Wieder ist Zuwanderung zu einem politikbestimmenden Thema geworden. Wieder werden die damit verbundenen Herausforderungen für parteipolitisches Stimmenmaximieren missbraucht. Das bedeutet eine tiefe Kränkung für die nichtösterreichische Wohn- und Arbeitsbevölkerung. Gleichzeitig gefährdet ressentimentgeladenes, parteipolitisches Agieren in der Zuwanderungs- und Integrationsfrage eine gute soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Österreich. Stattdessen ist rationale Einwanderungspolitik mit einem modernen Einwanderungsgesetz und einer Integrationspolitik, die auf umfassender Sozialpolitik sowie möglichst rascher Ermöglichung politischer Mitbestimmung beruht, für die zugewanderten Menschen notwendig.
Auf dem heimischen Arbeitsmarkt hinterlässt der demografisch bedingte Rückgang der Wohnbevölkerung im Erwerbsalter bereits seine Spuren. Es wird ein Fachkräftemangel beklagt, es wird Arbeitnehmer:innen in Teilzeit unterstellt, sie wären zu bequem für eine Vollzeitarbeit, die Werthaltungen der jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt eintreten, werden hinterfragt. Wenig diskutiert wird aber die mit dem Rückgang des Arbeitsangebotes in Österreich verbundene Notwendigkeit deutlich besserer Regelung von Zuwanderung und Integration.
Zuwanderung und Integration sind keine vorrangig sicherheitspolitischen Fragen. Sie müssen vielmehr im Kontext der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich gesehen, diskutiert und letztlich geregelt werden. Es geht darum, Zuwanderung im Rahmen der EU- und menschenrechtlichen Vorgaben so gut wie möglich zu steuern und gleichzeitig die Integration von zugewanderten Menschen in die heimische Gesellschaft und Wirtschaft möglichst rasch und gut zu ermöglichen. Dabei zeichnen sich ein paar zentrale Handlungsfelder ab, in denen ein möglichst breiter und rascher gesellschaftlicher und politischer Konsens zu erreichen wäre, soll ein drohender wirtschaftlicher und sozialer Rückfall in Österreich vermieden werden. Einige dieser Handlungsfelder werden in der Folge kurz angerissen und dargestellt.
Umfassende Sozialpolitik als Grundlage für erfolgreiche Integration
Es liegt auf der Hand: Je mehr Konkurrenz gerade unter eher einkommensschwächeren Menschen um wesentliche Güter wie leistbarer Wohnraum, gute Gesundheitsversorgung, gute Bildungs- und Ausbildungschancen für Kinder und Erwachsene, eine armutsfeste Absicherung im Alter, in Hinkunft wohl auch um leistbare Energie und einigermaßen lebenswerte Umweltbedingungen herrscht, desto konfliktträchtiger wird auch Zuwanderung in eine Gesellschaft. Sie vergrößert ja in der Regel die Nachfrage nach diesen Gütern. Wie leicht diese latenten, in manchen Fällen manifesten Konfliktsituationen politisch missbraucht und ausgenutzt werden können, lässt sich in der einschlägigen öffentlichen Auseinandersetzung zum Thema der letzten Jahrzehnte unschwer nachzeichnen.
Umso wichtiger ist eine auf Chancengerechtigkeit ausgerichtete und umfassend angelegte Sozialpolitik als Grundlage für eine erfolgreiche Integrationspolitik. Es müssen Mangelsituationen wie etwa fehlender leistbarer Wohnraum oder die unzureichende Unterstützung von Lehrenden und Schüler:innen in Schulklassen mit unterschiedlichen Herkunftssprachen der Kinder vermieden, abgebaut oder zumindest gelindert werden.
Die dafür notwendigen finanziellen Grundlagen müssen und können bereitgestellt werden. Die Modelle zur Besteuerung von Vermögen und Erbschaften der Arbeitnehmer:innen-Vertretungen etwa könnten den politischen Entscheidungsträger:innen einen Weg für verantwortungsbewusste Politikgestaltung aufzeigen.
