Betriebe beklagen lautstark den „Fachkräftemangel“, aber ihre bisherigen Strategien bei der Personalsuche schließen am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen oft aus. Überdies investieren sie weiterhin zu wenig in nachhaltige Aus- und Weiterbildung ihrer Beschäftigten.
Die bestehenden Qualifizierungsförderungen des AMS können zwar eine Antwort auf steigende Anforderungen der beruflichen Kenntnisse von Arbeitnehmer*innen sein, aber darauf besteht für Arbeitssuchende kein Rechtsanspruch, und sie bieten keine ausreichende finanzielle Absicherung für die Teilnehmer*innen. Und selbst die besten Förderinstrumente nützen wenig, solange Betriebe ihre vielfach überzogenen Erwartungen bei der Personalsuche nicht an die Realität des Arbeitsmarktes anpassen. Grundlegende Änderungen sind unbedingt gefragt.
Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitnehmer*innen und verfestigte Arbeitslosigkeit – ein Widerspruch?
Der österreichische Arbeitsmarkt hat sich vom pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020 überraschend schnell erholt. Gleichzeitig wird jedoch ein schon lange bekanntes strukturelles Problem am Arbeitsmarkt besonders deutlich: Die auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Arbeitnehmer*innen haben in vielen Fällen nicht die von den Unternehmen nachgefragten beruflichen Qualifikationen.
In bestimmten MINT-Tätigkeitsfeldern, Bereichen für Energiewende und Klimaschutz, dem Gesundheits- und Pflegebereich bzw. manchen Regionen Österreichs gibt es tatsächlich einen schwer abdeckbaren Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitnehmer*innen. Ziel muss sein, mittel- und längerfristig den Arbeitnehmer*innen hochwertige Beschäftigung mit entsprechenden Lohn- und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen und den Bedarf einer hochentwickelten Volkswirtschaft nach gut ausgebildeten Arbeitnehmer*innen zu decken. Auf dem Weg dorthin müssen sich aber die arbeitsmarktpolitischen Qualifizierungsförderungen und das Rekrutierungsverhalten vieler Betriebe ändern.
Wir kennen das Mantra aus Vor-Corona-Zeiten: Betriebe beklagen, sie würden „händeringend“ nach „Fachkräften“ suchen, jedoch sei der Arbeitsmarkt „leergefegt“. In diesem Klagechor wird aber meist nicht zwischen einem allgemeinen Personalbedarf und einem Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitnehmer*innen unterschieden. Damit wird ein pauschaler Mangel suggeriert, der so nicht existiert, denn in Österreich liegt die Arbeitslosenquote nach nationaler Berechnung bei aktuell 7,3 Prozent. Damit ist offensichtlich, dass der Arbeitsmarkt keineswegs leergefegt ist und einer der Hebel zur Deckung des Bedarfs an gut ausgebildeten Arbeitnehmer*innen in der Qualifizierung von Arbeitssuchenden liegt. Mit der Klage über einen sogenannten „Fachkräftemangel“ werden von manchen Arbeitgebern und ihren Vertretungen jedoch sehr oft andere Ziele verfolgt, wie etwa das Festhalten an relativ schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen oder mehr Arbeitsmigration in Niedriglohnbereichen.
Unerwähnt bleibt dabei oft, dass es in der aktiven Arbeitsmarktpolitik Förderinstrumente gibt, die geeignet sind, zumindest teilweise den Bedarf an qualifizierten Arbeitnehmer*innen zu decken. Mit solchen Maßnahmen lässt sich gleichzeitig auch die Arbeitslosigkeit senken. Allein, diese Instrumente reichen in ihrer aktuellen Form nicht aus. Es mangelt an finanzieller Absicherung für die Teilnehmer*innen, darüber hinaus besteht kein Rechtsanspruch für die Gewährung einer Förderung, und vielfach führen die derzeitigen Qualifizierungsangebote der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht zu zertifizierten, am Arbeitsmarkt tatsächlich verwertbaren Ausbildungsabschlüssen.
Ausbaufähige Instrumente für Qualifizierung zu hochwertiger Beschäftigung
Das Fachkräftestipendium bietet arbeitssuchenden Personen die Chance, eine Ausbildung zu absolvieren, die einen Umstieg aus dem ursprünglich erlernten Bereich ermöglicht. Ziel ist, in einem Bereich, in dem ein Bedarf an Fachkräften herrscht, Fuß zu fassen. Dabei werden längerfristige Aus- und Weiterbildungen ermöglicht, denn das Fachkräftestipendium kann für bis zu drei Jahre bezogen werden. Allerdings ist das Stipendium lediglich mindestens genauso hoch wie der Ausgleichszulagenrichtsatz (1.030,49 Euro für Alleinstehende) und liegt damit sogar unter der Armutsgefährdungsschwelle (1.328 Euro für Einpersonenhaushalte). Ist der Anspruch auf Notstandshilfe oder Arbeitslosengeld höher als der Ausgleichszulagenrichtsatz, so wird die höhere Leistung weitergewährt. Doch auch damit sind Ausbildungen für viele Personen nicht über einen längeren Zeitraum zu stemmen. Die Arbeiterkammer fordert daher seit Längerem die Einführung eines Qualifizierungsgeldes, das allen Personen über 25 Jahren, die beruflichen Neuorientierungs- oder grundlegenden Weiterbildungsbedarf haben, eine Weiterbildung existenziell ermöglichen soll.
Das AMS als größter Auftraggeber für Aus- und Weiterbildung ermöglicht arbeitslosen Personen insbesondere Basisqualifizierungen, Berufsorientierung und vorwiegend kurzfristige Qualifizierungen. Daneben existieren auch weitere – weniger bekannte – individuelle Fördermöglichkeiten des AMS. Diese sind in der Bundesrichtlinie Aus- und Weiterbildung (BEMO) geregelt und erlauben auch längerfristige Ausbildungen, die zu einem zertifizierten Abschluss führen. Das AMS übernimmt hier die Kurskosten für arbeitslose Personen, darüber hinaus entspricht die finanzielle Absicherung allerdings lediglich dem Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Im Zuge der Corona-Krise wurde seitens der Bundesregierung zwar der Bildungsbonus von vier Euro täglich an Zusatzleistungen bei Qualifizierungsmaßnahmen eingeführt, aber auch das ist für viele Menschen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Somit ist das Problem ähnlich gelagert wie beim Fachkräftestipendium: Es ist mit den bestehenden Förderhöhen kaum möglich, den Lebensunterhalt zu bestreiten und längere Ausbildungen abzuschließen.
Bei strukturellen Veränderungen von Wirtschaftssektoren, etwa in der Stahlkrise der 1980er, konnten durch den Einsatz von Arbeitsstiftungen negative Effekte auf den Arbeitsmarkt abgemildert werden. Heute stehen wir vor einer noch viel umfassenderen strukturellen Veränderung: der sozial-ökologischen Transformation der Volkswirtschaft. Viele bekannte Berufsbilder werden sich in diesem Prozess komplett wandeln, und neue Berufe werden entstehen. Daher brauchen Arbeitnehmer*innen auch neue oder geänderte Qualifikationen und Kompetenzen. Arbeitsstiftungen können dabei helfen, genau das zu erreichen, dementsprechend fordert ein Beschluss der Vollversammlung der AK Wien deren Ausbau. Einen ersten wichtigen Schritt setzt die mit April 2022 startende Umweltstiftung, die auf einem vom ÖGB initiierten Sozialpartner-Schulterschluss fußt. Damit Arbeitsstiftungen erfolgreich sind, müssen sie auch von Unternehmen aktiv mitgetragen werden, und dafür braucht es zwei Voraussetzungen: Erstens ist die finanzielle Beteiligung der Unternehmen erforderlich, damit das Stiftungsstipendium hoch genug ist, um auch längerfristige Ausbildungen für die Teilnehmer*innen zu ermöglichen. Zweitens braucht es die Bereitschaft, die Stiftungsteilnehmer*innen nachhaltig in Dienstverhältnisse zu übernehmen.
Ein Förderinstrument, das bereits im Betrieb ansetzt, ist die Qualifizierungsförderung für Beschäftigte.
Ziel ist es, durch mehr Weiterbildung im Betrieb die Beschäftigungschancen von Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau, älteren Arbeitnehmer*innen und Frauen zu erhöhen und deren Berufslaufbahn zu verbessern. Gleichzeitig können Betriebe die beruflichen Qualifikationen ihrer Belegschaft erweitern und so den Eigenbedarf an qualifizierten Arbeitnehmer*innen besser abdecken. Die Förderung kann von Unternehmen für Aus- und Weiterbildungen, die überbetrieblich verwertbar sein müssen, beantragt werden. So weit die Theorie. In der Praxis werden längerfristige zertifizierte Ausbildungen von den Unternehmen – obwohl förderbar – kaum nachgefragt. Das lässt darauf schließen, dass dieses Angebot wenig für substanzielle Höherqualifizierungen der Zielgruppen genützt wird.
All den genannten Instrumenten ist gemeinsam, dass kein Rechtsanspruch darauf besteht, und somit liegt ein zu großer Ermessensspielraum vor, ob und für welche Qualifizierungen Förderungen bewilligt werden. Gepaart mit der zu geringen Existenzsicherung – vor allem für längere Ausbildungen – und damit einhergehenden mangelnden Möglichkeiten für das Erlangen anerkannter und am Arbeitsmarkt verwertbarer Ausbildungsabschlüsse ist der Status quo daher unzureichend.
Die Rolle der Arbeitgeber
Selbst die besten Förderinstrumente nützen wenig, wenn nicht auch Betriebe ihren Beitrag für die Aus- und Weiterbildungen ihrer Arbeitnehmer*innen leisten und mehr Verantwortung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik übernehmen. Beides ist jedenfalls ausbaufähig: Erstens geht aus der derzeitigen (Nicht-)Nutzung der Qualifizierungsförderung für Beschäftigte seitens der Betriebe hervor, dass sie sich vielfach zu wenig um eine nachhaltige Sicherung des Bedarfs an qualifizierten Arbeitnehmer*innen bemühen. Bei vielen KMUs ist das Bewusstsein für die Weiterbildung der Mitarbeiter*innen kaum vorhanden, gleichzeitig haben sie aber auch wenig Spielraum und Ressourcen für eine strategische Personalplanung. Zwar gibt es mit der Impulsberatung für Betriebe dafür ein Förderangebot seitens des AMS, dennoch ist in diesem Bereich eine stärkere Unterstützung vor allem für KMUs vonnöten.
Zweitens liegt viel Potenzial in einer Änderung des Rekrutierungsverhaltens der Betriebe. Die Anforderungen an die beruflichen Kenntnisse der Arbeitnehmer*innen sind oftmals zu hoch angesetzt, weil viele Unternehmen auf ein „Nice to have“ fokussieren und ihnen damit oft unklar ist, welche Kompetenzen tatsächlich gebraucht werden. Dazu kommt vielfach ein mangelndes Bewusstsein für Inklusion: Wenn Personen zwar über Ausbildungsabschlüsse, aber vielleicht noch über wenig fachspezifische Berufserfahrung verfügen, haben sie es schwer am Arbeitsmarkt. Verstärkt wird dies, wenn längere Arbeitslosigkeit, gesundheitliche Beeinträchtigungen oder höheres Alter hinzukommen. Viele Betriebe sind immer noch zurückhaltend, diesen Zielgruppen Chancen zu ermöglichen. Dabei gibt es mit der Eingliederungsbeihilfe, einem Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber bei der Einstellung bestimmter arbeitsloser Personengruppen, auch hier Förderungen seitens des AMS. Finanzielle Anreize über öffentliche Förderungen allein scheinen jedoch zu wenig, so sind beispielsweise Personen über 50 mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen bei der Inanspruchnahme von Förderungen durch die Betriebe weiterhin unterrepräsentiert.
Notwendige Änderungen bei Qualifizierungsförderungen und Rekrutierungsverhalten
Die derzeitigen Arbeitsmarktförderungen haben ihre Grenzen und sind keine Patentlösung, sie können weder Vollbeschäftigung herbeiführen noch den gestiegenen Anforderungen an die Kompetenzen der Arbeitnehmer*innen komplett gerecht werden. Das Potenzial für deren effektiveren Einsatz ist vorhanden, es bedarf jedoch grundlegender Änderungen:
- Förderung von Bildungsabschlüssen: einen Fokus in der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die Förderung von zertifizierten und nachhaltig verwertbaren Bildungsabschlüssen.
- Absicherung während Qualifizierungen: eine attraktive finanzielle Absicherung der Teilnehmer*innen an Qualifizierungen, damit längere Ausbildungen absolviert werden können.
- Orientierung an bereits vorhandenen Kompetenzen und Fähigkeiten: Kompetenzerhebungen und entsprechende Curricula für die Weiterbildung, die sich auf noch fehlende Kompetenzen für das Berufsbild bzw. den Berufsabschluss konzentrieren.
- Bessere Beratung und Begleitung: Ausbau der Bildungsberatung und möglichst modularisierte und in Teilschritten zu absolvierende Curricula samt Begleitung der Teilnehmer*innen während der Weiterbildungsphasen.
- Arbeitgeber unterstützen Aus- & Weiterbildungen: Arbeitgeber müssen ihre Rolle in der Abdeckung der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmer*innen aktiver wahrnehmen, indem sie ihren Beschäftigten mehr nachhaltige Aus- und Weiterbildungen ermöglichen.
- Antidiskriminierendes Rekrutierungsverhalten: eine Änderung im Rekrutierungsverhalten vieler Betriebe, damit auch am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen mehr Chancen erhalten.