Würden Sie mit einem Windrad die Geschwindigkeit von Autos messen? Wohl eher nicht, weil zu ungenau. BildungswissenschafterInnen greifen deshalb auch zu exakteren Methoden, um die Kompetenzen von SchülerInnen zu beurteilen als zu Schulnoten. Mit dem Pädagogikpaket setzt die österreichische Bundesregierung Kindern und LehrerInnen in der Volksschule (ab der 2. Schulstufe) nun wieder die alte 5-stufige Notenskala vor. Es gibt jedoch gute Gründe, warum eine Zuordnung in leistungshomogene Lerngruppen auf Basis von Volksschulnoten nicht zielführend ist.
Über Jahrzehnte hinweg haben LehrerInnen ihren SchülerInnen an etwa jeder zweiten österreichischen Volksschule nicht mit Noten, sondern mit Worten Rückmeldung über ihren Leistungsstand gegeben. Schulen durften bis zur 3. Schulstufe klassenautonom entscheiden, ob sie Zeugnisse klassisch (mit Ziffern) oder alternativ (verbal) ausstellen. Mehr als ein Drittel aller Schulversuche betraf die alternative Leistungsbeurteilung, stellte der Bundesrechnungshof fest. Bei verbaler Beurteilung werden die einzelnen Lernziele eines Fachs betrachtet, ohne sie in abstrakte Ziffern umzuwandeln. SchülerInnen erhalten so ein genaueres und verständlicheres Feedback.
Hilfe versus Selektion
Mit dem „Pädagogik Paket 2018“ werden Schulen, SchülerInnen und LehrerInnen nun wieder früher auf die Verwendung der alten 5-stufigen Notenskala verpflichtet. Die Möglichkeit einer rein alternativen Leistungsbeurteilung wird nur mehr bis zum Halbjahr der zweiten Klasse zugestanden. Zusätzlich wird die Möglichkeit des Sitzenbleibens schon auf die zweite Klasse vorgezogen.
Das Instrument der Leistungsbeurteilung von SchülerInnen verfolgt unterschiedliche Zwecke: Im Lernprozess soll Rückmeldung die Lernenden unterstützen. Idealerweise wird detailliertes Feedback gegeben, inwieweit Lernziele erreicht wurden und wo noch weitere Anstrengungen notwendig sind. Außerhalb des Unterrichts gibt die Leistungsbeurteilung Dritten (wie Eltern, weiterführenden Bildungseinrichtungen oder möglichen Arbeitgebern) durch Zeugnisse Einblick in den Kompetenzstand. Nicht zuletzt wird Leistungsbeurteilung vielfach auch mit Disziplinierungsmaßnahmen vermischt. SchülerInnen fürchten schlechte Noten als Sanktion für Fehlverhalten (Nationaler Bildungsbericht 2009). Angst ist jedoch ein schlechter Begleiter, ganz besonders wenn es ums Lernen geht. Generell sollten Lernphasen nicht mit ständiger Leistungsfeststellung vermischt werden.
Ziffernnoten messen nicht, was sie vorgeben zu messen
Leider ist aber gerade bei der Leistungsbeurteilung mittels Ziffernnoten mannigfach nachgewiesen, dass sie nicht die erwartete Auskunft über die tatsächlichen Fähigkeiten der SchülerInnen gibt. Viele haben in ihrer eigenen Schulzeit erlebt, dass Schulnoten fehleranfällig sind – dass eine Note von einer Lehrperson nicht der Beurteilung einer anderen Lehrperson entspricht. Die größten Beurteilungsdifferenzen treten bei der Beurteilung von Mathematikleistungen auf. So zeigt der Nationale Bildungsbericht 2009, dass Schulnoten in Mathematik 1) nicht mit den Ergebnissen externer Kompetenzüberprüfungen übereinstimmen, 2) in der österreichischen Volksschule keine ernst zu nehmende Prognosequalität für den langfristigen Schulerfolg haben, 3) von Geschlechterzuschreibungen abhängen und 4) in Städten anders vergeben werden als in ländlichen Regionen.