Mehr Rechtssicherheit, mehr Klarheit im Zuwanderungsrecht, Systemwechsel beim Zugang zum Arbeitsmarkt
Wenn aktuell ein Beispiel für eine nicht funktionierende Behörde gesucht wird, werden alle rasch fündig: die für die Zuwanderung zuständige Magistratsabteilung 35 in Wien. Es mag manches an der Kritik an dieser Behörde zutreffen, in der öffentlichen Debatte dazu aber bleibt ein Aspekt unbeachtet, der rasches und effizientes Behördenhandeln hemmt: die unerhörte Komplexität des Fremdenrechts, des Aufenthalts- und Niederlassungsgesetzes. In den letzten Jahrzehnten ist diese Rechtsmaterie unüberschaubar geworden. Eine Unzahl von Aufenthaltstiteln mit jeweils eigenen Voraussetzungen und Verfahren führt nicht nur dazu, dass die vollziehenden Behörden schwer belastet werden. Viel schlimmer ist das Gefühl der Unsicherheit, der Angst, des Druckes, das unklare, komplizierte Rechtsvorschriften für die Betroffenen mit sich bringen. Schon das Versäumen einer Frist, schon die Tatsache zu langer Arbeitslosigkeit kann zum Verlust der Aufenthaltsberechtigung für Nichtösterreicher:innen führen. Durch rechtliche Stolpersteine werden zugewanderte Menschen viel zu häufig und viel zu lang in Unsicherheit über ihren Aufenthalt gehalten. Unsicherheit ist aber nicht die beste Voraussetzung für Integration. Schon gar nicht stellen unklare und hochkomplexe rechtliche Regelungen für Einreise und Aufenthalt einen Anreiz für mobile, gut ausgebildete Menschen dar, nach Österreich zu kommen.
Es wäre daher hoch an der Zeit, dass auch in Österreich eine Debatte über einen Rechtsrahmen für Zuwanderung, Aufenthalt und Integration sehr zielorientiert geführt wird, der einer Zuwanderungsgesellschaft angemessen ist. Österreich braucht ein modernes Einwanderungsgesetz, das ein sozial verantwortliches Management von Zuwanderung und Integration ermöglichen will. Die aktuelle Rechtslage leistet das bei Weitem nicht. Ein solcher Rahmen muss sich an den Kriterien Klarheit und Rechtssicherheit orientieren. Er muss auch Antworten auf Ungleichgewichte in wichtigen Lebensbereichen für die Bewohner:innen Österreichs geben – etwa in der Frage der Konkurrenz am Arbeitsmarkt zwischen Arbeitnehmer:innen um Beschäftigung, gute Löhne, gute Arbeitsbedingungen.
Gerade bei diesem Aspekt umfassender und inklusiver Einwanderungspolitik ist ein Systemwechsel notwendig. Aktuell wird der Zugang von zugewanderten Menschen auf den Arbeitsmarkt zumindest für Drittstaatsangehörige primär durch eine Bewilligung an einen Arbeitgeber geregelt, die betreffende Person zu beschäftigen. Damit wird von Anfang an einfach nur Abhängigkeit erzeugt. Welche Arbeitnehmerin, welcher Arbeitnehmer wird seine verbrieften Arbeitsrechte verfolgen, wenn ein Konflikt mit dem Arbeitgeber nicht nur die Beschäftigung, sondern über die oben angesprochenen Regeln auch den rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich gefährden kann? Es ist hoch an der Zeit, dass der Arbeitsmarktzugang zu einem Recht zugewanderter Menschen und nicht von Arbeitgebern wird.
In Kombination mit einer Klagslegitimation für die Gewerkschaft und Arbeiterkammern bei Fällen der Nichteinhaltung kollektivvertraglicher Rechte durch Arbeitgeber könnte so wesentlich besser gegen Lohndruck und Druck auf Arbeitsbedingungen und soziale Rechte infolge eines ausgeweiteten Arbeitsangebotes vorgegangen werden als mit den derzeitigen Regeln. Denn es sind in allen nicht durch Verwaltungsstrafen abgesicherten Arbeitnehmer:innen-Rechten nur die einzelnen von Lohn- und Sozialdumping Betroffenen, die sich dagegen rechtlich zur Wehr setzen können. Vielmehr könnten, denn in Anbetracht der oben kurz dargestellten Abhängigkeiten migrantischer Arbeitnehmer:innen von ihren Arbeitgebern auch in der Aufenthaltsfrage verfolgen die Betroffenen ihre Rechte nicht. So ist es nicht verwunderlich, dass in typischen „Zuwandererbranchen“, wie der Landwirtschaft, dem Tourismus, der Bauwirtschaft, ungestraft Löhne weit unter dem jeweiligen Kollektivvertrag bezahlt werden können und damit tatsächlich Druck auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer:innen ausgeübt wird.
