Arbeitsminister Kocher hat mit der Arbeitslosenversicherung ein großes Reformvorhaben. Auch die Arbeiterkammer sieht die Notwendigkeit für Reformen am Arbeitsmarkt. Denn damit der grundlegende Wandel in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung, die Klimakatastrophe und die sich ändernde Demografie zum Positiven genutzt werden kann, muss er gestaltet werden. Um die Situation von Arbeitsuchenden und Arbeitnehmer:innen zu verbessern, kommt man an zwei Dingen nicht vorbei: die bestmögliche Unterstützung für jene, die Arbeit suchen, und Sicherheit im Wandel für unselbstständig Erwerbstätige. Dänemark und andere Länder aus Europas Norden zeigen es vor.
Zum Hintergrund: Warum der Vergleich mit Dänemark?
Dänemark ist ein europäisches Land, das wirtschaftlich und wohlfahrtsstaatlich mit Österreich vergleichbar ist und eine lange sozialpartnerschaftliche Tradition hat. Darüber hinaus ist Dänemark eine Wissensökonomie mit einem großen öffentlichen Sektor, in dem der Gesundheitssektor eine besonders wichtige Rolle spielt. In Dänemark besteht bereits ein Schwerpunkt in erneuerbaren Energien, konkret im Bereich von Windkrafttechnologie. Damit sind gesellschaftliche Bereiche ausgebaut, die für eine alternde Gesellschaft und für eine klimafreundliche Energieerzeugung in Richtung Zukunft weisen. Und das alles, ohne den Niedriglohnsektor zu befeuern. Gerade weil aber in der Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik wesentliche Unterschiede bestehen, sind Österreich und Dänemark für einen Vergleich besonders interessant.
Hohes Arbeitslosengeld und rasche Vermittlungserfolge
Dänemark ist bekannt dafür, dass es seine Arbeitssuchenden mit über 80 Prozent des vorherigen Einkommens finanziell absichert. Die Arbeitslosenunterstützung ist gleichbleibend hoch und sinkt nicht mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Die Höhe berechnet sich aus den Monaten mit den besten Einkommen und nicht etwa aus einem durchschnittlichen Einkommen. Für Österreichs Arbeitssuchende sieht das anders aus: Wer bei uns arbeitslos wird, ist mit lediglich 55 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens abgesichert. Nach spätestens zwölf Monaten hat man einen Sprung nach unten, auf magere 51 Prozent. Ausgangspunkt für die Berechnung ist das durchschnittliche Einkommen. Das erklärt, weshalb es in Österreich ein derart hohes Risiko gibt, wegen längerer oder wiederholter Arbeitslosigkeit den erreichten Lebensstandard zu verlieren und zu verarmen.
Die Forderung von Arbeiterkammer und ÖGB nach einer finanziellen Absicherung für Arbeitssuchende von zumindest 70 Prozent des Nettoeinkommens ist dringend geboten.
Eine frühzeitige, intensive Arbeitsvermittlung mit ausreichend Personal ist nötig
In Dänemark finden rund 20 Prozent bereits im ersten Monat wieder eine neue Beschäftigung, die Arbeitsvermittlung in Dänemark arbeitet sehr schnell: In Österreich ist der Anteil jener, die im ersten Monat bereits wieder eine Beschäftigung haben, mit rund 10 Prozent relativ gering.
In Dänemark, aber auch in Schweden beginnt die Arbeitsvermittlung frühzeitig, ist intensiv und individuell ausgerichtet. Das ermöglicht u. a. eine gute personelle Ausstattung in den Institutionen, die Arbeit vermitteln. In Österreich ist die Arbeitsvermittlung ebenfalls frühzeitig und intensiv angelegt. Jedoch kann dieser Anspruch wegen der schmalen Personaldecke nicht in der erforderlichen Qualität erfüllt werden: Im österreichischen AMS betreut eine AMS-Mitarbeiterin oder ein AMS-Mitarbeiter durchschnittlich zum Teil weit über 200 Arbeitssuchende.
Die schon seit Jahren bestehende Forderung der Arbeiterkammer, das AMS mit ausreichend Personal auszustatten, bleibt bedauerlicherweise ungebrochen aktuell. Es bräuchte zumindest 650 Planstellen mehr, um eine annähernd zeitgemäße Qualität in der Arbeitsvermittlung zu erreichen. Durch raschere und passgenauere Vermittlung können insgesamt die Kosten für Arbeitslosigkeit verringert werden.
Durch Qualifikationen hat Dänemark eine bessere Basis für den aktuellen Wandel
Dänemark, ebenso Schweden und Finnland, baut auf einer guten Tradition der Breitenbildung statt Elitenbildung auf. Die dänische Wissensökonomie profitiert davon, dass sie auf Wissen und Kompetenzen der Erwerbstätigen setzen kann. Wissen und Kompetenzen haben sich in einer Zeit des umfassenden Wandels als Schlüsselressourcen erwiesen. Die Arbeitnehmer:innen in Dänemark haben insgesamt Wissen oder Qualifikationen, die besser von Firma zu Firma und auch über Sektoren hinweg übertragbar sind. Für Arbeitnehmer:innen, die in ihrem Unternehmen keine Chance auf Qualifizierung haben, bietet man in Dänemark Qualifizierung durch eine öffentliche Institution an.
