Schon in der Vergangenheit gab es unter dem Vorwand des Schutzes der Grundfreiheiten der EU immer wieder Vorstöße, Wasser auf Unionsebene stärker zu privatisieren. Das Argument: Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb des europäischen Binnenmarktes verlangt den uneingeschränkten Zugang zu möglichen Geschäftstätigkeiten, beispielsweise eben die Nutzung von Trinkwasserquellen zur kommerziellen Verwertung jeder Art – wie Stromerzeugung oder Mineralwasservertrieb. Um Unternehmen EU-weit Zugang zu den Märkten zu verschaffen, bedarf es nach dieser Logik einer öffentlichen EU-weiten Ausschreibung. Deshalb wollte die EU-Kommission mit der sogenannten Konzessionsrichtlinie, die die Vergabe von Bau- oder Dienstleistungskonzessionen durch die öffentliche Hand regelt, schon 2014 die Vergabe von Konzessionen zur (Ab-)Wasserversorgung einer EU-weiten Ausschreibung unterwerfen. Dieses Vorhaben wurde letztendlich aufgegeben, nicht zuletzt wegen des entschlossenen Widerstands der Bürgerinitiative „right2water“, die von Gewerkschaften und Bundesarbeitskammer mit ins Leben gerufen wurde.
Im Jahr 2019 wurde die Frage der Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung der Nutzung von Wasser im Zusammenhang mit der Erzeugung von Strom durch Wasserkraftwerke erneut aufgegriffen. Anlassfall war die Beschwerde eines italienischen Kraftwerksunternehmens bei der EU-Kommission, das in Österreich aktiv werden wollte. Aus Sicht des Unternehmens widersprach es der Niederlassungsfreiheit, dass der bisherige Kraftwerksbetreiber das Recht auf Verlängerung einer Wassernutzungsbewilligung hatte. Vielmehr müsse bei jeder wasserrechtlichen Genehmigung bzw. ihrer Verlängerung eine (EU-weite) Ausschreibung erfolgen. Die EU-Kommission leitete gleich gegen acht Mitgliedstaaten Untersuchungen ein, ob eine Vertragsverletzung vorliege. Laut EU-Kommission soll die öffentliche und internationale Ausschreibung der Nutzung von Wasserkraft dafür sorgen, dass der Bestbieter den Zuschlag erhält und eine Bevorzugung von nationalen Betreibern von Wasserkraftwerken verhindert wird. Mit vereinten Kräften von Bundesregierung, Energieversorgern, Gewerkschaften und Bundesarbeitskammer konnte dieses Verfahren schließlich abgewendet werden.
Mineralwasser ist auch Wasser
Doch täglich grüßt das Murmeltier: Kaum hat die EU-Kommission die Frage ad acta gelegt, kommt sie „über die Bande“ wieder zur juristischen Diskussion auf die Tagesordnung. Zu begehrt und lukrativ ist die immer knapper werdende Ressource Wasser. Jetzt ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) gefragt: Der rumänische Staat vergibt regelmäßig Exklusivlizenzen für die Nutzung von Mineralwasserquellen an ein Unternehmen, das sich zur Gänze im Eigentum des Staates befindet. Die Romaqua SA, eine ebenfalls in der Mineralwasserbranche tätige private Aktiengesellschaft, stellte einen Antrag auf Verleihung einer Wasserkonzession, um die bisher von der staatlichen Gesellschaft genutzte Mineralwasserquelle nutzen zu können. Dieser Antrag wurde von der zuständigen Behörde abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Unternehmens. Seiner Ansicht nach ist eine derartige „Inhouse-Vergabe“, also eine staatliche Verwertung der Quelle ohne öffentliche Ausschreibung, EU-rechtswidrig.
