Die Verteilung von Einkommen und Vermögen ist eines der umstrittensten Themen dieser Tage. Die Geschichte lehrt uns, dass ökonomische Kräfte in unterschiedliche Richtungen drängen – hin zu mehr Gleichheit und gleichzeitig weg davon. Welche sich durchsetzen werden, hängt davon ab, welche politischen Entscheidungen wir treffen.
Die USA sind hier ein illustratives Beispiel: Es ist ein Land, das als die Antithese zu den patrimonialen Gesellschaften des alten Europa verstanden wurde. Alexis de Tocqueville, ein Historiker im 19. Jahrhundert, sah die USA als einen Ort, an dem Grund und Boden so reichlich vorhanden war, dass Grundeigentum für alle erschwinglich war und sich eine Demokratie entwickeln konnte. Bis zum Ersten Weltkrieg war die Konzentration von Vermögen in den Händen der Reichen in den USA weit weniger extrem als in Europa. Im 20. Jahrhundert kehrte sich diese Situation jedoch um.
Institutionen und Steuern können wachsende Ungleichheit verhindern
Zwischen 1914 und 1945 wurden in Europa Vermögensungleichheiten durch Krieg, Inflation, Verstaatlichung und Besteuerung praktisch ausgelöscht. Danach bauten die europäischen Länder Institutionen auf, die – trotz all ihrer Schwächen – strukturell egalitärer und inklusiver sind als jene in den USA.
Ironischerweise waren viele dieser Institutionen von den USA inspiriert. Von den 1930er bis in die frühen 1980er Jahre etwa hielt Großbritannien eine ausgewogene Einkommensverteilung aufrecht, indem Einkommen, die als unanständig hoch galten, sehr hoch besteuert wurden. Doch diese sehr progressive Einkommenssteuer war eigentlich eine amerikanische Erfindung – entstanden in der Zwischenkriegszeit, einer Zeit, in der die USA entschlossen waren, die extremen Ungleichheiten der europäischen Klassengesellschaften zu vermeiden. Das amerikanische Experiment mit hohen Steuern schadete dem Wirtschaftswachstum nicht: Es war zu dieser Zeit höher als es seit den 1980er Jahren je war. Dies ist eine Idee, die es verdient, wiederbelebt zu werden – gerade in jenem Land, das sie als erste hatte.
Die USA waren auch das erste Land, in dem flächendeckend Schulen für alle entstanden und – zumindest unter weißen Männern – nahezu vollständige Alphabetisierung erreicht wurde. Europa sollte für diese Errungenschaft fast 100 Jahre länger brauchen. Aber auch hier ist Europa jetzt viel inklusiver. Es stimmt zwar, dass sich viele der weltweit besten Universitäten in den USA befinden, aber Europa war erfolgreicher darin, solide mittlere Universitäten zu schaffen. Laut dem Shanghai-Ranking sind von den besten 100 Universitäten 53 in den USA und 31 in Europa. Wenn man sich aber die besten 500 Universitäten ansieht, ist es umgekehrt: 202 befinden sich in Europa im Gegensatz zu 150 in den USA.
Leistungsgerechte Chancen bleiben Rhetorik
Egal ob in Frankreich, den USA oder anderswo – eine Rhetorik der leistungsgerechten Chancen hat selten etwas mit den Fakten zu tun. Oft liegt ihr Zweck in der Rechtfertigung bestehender Ungleichheiten. Der Zugang zu US-Universitäten – einst einer der offensten der Welt – ist höchst ungleich. Hochschulsysteme zu schaffen, die tatsächlich Effizienz und Chancengleichheit vereinen, ist eine der größten Herausforderungen, vor der alle Länder stehen.
Massenbildung ist wichtig, aber sie garantiert keine faire Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die Einkommensungleichheit in den USA hat sich seit den 1980er Jahren verschärft und spiegelt vor allem die riesigen Einkommen an der Spitze wider. Warum? Haben sich die Fähigkeiten der ManagerInnen so viel stärker weiterentwickelt als die von allen anderen? Es ist in einer großen Organisation generell schwierig zu sagen, wie viel die Arbeit jeder einzelnen Person wert ist. Jedoch ist die These, dass die hohen Einkommen damit zu tun haben, dass TopmanagerInnen im Großen und Ganzen die Macht haben, ihr eigenes Gehalt zu bestimmen, empirisch gut belegt.
Hohe Kapitalrendite wichtiger Faktor für Vermögensungleichheit
Selbst wenn die Ungleichheit bei Arbeitseinkommen unter Kontrolle gebracht werden kann, wissen wir aus der Geschichte von einem weiteren Faktor, der oft kleine Ungleichheiten verstärkt, bis sie extreme Niveaus erreichen. Tendenziell ist das der Fall, wenn Vermögensrenditen bei den KapitalbesitzerInnen schneller angehäuft werden als die Wirtschaft wächst. Dadurch steigt der Anteil der KapitalistInnen am Gesamteinkommen noch mehr, und zwar auf Kosten der mittleren und niedrigeren Klassen. Eben weil Vermögensrenditen das Wirtschaftswachstum überstiegen haben, ist die Ungleichheit im 19. Jahrhundert schlimmer geworden – und es ist wahrscheinlich, dass sich diese Verhältnisse im 21. Jahrhundert wiederholen. Laut dem globalen MilliardärInnen-Ranking von Forbes sind zwischen 1987 und 2013 Spitzenvermögen dreimal so schnell gewachsen wie die Weltwirtschaft. Die folgende Tabelle zeigt den allgemeinen Trend des Wachstums von Vermögen und Einkommen für verschiedene Gruppen.