Politisches Mitbestimmen von zugewanderten Menschen – Schlüssel für gute Integrationspolitik
Im Grunde ist es ein demokratiepolitischer Skandal ersten Ranges, dass rund ein Viertel der heimischen Wohnbevölkerung von politischer Mitbestimmung auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene ausgeschlossen ist. Lediglich in der Arbeitswelt können Arbeitnehmer:innen mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft mitbestimmen – sie haben das aktive und passive Wahlrecht bei Betriebsrats- und AK-Wahlen.
Das Recht, bei allgemeinen Wahlen zu wählen bzw. gewählt zu werden, ist mit der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden. Es passt zur rein abwehrenden Grundhaltung der heimischen Politik zu Zuwanderung und Integration, dass nach einer Reihe von Studien das heimische Staatsbürgerschaftsrecht zu den restriktivsten in der Europäischen Union gehört. Eine überdurchschnittlich lange Wartezeit, so hohe Anforderungen an Einkommen und „Gesetzestreue“, dass sich rund ein Drittel der Österreicher:innen ihre Staatsbürgerschaft nicht leisten könnten, wäre sie ihnen nicht von Eltern mit österreichischer Staatsbürgerschaft quasi vererbt worden, hohe Verfahrenskosten und komplexe Verfahrensvorschriften sorgen für sehr niedrige Einbürgerungszahlen. Besonders integrationshemmend ist aber die Tatsache, dass selbst in Österreich geborene Kinder von zugewanderten Menschen von der Staatsbürgerschaft ferngehalten werden – egal wie lange ihre Eltern schon in Österreich leben, arbeiten und mit ihrer Leistung maßgeblich zum Funktionieren der heimischen Institutionen und Unternehmen beitragen.
Es ist kein Wunder, dass Vorschläge zur Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechtes geradezu zu Schnappatmung bei Politiker:innen rechts der Mitte führen: Denn solange zugewanderte Menschen nicht Subjekt, sondern bloßes Objekt von Politik bleiben, können ihre Interessen von wahlwerbenden Parteien einfach ignoriert werden, kann auf ihre Kosten Politik gemacht werden.
Dieser Zusammenhang ist mittlerweile auch gewerkschaftspolitisch relevant geworden. Zugewanderte Menschen, Menschen mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft stellen etwa die Mehrheit der Arbeiter:innen. Das heißt auch, dass die Anliegen und Interessen dieser Erwerbstätigengruppe für wahlwerbende Parteien wenig relevant sind. Die Folge: Die Interessen dieser Arbeitnehmer:innen-Gruppe werden dann auch in der Gesetzgebung nur mehr unzureichend berücksichtigt. Wären die Strateg:innen und Spin-Doktoren in den Parteizentralen genötigt, die Lebenslagen und Bedürfnisse zugewanderter Arbeiter:innen ebenso in ihr Kalkül einzubeziehen wie z. B. die der Landwirte, wären manche Entscheidungen wohl anders ausgefallen. Es ist schwer denkbar, dass es unter solchen Voraussetzungen zu der überfallsartigen Einführung des 12-Stunden-Tages gekommen wäre. Das gilt auch für manche arbeitsrechtlichen Begleitmaßnahmen zur Corona-Pandemie. So konnte für Angestellte etwa das Arbeiten im Homeoffice gut geregelt werden, für Arbeiter:innen gab es allerdings nur die Anordnung, am Arbeitsplatz Maske zu tragen. Gleichheit beim Gesundheitsschutz schaut anders aus.
Die politische Mitbestimmung für zugewanderte Menschen würde aber auch dazu beitragen, dass wichtige integrationspolitische Handlungsfelder nicht so einfach vernachlässigt werden können wie derzeit. Mehr Chancengerechtigkeit etwa bei Bildung und Ausbildung, mehr leistbarer Wohnraum, besserer Zugang zu Gesundheitsleistungen und anderen öffentlichen Diensten wären wohl die Folge, müssten die Bedürfnisse zugewanderter Menschen in den Wahlprogrammen der politischen Parteien einfach aus wahlstrategischen Gründen stärker berücksichtigt werden als derzeit. Dass sich damit die gesellschaftliche Auseinandersetzung in der Zuwanderungs- und Integrationsfrage entspannen würde, kann erwartet werden.