Sich qualifizieren zu können schließt auch Arbeitssuchende mit ein: Sie haben einen Rechtsanspruch auf Kurzausbildungen und auf Kompetenzfeststellung. In Schweden wiederum liegt ein Schwerpunkt bei den Arbeitnehmer:innen, die dem Arbeitsmarkt am fernsten sind: Geringqualifizierte und Migrant:innen. Man hat erkannt, dass die Fachkräfte der Zukunft die sind, die bereits da sind. Österreichische Arbeitnehmer:innen hingegen haben mehr betriebsspezifisches Fachwissen, das nicht so leicht übertragbar ist.
Österreich hat ein ungünstiges Umfeld für berufliche Veränderungen
In Österreich ist das Umfeld für eine berufliche Veränderung oder eine rechtzeitige Aus- und Weiterbildung denkbar ungünstig: Qualifizierungen sind in Österreich entweder Privatsache, die man sich leisten können muss, oder man ist vom Angebot oder der Zustimmung des Betriebes abhängig (z. B. betriebliche Weiterbildung, Bildungskarenz). Gleichzeitig bilden österreichische Betriebe immer weniger selbst Fachkräfte aus. Für Arbeitssuchende gilt das in gleicher Weise: Während der Arbeitslosigkeit besteht kein Rechtsanspruch auf eine Aus- und Weiterbildung oder berufliche Neuorientierung. Der schon lange in Österreich geforderte Rechtsanspruch auf eine Weiterbildung oder Umschulung für Beschäftigte und Arbeitssuchende ist eine dringend nötige Innovation für den österreichischen Arbeitsmarkt.
Besser in Dänemark und Schweden als Erwerbstätige älter werden
Am Arbeitsmarkt in Österreich besteht ein Problem mit der Beschäftigung von Älteren und von Arbeitnehmer:innen mit Gesundheitsproblemen. Wie man sich das vorstellen kann, zeigen die Zahlen: Wer mit 55 Jahren und mehr erwerbstätig sein möchte, sollte das Erwerbsleben besser in Dänemark oder Schweden verbringen. Denn in Dänemark sind rund 45 Prozent in diesem Altersbereich erwerbstätig, in Schweden sogar 47 Prozent. In Österreich sind lediglich rund 27 Prozent mit 55 oder mehr Jahren noch erwerbstätig.
Vergleicht man die gesundheitliche Lage der Menschen in Skandinavien mit jener Österreichs, erhält man ein erschreckendes Bild: Schon bei der Geburt dürfen Österreicher:innen leider nur knapp 58 gesunde Lebensjahre erwarten. Schwed:innen hingegen knapp 74 Jahre. Österreich liegt damit am schlechten 21. Rang innerhalb der EU. Ab dem Pensionsalter von 65 Jahren können die Menschen in Österreich mit nur acht gesunden Lebensjahren rechnen. Pensionist:innen in Schweden haben dagegen rund doppelt so viele gesunde Lebensjahre vor sich, in Dänemark sind es um rund ein Drittel mehr Jahre. Die tödlichen Gefahren an Österreichs Arbeitsplätzen sind mit 2,5 tödlichen Arbeitsunfällen je 100.000 Beschäftigte so hoch, dass wir damit in Europa am schlechten 19. Platz liegen. Schweden, Finnland und Dänemark liegen demgegenüber an Europas Spitze (Plätze 2, 6 und 9).
Vereinbarkeit von Beruf und Familie – im Norden der normale Standard
In Dänemark ist eine gute Kinderbetreuung zentrales Element für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist ebenso in Schweden, Finnland und Island der normale Standard. Nach ungefähr einem Jahr in der Elternkarenz kehren die Eltern wieder in die Erwerbstätigkeit zurück. Die Kinder werden in guten und für alle Kinder ausreichend vorhandene Betreuungseinrichtungen betreut. Das auch, weil allgemein weniger Stunden pro Woche gearbeitet werden und eine qualitätsvolle Freizeit möglich ist. Dabei kann Österreich nicht mithalten. Österreich ist mit Kinderbetreuungseinrichtungen für unter Dreijährige gravierend unterausgestattet. Es belegt innerhalb der EU-27 in diesem Bereich lediglich den 20. Rang.
Fazit
Dänemark und – in manchen Bereichen – Schweden haben gezeigt, dass die österreichischen Probleme am Arbeitsmarkt kein Schicksal sind. Sondern man kann es besser machen.
Für die dringend notwendigen Reformen am Arbeitsmarkt, um die Lage wirkungsvoll zu verbessern, wäre Folgendes erforderlich:
- Ein höheres Arbeitslosengeld und ein gut ausgestattetes Arbeitsmarktservice, um Menschen besser in den Arbeitsmarkt reintegrieren zu können.
- Arbeitssuchende und Beschäftigte müssen sich umfassend aus- und weiterbilden können.
- Prävention, gesunde und sichere Arbeitsplätze bis zum Pensionsantritt und Arbeitszeitverkürzung, damit altersgerechtes Arbeiten tatsächlich möglich ist.
- Für vom Arbeitsmarkt de facto Ausgeschlossene sind garantierte Arbeitsplätze öffentlicher Arbeitgeber mit nachhaltigen Tätigkeiten erforderlich.
- Die Einführung eines Verursacherprinzips bei Unternehmen z. B. für Gesundheitskosten oder für Kosten in der Arbeitslosenversicherung etc. wären ebenso wichtige Veränderungspotenziale.
- Und eine allerorts ausreichende und gute Kinderbetreuung, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht.