Es müssen endlich Bedingungen für eine faire Globalisierung vereinbart werden – Wachstum und Beschäftigung, faire Einkommensverteilung, Verantwortung der Unternehmen entlang der Lieferketten. Das waren die zentralen Forderungen der Spitzengewerkschaften aus den Ländern der G20 und der internationalen Branchengewerkschaftsverbände (GUFs). Sie trafen sich am 16. und 17. Mai 2017 zum Labour-20-Gipfel (L20) in Berlin, um im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Zusammenkünfte rund um den G20-Gipfel ihre Erwartungen an dessen TeilnehmerInnen zu formulieren.
Das diesjährige Treffen der L20 wurde von besorgniserregenden politischen Veränderungen rund um die Welt begleitet und beeinflusst. Es war das erste große Gewerkschaftstreffen seit der Wahl Donald Trumps. Zudem ist beispielsweise die Lage in der Türkei nach dem Putschversuch nach wie vor angespannt. In Brasilien ist die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff höchst umstritten und der bevorstehende Brexit bedeutet für die Europäische Union eine ungewisse Zukunft. Weltweit ist für die Arbeitsorganisationen der Meinungs- und Informationsaustausch im Angesicht von Rechtspopulismus und Protektionismus daher von großer Bedeutung. Themenschwerpunkte der Debatten des L20 waren die Einhaltung der Menschenrechte und die Nachhaltigkeit entlang der globalen Lieferketten, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sowie Arbeit der Zukunft, insbesondere in Bezug auf die fortschreitende Digitalisierung.
DGB-Vorsitzender Hoffmann an Merkel: Menschen- und Gewerkschaftsrechte unterstützen
Andrea Nahles, amtierende Arbeits- und Sozialministerin, besuchte den Gewerkschaftsgipfel am 16. Mai bevor sie am 18. und 19. Mai die ArbeitsministerInnen der G20-Länder in Bad Neuenahr zum L20-Gipfel empfing. Ihr Anliegen, die Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern entlang der Zulieferketten zu verbessern, betonte sie bei beiden Veranstaltungen. Nahles’ Forderungen, „existenzsichernde Löhne zu fördern, besseren Arbeitsschutz zu schaffen und ein klares Signal gegen Kinderarbeit und Zwangsarbeit zu setzen“, kommen bei den Gewerkschaften zwar sehr gut an, stießen beim großen G20-Treffen in Hamburg bei den Staats- und Regierungschefs allerdings nicht auf besonders viel Gehör und Aufmerksamkeit.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich ebenfalls dem Dialog mit den GewerkschaftsvertreterInnen. Reiner Hoffmann war als Vorsitzender des DGB auch der Gastgeber des diesjährigen Gewerkschaftsgipfels zu L20. Er erinnerte Merkel an ihre eigenen Worte beim G7-Gipfel im Jahre 2015: Demnach sei gute Arbeit die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, die erschreckenden Arbeitsbedingungen seien nicht hinnehmbar. Er forderte sie auf, die internationale Anerkennung und Umsetzung der Menschen- und insbesondere der Gewerkschaftsrechte zu unterstützen. So könnten Ausbeutung und unmenschlichen Arbeitsbedingungen ein Ende gesetzt werden. „Zentral dafür ist besonders die Verankerung internationaler Arbeitsrechtsstandards in allen Handelsbeziehungen und Handelsverträgen“, sagte Hoffmann. Außerdem forderte er Merkel bei dem Treffen schriftlich auf, ihren Einfluss gegen die grenzüberschreitende Verantwortungslosigkeit des US-amerikanischen Mobilfunkunternehmens T-Mobile geltend zu machen. T-Mobile, eine Tochter der Deutschen Telekom, verletzt seit Jahren wiederholt Arbeitsrechtsnormen. So überwacht das Unternehmen Gewerkschaftsaktivitäten von Beschäftigten, diskriminiert GewerkschafterInnen und verbietet Beschäftigten, privat wie öffentlich über Arbeitsbedingungen zu sprechen.
L20-ArbeitsministerInnen fordern umfassende soziale Sicherungssysteme
In ihrer gemeinsamen Resolution an die L20-ArbeitsministerInnen erklärten die GewerkschaftsvertreterInnen ihre Erwartungen deutlich: Ein kleiner Teil der weltweiten SpitzenverdienerInnen macht es sich auf dem Rücken und der Arbeit des Großteils der Weltbevölkerung bequem. Das ist nicht nur hochgradig ungerecht, sondern auch ein zum Scheitern verurteiltes System. Es ist eine Bedrohung für Weltfrieden, Demokratie und Sicherheit. Die Schaffung nachhaltiger Volkswirtschaften sollte erklärtes Ziel der ArbeitsministerInnen und der Regierungschefs der G20 sein. Das beinhaltet umfassende soziale Sicherungssysteme, gute und sichere Arbeitsplätze und angemessene Löhne. Statt der konservativen Austeritätspolitik, getreu den „Prinzipien der G20 zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit“, bedarf es öffentlicher Investitionen und progressiver Steuerreformen. Niedrige und mittlere Einkommen müssen zudem entlastet werden. Die globale Ungleichheit muss verringert und die Arbeitsbedingungen an den Zulieferketten weltweit verbessert werden. Außerdem machten die GewerkschafterInnen in der Resolution auf die Situation von Frauen aufmerksam. Sie werden immer noch Opfer von physischer und psychischer Diskriminierung bei der Arbeit und im Alltag. Weitere Schwerpunkte waren die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit, die Verbesserung der Ausbildung und die Stärkung der Rechte der ArbeitsmigrantInnen und geflüchteten Menschen.