Das rumänische Verfassungsgericht legte deshalb dem EuGH zwei Vorlagefragen zur Beantwortung vor. Ob es nämlich einerseits zulässig sei, dass Lizenzen für die Nutzung von Mineralwasserquellen unmittelbar – und nicht unter Wettbewerbsbedingungen – an ein vollständig im Eigentum des Staates stehendes Unternehmen durch aufeinanderfolgende und unbegrenzte Verlängerungen von Exklusivlizenzen vergeben werden. Und ob andererseits eine derartige Praxis eine ungerechtfertigte Beschränkung der unternehmerischen Freiheit und der Niederlassungsfreiheit darstellt.
Zwei Fragen, die für Österreichs Ordnung der Wasserwirtschaft entscheidend sind. Zwar gibt es keine mit dem rumänischen System vergleichbaren Konzessionen in Österreich – für die private oder gewerbliche Nutzung von Wasser ist vielmehr eine wasserrechtliche Genehmigung erforderlich. Dies entspricht auch der Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten: Danach entscheiden die Mitgliedstaaten selbst über ihre Eigentumsordnung, also auch über Eigentum und die Verfügungsrechte betreffend Wasser. Käme der EuGH im Anlassfall also zu dem Ergebnis, eine verpflichtende Ausschreibung für die Bewirtschaftung der Ressource Wasser läge dennoch in der Kompetenz der EU, so wäre das ein Einfallstor für die zukünftige Kommerzialisierung der Versorgung mit Trinkwasser und würde die Grundsätze der öffentlichen Daseinsvorsorge infrage stellen; nämlich die Verfügbarkeit von Wasser für alle zu angemessenen, leistbaren Preisen.
„Rohrperle“ für Mineralwasserunternehmen oder überlebensnotwendige Ressource?
Die weltweite Dürre im Sommer 2022 hat nochmals eindrucksvoll vor Augen geführt, was auch zuvor schon bekannt war: Wasser wird aufgrund der Klimakrise zunehmend knapper und damit wertvoller. Auch Länder mit gemäßigtem Klima wie Österreich bleiben von dieser Entwicklung nicht verschont. Angesichts der Klimakrise wird Wasser also zunehmend zu einem umkämpften Gut, mit dem aufgrund seiner Knappheit auch potenziell viel Gewinn gemacht werden kann. Umso wichtiger ist es also, dass die Bereitstellung durch die öffentliche Hand erfolgt, um die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung zu leistbaren Preisen sowie durch vorausschauende Planung und Investitionen in deren Infrastruktur sicherzustellen. Voraussetzung dafür ist, dass die Ressource Wasser im Eigentum des Staates verbleibt und durch ihn verwaltet wird. Nur so kann sichergestellt werden, dass private Unternehmen die angespannte Versorgungslage nicht zu Profitzwecken ausnützen.
Wo in der Vergangenheit Privatisierungsprojekte im Zusammenhang mit der Wasserversorgung umgesetzt wurden, haben sie sich als nicht zielführend erwiesen. Weltweit gibt es eine Tendenz der Rekommunalisierung, die sich mit dem Versagen der Liberalisierung erklären lässt. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- erhöhte Preise und schlechtere Versorgung durch private Unternehmen,
- nicht erfüllte Investitionszusagen bzw. zu niedrige Investitionen von privaten Unternehmen,
- Streit über die Betriebskosten und Preiserhöhungen und damit verbunden nicht leistbare Wasserrechnungen,
- Schwierigkeiten in der Überwachung privater Betriebsführungen,
- Beschäftigungsabbau und schlechte Servicequalität.
Aus diesen und ähnlichen Erfahrungswerten zeigt sich, dass der Liberalisierungsweg in Bereichen der Daseinsvorsorge – von Wasser über öffentlichen Nahverkehr zu Justiz- und Strafwesen – eine Sackgasse ist. Dem Staat als Republik, als res publica also, müssen diese Aufgaben im Interesse seiner Bürger:innen vorbehalten bleiben. Unternehmerische Freiheit und Niederlassungsfreiheit sind dem Menschenrecht auf Wasser unterzuordnen – und nicht umgekehrt. Es ist zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof in diesem Sinne entscheidet.