Wenn europäische Unternehmen in Ländern produzieren lassen, in denen aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen Fabrikbrände ausbrechen (Fall Ali Enterprise in Karachi/Pakistan), wenn einsturzgefährdete Gebäude Arbeiter_innen begraben, weil sie trotz Einsturzgefahr in der Fabrik arbeiten (Fall Rana Plaza in Bangladesch), wenn Gewerkschaftsaktivist_innen bedroht oder sogar getötet werden (Fall Cicolac/Nestlé in Kolumbien), wenn ganze Bevölkerungsgruppen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden, um ein Staudammprojekt zu realisieren und österreichische Unternehmen zuliefern (Fall ANDRITZ Hydro GmbH in Brasilien), wenn Menschen durch Agrarinvestitionen vertrieben werden (Fall Kaweri Coffee Plantation/Neumann Kaffee Gruppe in Uganda) oder wenn Gesundheitsschädigungen durch den Einsatz giftiger Chemikalien hervorgerufen werden, stellt sich die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen.
Innerhalb der Europäischen Union schützen Bestimmungen des Arbeits- und Verbraucherschutzrechts die Menschenrechte recht umfassend. Dies sieht außerhalb der EU nicht unbedingt so aus. Dabei nehmen Unternehmen diese Verletzungen in Kauf, bzw. verletzen Menschenrechte indirekt über Tochter- und Zulieferunternehmen. Die betroffenen Menschen sind aufgrund komplexer Unternehmensstrukturen, aber auch aufgrund mangelnder Rechtsschutzmöglichkeiten in der Regel ohnmächtig, sich diesen Eingriffen entgegenzusetzen. Selbst Entschädigungs- und Wiedergutmachungsansprüche sind ihnen meist verwehrt.
Die Arbeiterkammer Wien und das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe), in dem neben verschiedenen NGOs und Betriebsratskörperschaften auch die PRO-GE und die Gewerkschaft vida Mitglied sind, haben kürzlich in einer gemeinsamen Studie die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von europäischen Unternehmen bei ihren Auslandsaktivitäten rechtsvergleichend untersucht und sich der Frage gewidmet, inwiefern Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen handhabbare Rechtsschutzmöglichkeiten haben und welche Rahmenbedingungen Unternehmen bei menschenrechtsrelevanter Auslandstätigkeit vorfinden.
UN-Leitsätze für Wirtschaft und Menschenrechte
Am 16. Juni 2011 verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einstimmig die United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGPs) mit den drei Säulen:
- Die staatliche Pflicht, Menschenrechte zu schützen, auch gegen Übergriffe durch Dritte wie Unternehmen (state duty to protect).
- Die Verantwortung von Unternehmen, Menschenrechte zu achten (corporate responsibility to respect).
- Der Zugang von Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu Wiedergutmachung und Entschädigung (access to remedy).
Die UNGPs haben starke Passagen hinsichtlich der internationalen Verantwortung von unternehmerischen Aktivitäten, indem sie die Sorgfaltspflichten von Unternehmen auch über die engen Grenzen der Unternehmensentität hinaus wirtschaftlich begreifen: auch die Aktivitäten der Tochter- und Zulieferunternehmen im Rahmen der Liefer- und Wertschöpfungskette werden als Teil der Unternehmensverantwortung begriffen und konkrete Sorgfaltspflichtprüfungs- und Handlungsempfehlungen gegeben.
…und ihre nationale Anwendung
Die Formulierungen sind klar, der Charakter der UNGPs jedoch unverbindlich – vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Prinzipien einstimmig verabschiedet werden konnten. Der Versuch jedoch, international verbindliche Normen zur Verantwortung von Unternehmen zu schaffen (sog. UN-Norms on the Responsibility of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights) ist gescheitert. Der Entwurf sah ein international verbindliches Regelwerk vor, das außerhalb der ILO auch übergreifende Fragen der menschenrechtlichen Verantwortung und Kontrolle von transnationalen und anderen Unternehmen beinhaltete. Sollen die Empfehlungen der UNGPs verbindlich gemacht werden, müssen sie dementsprechend in nationales und/oder supranationales Recht umgesetzt werden. Der UN-Menschenrechtsrat hat die Mitgliedsstaaten im Juni 2014 aufgefordert, Nationale Aktionspläne (NAP) zu verabschieden. Auch von Seiten der Europäischen Union gab es im Rahmen der CSR-Mitteilung der Europäischen Kommission die Empfehlung an alle Mitgliedsstaaten, die UNGPs bis Ende 2012 umzusetzen. Diese Empfehlung wurde im Bericht zur europäischen Menschenrechtsstrategie vom November 2012 und vom EU-Ministerrat in der Erklärung zu den UNGPs im April 2014 wiederholt.
Menschen.Rechte.Wirtschaft in Österreich
Im November 2013 hat der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu Österreich seine Besorgnis über die fehlende Aufsicht über im Ausland tätige österreichische Unternehmen geäußert und Österreich aufgefordert, den umfassenden Menschenrechtsschutz ggfs. auch mit Verhaltensstandards für Unternehmen zu gewährleisten.
Im Jahr 2014 hat das Netzwerk Soziale Verantwortung vom European Center for Constitutional and Human Rights ein Rechtsgutachten zum Menschenrechtsschutz bei Auslandsaktivitäten österreichischer Unternehmen erstellen lassen, das zu folgenden Schlussfolgerungen kam:
- Es gibt eine Reihe durchaus brauchbarer verbindlicher Rechtsinstrumente im nationalen Recht. Mangelnde Ressourcen auf Seiten der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, sowie auf Seiten der Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte (Rechtsfortbildungen) sind hier insbesondere auf der Verfahrensebene zu bemängeln.
