Die ungünstigeren Konjunkturaussichten könnten in der fatalen Logik der EU-Fiskalregeln eine neue Runde an Sparpaketen auslösen. Diese in Österreich zu verhindern und für mögliche fortschrittliche Regierungen in Griechenland und Spanien eine Option jenseits der gescheiterten EU-Politik zu schaffen, stünde am Beginn eines grundlegenden wirtschaftspolitischen Kurswechsels. Seine Prioritäten müssen in der Verringerung der Massenarbeitslosigkeit und der Ungleichheit in der Verteilung des Wohlstandes stehen.
Gegen Jahresende 2014 wurde eine neue Runde der Revision der Konjunkturprognosen nach unten eingeläutet. Das WIFO erwartet für die österreichische Wirtschaft 2015 nur noch ein Wachstum von real 0,5%. Die Konjunktur leidet in ganz Europa unter den Sparbemühungen der öffentlichen Hand und dem anhaltend labilen Finanzsystem, was sich in schwacher Konsum- und Investitionsnachfrage äußert. Sie droht in eine gefährliche Deflationsspirale zu rutschen. Kurzfristig stützen der niedrige Erdölpreis, der schwache Euro und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland die Konjunktur. Doch das reicht nicht. Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist ein nachhaltiger Aufschwung nicht denkbar und die Arbeitslosigkeit steigt weiter.
Konjunkturverschärfende Fiskalregeln der EU
Die schwächeren Wachstumsaussichten drohen sich sogar selbst zu erfüllen, weil unter den geltenden Budgetregeln der EU die Wirtschaftspolitik systematisch zum falschen Handeln gedrängt wird: Sinkt das Wirtschaftswachstum, so führt die von der Europäischen Kommission gewählte Rechenmethode statistisch zu einem Absinken des Potentialwachstums, also des „normalen“ Wirtschaftswachstums. Auf dieser Basis wird dasselbe Budgetdefizit zu einem größeren Teil als strukturell und nicht konjunkturabhängig eingestuft.
Dies gerät in Konflikt mit der Selbstverpflichtung der Mitgliedsländer, das strukturelle Budgetdefizit rasch auf höchstens 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Dieses Problem hat mittlerweile auch die europäische Kommission erkannt. Diese Woche wurde eine leichte Flexibilisierung der Fiskalregeln angekündigt: Mitgliedsländer mit schlechter Konjunktur müssen zwar weiter sparen, allerdings nicht mehr so rasch.
Am grundlegenden Problem prozyklischer Budgetvorgaben ändert sich allerdings nichts: Die Revision des Wirtschaftswachstums löst früher oder später neue Sparpakete aus. Werden dabei die Staatsausgaben gesenkt oder Massensteuern erhöht, so führt dies direkt zu einer Verringerung der verfügbaren Einkommen, der Konsumnachfrage und der Produktion, also des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung.
Konsolidierungsforderungen der Europäischen Kommission zurückweisen
Die EU-Budgetregeln wirken prozyklisch, verstärken die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise und müssen noch weiter geändert werden. Erstens darf die österreichische Bundesregierung in den nächsten Monaten nicht den Fehler begehen, wegen der Abwärtsrevision der Prognose ein neues Sparpaket zu schnüren. Dies würde die Konjunktur zusätzlich bremsen und zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Sofern die Regierung Sparpotentiale bei manchen Ausgaben ortet, dann soll sie diese selbstverständlich heben und die entstehenden Einsparungen zu Mehrausgaben in anderen Bereichen – vor allem dem dringenden Ausbau von Kindergärten, Schulen, Integration und Pflegeleistungen – nutzten. Der Forderung einer weiteren Verringerung des Budgetdefizits darf aber aus beschäftigungspolitischen Gründen nicht nachgekommen werden. Mögliche Sanktionen würden erst Ende 2016 drohen und bestünden ohnehin nur in der Hinterlegung eines verzinsten „Sparbuchs“ in Brüssel.
Zweitens soll Österreich endlich eine Kehrtwende in seiner Position im Rat der FinanzministerInnen vollziehen: Die Regierung unterstützt bislang alle harten Sparauflagen für Länder mit zu hohem Budgetdefizit und Massenarbeitslosigkeit. Die am Dienstag seitens der Kommission angekündigte vorsichtige Neuinterpretation der Fiskalregeln hat neue Spielräume geschaffen, diese müssen jetzt konsequent weiterentwickelt werden. Nun gilt es besonders jenen Ländern beizustehen, denen wegen der schlechteren Wirtschaftslage verschärfter Spardruck der Kommission droht. Das gilt unmittelbar für Frankreich und Italien, wo die Arbeitslosigkeit auch unter Jugendlichen Rekordniveaus erreicht hat.
Von besonderer Bedeutung ist aber die Positionierung Österreichs, falls in Griechenland und Spanien die fortschrittlichen Parteien Syriza und Podemos die Wahlen gewinnen und dann auf Basis ihres klaren WählerInnenauftrages dem oktroyierten Austeritätskurs entgegentreten. Diese Position ist inhaltlich völlig gerechtfertigt. Selbst der Internationale Währungsfonds hat jüngst das Scheitern der Austeritätspolitik festgestellt: Sie hat zu massiven Einschnitten im Sozialwesen, einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und enormer Zunahme der Ungleichheit geführt, ohne die Staatsschulden zu senken – im Gegenteil, diese sind weiter gestiegen. Die österreichische Regierung muss ihrer europäischen und sozialen Verantwortung gerecht werden und dazu beitragen, beide Länder in der Währungsunion zu halten und gleichzeitig die sozial und wirtschaftlich schädlichen Kürzungen zu beenden.
Der liberale belgische Ökonom Paul de Grauwe hat dem notwendigen Politikwechsel einen Namen gegeben: „Strukturreformen beenden, öffentliche Investitionen starten“ . Aufgabe der europäischen Budgetpolitik muss es angesichts der gegenwärtigen Konjunktur- und Arbeitsmarktsituation sein, die effektive Nachfrage zu stärken. Darauf hat auch das IMK in seiner jüngsten Lagebeurteilung nachdrücklich hingewiesen. Diesem Anspruch wird auch die von der Kommission angekündigte flexiblere Handhabung der Fiskalregeln bei weitem nicht gerecht.
Arbeitslosigkeit bekämpfen
Die wichtigste unmittelbare wirtschaftliche und soziale Herausforderung bildet auch bei uns die Rekordarbeitslosigkeit. Österreich wird heuer laut Prognose des WIFO mit 8,9% der unselbständigen Erwerbspersonen die höchste seit 1950 gemessene Arbeitslosenquote nach traditioneller Berechnungsmethode aufweisen. Die Zahl der Arbeitslosen wäre dann um 150.000 höher als vor der Finanzkrise. Statt der Lösung dieses Problems höchste Priorität beizumessen, sonnt sich die österreichische Regierung zu oft im Licht der (zweit-) niedrigsten Arbeitslosenquote der EU.