Smartphones, Tablets, Laptops & Co. haben unser Leben in nur wenigen Jahren rasant verändert. Die fortschreitende „Digitalisierung“ ist in aller Munde. Oft wird aber vergessen, dass eine digitalisierte Wirtschaft und Gesellschaft auch eine „Hardware“ braucht. Hinter glänzenden Bildschirmen, exakten Gehäusekanten und polierten Metallflächen verbergen sich nur allzu oft gravierende Menschenrechtsverletzungen und ökologischer Raubbau. Das NGO-Bündnis „AG Rohstoffe“ zeigt Probleme in den aktuellen Rohstoffpolitiken auf und fordert „sozial-ökologische Upgrades“ in globalen Lieferketten.
Eine Spur der Hightech-Verwüstung
Das Geschäft mit Elektronikprodukten boomt. Bis 2020 werden weltweit vier Milliarden Menschen einen PC und fünf Milliarden Menschen ein Mobiltelefon besitzen. Der weltweite Gesamtumsatz wird auf über 2 Billionen Dollar geschätzt. Die fortschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft wird immer mehr Rohstoffe brauchen: Die deutsche Rohstoffagentur DERA hat den zu erwartenden Rohstoffbedarf von 42 Zukunftstechnologien analysiert. Fazit: Der Bedarf an Rohstoffen wird bis 2035 durch die Decke gehen, z. B. Lithium + 1700 %, Seltenen Erden + 270 %, Tantal + 320 %, Germanium + 100 %. Bei den genannten Stoffen liegt die Recyclingquote heute noch unter einem Prozent.
Der Abbau neuer Rohstoffe ist noch immer viel billiger – vor allem, wenn man sich keinen Deut um Mensch und Umwelt am Abbauort kümmert. Ein Beispiel: Oruro im Hochland von Bolivien ist eine traditionelle Bergbauregion. Aber in kaum einer der dort betriebenen 300 Minen wird die Umweltgesetzgebung eingehalten. Großteils wird unter miserablen und gefährlichen Bedingungen geschürft. Die staatlichen Behörden sehen weg. Jaime Caichoca, Präsident des Zusammenschlusses vom Bergbau betroffener Gemeinden in der Region CORIDUP berichtet aus erster Hand: „Unser Trinkwasser ist massiv mit Schwermetallen belastet. Eine hohe Anzahl von Missbildungen bei neugeborenen Lamas und Kälbern spricht eine deutliche Sprache“. Den Großteil der Erlöse aus dem Abbau von Zinn, Wolfram, Zink, Tantal, Kupfer, Gold usw. machen internationale Konzerne. Boliviens Regierung hat versucht, sich gegen die transnationalen Unternehmen zu stemmen und Verträge neu zu verhandeln. Dennoch bleiben über Steuern, Lizenzgebühren und sonstige Abgaben weiterhin in Summe gerade einmal neun Prozent vom Wert der geförderten Rohstoffe im Land.
Industrie 4.0 hier – Rohstoff-Fluch 4.0 dort?
Laut Europäischer Kommission sind 30 Millionen europäische Jobs direkt von einer ausreichenden Versorgung mit mineralischen Rohstoffen abhängig. 20 Rohstoffe werden aufgrund des Versorgungsrisikos – die EU ist stark importabhängig – und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als „kritisch“ eingestuft. Seit 2008 versucht die EU daher, mit entsprechenden Initiativen und Politiken die Rohstoffe für die europäischen Industrien im internationalen Wettbewerb zu sichern. Eine Auseinandersetzung mit den bekannten, wohldokumentierten sozialen und ökologischen Problemen im Zusammenhang mit Rohstoffabbau, -verarbeitung und -verwendung wird weitgehend vermieden. Die österreichische Rohstoffstrategie folgt treu dem europäischen Beispiel. Eine der zentralen Zielsetzungen ist in beiden Fällen die „Sicherung eines fairen und diskriminierungsfreien Zugangs zu mineralischen Rohstoffen auf den Weltmärkten“. Das klingt zwar gut, ist aber letztlich eine Kampfansage gegen alle Strategien von Ländern des globalen Südens, mehr Wertschöpfung im eigenen Land zu generieren. Österreich will wie andere Industrienationen keine verarbeiteten Produkte, sondern Rohstoffe einkaufen.
Rohstoffpolitik auf neue Beine stellen
Das NGO-Bündnis „AG Rohstoffe“ fordert eine menschenrechtskonforme, gerechte, demokratische, entwicklungspolitisch kohärente und ökologisch nachhaltige Rohstoffpolitik. Das von der AG vorgelegte Positionspapier macht jedoch zuallererst klar, dass Europa und Österreich derzeit schon übermäßig viele mineralische Rohstoffe verbrauchen. Rohstoffe sind endlich vorhanden und jeder Rohstoffabbau ist mit negativen sozialen und ökologischen Folgen verbunden. Eine echte „Rohstoffwende“ ist daher notwendig, um den Einsatz von neu geförderten und importierten mineralischen Rohstoffen massiv zu verringern. Dafür braucht es verbindliche Ressourcenreduktions- und Ressourceneffizienzziele. Geräte müssen länger in Verwendung gehalten werden. „Ökodesign“, das unter anderem auf Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit abzielt, kann dazu beitragen. Der Übergang zu einer echten „Kreislaufwirtschaft“ hat langfristig auch ökonomische Vorteile, da Versorgungsrisiken minimiert werden können.
Für die Durchsetzung von Arbeits- und Menschenrechten sowie Umweltschutz beim aktuell ungebremst stattfindenden Abbau von Primärrohstoffen kann viel getan werden, wenn der politische Wille dazu besteht. Ein Beispiel: Im Jahr 2011 haben die Vereinten Nationen Leitsätze für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Darin sind staatliche und unternehmerische Pflichten zum Schutz von Menschenrechten in internationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten vorgesehen. Die unverbindlichen Leitsätze müssen jedoch national implementiert werden. Zehn europäische Staaten haben dazu nationale Aktionspläne verabschiedet, zwölf weitere Staaten arbeiten daran. In Österreich ist nichts dergleichen geschehen. Eine rechtsverbindliche Verankerung menschenrechtlicher Sorgfaltsprüfungspflichten – ähnlich ambitioniert wie etwa in Frankreich – würde Unternehmen dazu bewegen, im Rahmen ihres Risikomanagements wirksame Maßnahmen gegen Schädigungen von Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten zu setzen. Kümmert sich ein Unternehmen nicht darum, könnten Opfer im Schadensfall über Haftungsmechanismen Zugang zu Wiedergutmachung erhalten. Die auf EU-Ebene beschlossene und im März in Kraft getretene Konfliktmineralien-Verordnung kann als Schritt in die richtige Richtung gesehen werden. Sie ist inhaltlich (Unterbindung der Finanzierung bewaffneter Konflikte) und dem Wirkungsbereich nach (umfasst nur vier Rohstoffe, Pflichten nur für Importeure von Mineralien und Metallen) leider äußerst begrenzt. Dennoch werden durch dieses EU-Gesetz auch in Österreich rechtlich bindende Sorgfaltspflichten etabliert. An deren Ausweitung muss im Zusammenspiel von nationaler und europäischer Ebene dringend weiter gearbeitet werden.
Auf ihre direkten Kontakte in Abbauländern des globalen Südens aufbauend werden die Organisationen der „AG Rohstoffe“ künftig verstärkt auf Lücken und Fehlorientierungen der österreichischen und europäischen Rohstoffpolitik hinweisen und öffentliche Debatten anregen.