- Typische Fallgruppen von Menschenrechtsverletzungen in der internationalen Liefer- und Wertschöpfungskette (wie eingangs beschrieben) sind jedoch nach wie vor nicht hinreichend reguliert. Hier herrscht Rechtsunsicherheit für österreichische Unternehmen und mangelnder Rechtsschutz für potentiell Geschädigte.
- Auf der Ebene der Haftung für Menschenrechtsverletzungen durch österreichische Unternehmen sind Maßnahmen notwendig, die den Opfern von Menschenrechtsverletzungen Rechtsschutz und Wiedergutmachung ermöglichen und diese auch praktisch umsetzbar machen. Dies betrifft sowohl die materielle Rechtslage als auch Verfahrensbestimmungen, die in diesem Sinne angepasst werden sollten.
Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten implementieren
Die Klarstellung und Konkretisierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf dem Gebiet der Menschenrechte ist ein Hebel für effektiveren Menschenrechtsschutz mit potentiell großen Auswirkungen, denn:
- Das Zivilrecht kennt das Institut der Sorgfaltspflichten, auch im Bereich des Deliktsrechts (nicht-vertragliche Schadensersatzansprüche). Eine Erweiterung und Klarstellung, dass Sorgfaltspflichten auch für menschenrechtliche Belange gelten, ist formal einfach einzuführen.
- Nicht-vertragliche Schadensersatzansprüche kennen bereits gewisse Beweiserleichterungen. Den Beweis in Verfahren gegen multinationale Konzerne mit komplexen Unternehmensstrukturen zu erbringen, ist in der Praxis eine der größten Hürden für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
- Die Sorgfaltspflicht besteht am Sitz des Unternehmens, so dass im Falle eines europäischen Sitzes des Unternehmens die Zuständigkeit österreichischer respektive europäischer Gerichtsbarkeit einfach(er) zu begründen ist.
- Es gibt bereits Reformbewegungen in Frankreich und der Schweiz zur Einführung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.
In der eingangs erwähnten Studie werden die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten bei Auslandsaktivitäten rechtsvergleichend untersucht und Umsetzungsvorschläge für die Implementierung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten im nichtvertraglichen Schadensersatzrecht unterbreitet. Technisch ist die Umsetzung einfach, die Frage des politischen Willens eine andere.
Nationale Aktionspläne – mehr als geduldiges Papier?
Die Diskussion um Nationale Aktionspläne ist so lebendig wie umstritten: bemängeln die einen langwierige intransparente Prozesse mit Resultaten rein deskriptivem Charakters, sehen die anderen NAPs als Chance, ressortübergreifend und unter breiter Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteur_innen konstruktive Diskurse zu führen und Politikkohärenz herzustellen. Österreich hat im Prozess um den Nationalen Aktionsplan CSR versucht, Teilaspekte der UNGPs zur Unternehmensverantwortung in der Liefer- und Wertschöpfungskette zu implementieren. Im Mai 2013 wurde ein Entwurf eines NAP den Stakeholdern präsentiert, verabschiedet wurde der NAP bis dato nicht. Hinsichtlich eines NAP UNGPs hat die österreichische Regierung keinen Beschluss gefasst. Das Netzwerk Soziale Verantwortung hat in einer Studie zur Umsetzung der UNGPs in Österreich die bisherigen NAPs UNGPs in Europa vergleichend untersucht und hält den Prozess für einen NAP UNGPs in Österreich für wichtig. Auch wenn die bisherigen NAPs in Hinblick auf Verfahren und Inhalt zu wünschen übrig lassen, ist ein NAP ein Tool zur Herstellung einer Politikkohärenz im Bereich Menschenrechte und Unternehmensverantwortung. Er bietet auch die Möglichkeit, verschiedene parallel laufende Prozesse (internationales Instrument für Wirtschaft und Menschenrechte, NAP CSR, NAP UNGPs etc.) zusammenzuführen und das Potential, konkrete Maßnahmen und Umsetzungstools zu beschließen. Die Klarstellung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten im österreichischen Schadensersatzrecht wäre eine zu empfehlende Aktion, die Rechtssicherheit und fairen Wettbewerb auf Seiten der Unternehmen und Rechtsschutz auf Seiten der potentiell Geschädigten bewirken könnte.
Weiterführende Information:
United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights, online abrufbar unter: http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf
Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Concluding observations on the fourth periodic report of Austria, UN Doc. E/C.12/AUT/CO/4, online abrufbar unter: https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=54260
MENSCHEN.RECHTE.WIRTSCHAFT – Rechtsgutachten zum Menschenrechtsschutz bei Auslandsaktivitäten österreichischer Unternehmen (ECCHR), NeSoVe (Hrsg.), 2014, online abrufbar unter: http://www.netzwerksozialeverantwortung.at/media/Studie_Menschen_Rechte_Wirtschaft_Web.pdf
Die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten bei Auslandsaktivitäten (Bueno/Scheidt), NeSoVe, AK Wien (Hrsg.), 2015, online abrufbar unter: http://www.netzwerksozialeverantwortung.at/media/Pub_Rechtsgutachten_ECCHR.pdf
UN-Leitsätze für Wirtschaft und Menschenrechte – Empfehlungen für die Umsetzung in Österreich, NeSoVe (Kaufmann), NeSoVe (Hrsg.) 2015, ab Ende 2015 online abrufbar unter: http://www.netzwerksozialeverantwortung.at/pages/publikationen.php