Denn natürlich bedeuten Zuwanderung und Integration der Zugewanderten in eine Gesellschaft Konflikte, Probleme, Auseinandersetzungen. Furcht vor Fremden kann sehr leicht entfacht werden, das ist uns Menschen leider eingeschrieben. Glücklicherweise aber gehören auch Solidarität, ein Sinn für Fairness und Empörung über Ungerechtigkeit und übermäßige Ungleichheit zu unserer genetischen Ausrüstung. Eine wichtige Grundlage wäre eine Ablöse der Politik der Angst (nicht nur, aber auch) in diesem Themenbereich durch eine Politik der Hoffnung, der Chancen.
Eine Politik und Sprache der Hoffnung muss die aktuelle Politik der Angst ersetzen
„Illegale Migranten“ – dieser geradezu monströse Begriff dominiert die politische Debatte in Österreich zum Thema. Ein Mensch kann nicht illegal sein, das ist ja eine der wichtigen Funktionen der Grund- und Menschenrechte. Wer aus- bzw. einwandert, ohne dass ein in der Genfer Konvention festgehaltener Fluchtgrund vorliegt oder diese Wanderbewegung nicht im Rahmen einer vom Aufnahmeland geregelten Zuwanderungsmöglichkeit erfolgt, „begeht“ illegale Migration.
Allein die Tatsache, dass Auswirkungen der Klimakatastrophe wie z. B. jahrelange Dürre und der damit verbundene Verlust jeglicher Überlebensmöglichkeit kein anerkannter Fluchtgrund sind, zeigt, wie dringend eine Überarbeitung der rechtlichen Zuwanderungskonzepte „Asyl“ und „Migration zum Zwecke der Arbeit, der Ausbildung oder der Familienzusammenführung“ auf internationaler Ebene ist. Migration erfolgt bereits und wird noch viel stärker wegen einer Mischung aus Motiven erfolgen, die zum Teil den Fluchtgründen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Notwendigkeit und dem berechtigten Wunsch entsprechen, sich aus wirtschaftlicher Notlage und Perspektivlosigkeit zu befreien.
Umso wichtiger werden internationale Regulierungen für diese Phänomene, die den Rahmen für nationalstaatliches Recht bilden. Insofern ist die Europäische Union tatsächlich gefordert. Wobei in der Debatte auf dieser Ebene zurzeit leider Zäune oder andere technische Möglichkeiten zur Grenzüberwachung und zur Verhinderung von ungewollten Grenzübertritten dominieren. Fragen etwa der Ausgestaltung von legalen Flucht- bzw. Zuwanderungsmöglichkeiten über die von Unternehmen artikulierten Bedarfe an Arbeitskraft hinaus fehlen ebenso wie eine Debatte zum Umgang mit der oben beschriebenen „gemischten“ Migration. Ansätze für eine solche Debatte sind vorhanden und ausreichend beschrieben – sie müssten halt nur konsequent in die politische Debatte auf EU- und nationaler Ebene eingebracht und verfolgt werden. Angesichts der jahrzehntelangen populistischen Verheerungen von Sprache, Denken und Handeln der Medien, Politiker:innen und vieler Menschen ist das allerdings eine Anforderung an Politik, die viel Geschick und noch viel mehr Mut erfordert.
Dabei liegt in Migration tatsächlich Hoffnung. Hoffnung etwa für Regionen, die Bevölkerung, wirtschaftliche Dynamik, sozialen Zusammenhalt verlieren. Warum erkennen nur wenige Kommunalpolitiker:innen die Chancen, die Zuwanderung in ihre Regionen bedeuten kann, die laufend Bevölkerung verlieren, aus denen die Jungen, die Frauen einfach abwandern? Können diese Chancen genutzt werden, kann wieder Hoffnung und Leben in sich zunehmend leerende Regionen Österreichs einziehen, kann eine – sehr schnell die soziale Infrastruktur überlastende – Konzentration der Zuwanderung auf wenige, in der Regel städtische Gebiete Österreichs reduziert werden.
Es wird eine Sprache und Politik der Hoffnung, der Solidarität in die Zuwanderungsdebatte einziehen müssen, die das aktuelle Hetzen und Aufstacheln, die ständig mit Angst und Neid operierende Politik ersetzt. Denn ein „Weiter-so“ führt mittelfristig zu nichts anderem als sozialem und wirtschaftlichem Abstieg in Österreich.