Die Gewerkschaften der G20-Länder setzen sich seit Jahren für eine gerechtere und nachhaltigere Weltwirtschaft ein. Sie sind überzeugt, dass mit zunehmender globaler Ungleichheit die G20 in Zukunft diese Forderungen nicht ignorieren können.
G20 – Viel Lärm um nichts
Auf dem eigentlichen G20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg wurde deutlich, dass die Zukunft noch warten muss. Der G20-Gipfel selbst beschäftigte sich herzlich wenig mit den Anliegen der Gewerkschaften. Er führte in erster Linie zu überhitzten Gemütern von PolitikerInnen und KritikerInnen sowie zu zerstörten Autos und Geschäften in Hamburg. Das Schanzenviertel wurde Schauplatz gewalttätiger Wutausbrüche radikaler Linksautonomer. Diese Form des Protests lenkt nicht nur von sachlich fundierter Kritik an dem G20-Forum ab, sondern auch von den Inhalten und Ergebnissen der Debatten der Staats- und Regierungschefs auf dem G20-Gipfel. Beides sollte aber im Fokus der Berichterstattung stehen, um die internationale Zusammenkunft nicht auf eine nationale Sicherheitsdebatte zu reduzieren.
Schon im Vorfeld des Gipfels zeichnete sich ab, welche Themengebiete Gegenstand besonders harter Verhandlungen werden würden. US-Präsident Donald Trump hatte sowohl bezüglich des Klimaschutzes als auch bezüglich des Welthandels Widerstand angekündigt.
Das Pariser Klimaschutzabkommen wollte Trump grundsätzlich neu verhandeln. Die 19 anderen Delegationen machten jedoch deutlich, dass Änderungen des Abkommens nicht zur Debatte stünden. Am Ende einigten sich die G20 auf ein „19+1“-Abkommen. Darin wird klargestellt, dass die USA dem Klimaschutz den Rücken kehren, die anderen Nationen und die Europäische Union aber geschlossen dabeibleiben. Das kann vonseiten des DGB insofern positiv bewertet werden, als ein genereller Ausstieg der G20 aus dem Klimaschutz abgewandt werden konnte. Die Hoffnung auf eine Ausweitung des Klimaschutzes ist allerdings zunächst in weite Ferne gerückt. Besonders der Absatz, dass die USA fossile Brennstoffe sauberer benutzen möchte, kommt einer Ohrfeige für unseren Planeten gleich. Die Nutzung kohlenstoffhaltiger Energie müsste grundsätzlich reduziert werden, um die Ziele des Paris-Abkommens zu erreichen. Vielleicht kann der von Emmanuel Macron angekündigte Klimagipfel im Dezember 2017 in Paris noch etwas retten.
Widersprüchliches und wenig konkretes Abschlussstatement
Die Punkte der Abschlusserklärung bezüglich des Welthandels könnten schwammiger kaum sein. Einerseits bekennen sich die Staaten dazu, sich gegen nationalen Protektionismus zu positionieren. Auch das wird von gewerkschaftlicher Seite grundsätzlich begrüßt: Nationale Lösungen helfen nicht weiter, um weltweit Wachstum und Beschäftigung zu steigern und Arbeitslosigkeit, Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen zu bekämpfen. Andererseits erkennen die VertreterInnen der G20 im gleichen Satz die Nutzung von „legitimen handlungspolitischen Schutzinstrumenten“ an, um nationale Märkte zu schützen. Dieser Widerspruch wird nicht weiter erläutert.
Der DGB begrüßt jedoch das Bekenntnis der G20 zur Einhaltung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und zur dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entlang der globalen Zulieferketten. Das Ziel, Kinderarbeit Menschenhandel und moderne Sklaverei bis 2025 zu beseitigen, klingt selbstverständlich ebenfalls sehr gut. Konkrete, effektive und schnellstmögliche Maßnahmen sind ein Muss.
Einigung auf Verbesserung der Situation für Frauen am Arbeitsmarkt
Einigen konnten sich die G20 darauf, Frauen weltweit zu stärken und ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Selbstständigkeit zu erleichtern. Nach wie vor sind die „Brisbane-Ziele“ des Gipfels von 2014 nicht umgesetzt. Dazu zählt beispielsweise die Senkung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles zwischen Mann und Frau bis 2025 um 25 Prozent, die Bekämpfung der Diskriminierung am Arbeitsplatz und die Verbesserung und Steigerung der Arbeitsplätze für Frauen. Um dies voranzutreiben, unterstützen die Länder die „Women’s Entrepreneurs Financing Initiative“ der Weltbank. Barrieren für Frauen beim Zugang zum Kapitalmarkt sollen damit ausgeräumt und Mikrokredite vergeben werden.
Der „Compact with Africa“, den die FinanzministerInnen im Vorfeld erarbeitet hatten, wurde von den G20 akzeptiert. Der Name ist allerdings irreführend, da an der Vorbereitung dieses Vertrages mit Afrika aus Afrika lediglich Südafrika als einziges afrikanisches Mitglied der G20 direkt beteiligt war. Außerdem ist fraglich, ob die im Vertrag beschlossenen verbesserten Rahmenbedingungen für private, ausländische Investitionen dem Kontinent zu wirtschaftlichem Aufschwung verhelfen. Vielmehr handelt es sich wohl um eine eigennützige Marktöffnung zugunsten der westlichen Industrienationen.
Insgesamt werden die Ergebnisse des Gipfels dem Aufwand und den Kosten nicht im mindesten gerecht. Das Beste, was über diesen G20-Gipfel zu sagen wäre, ist, dass er überhaupt stattgefunden hat. Die Gemeinschaft der G20-Länder hat auch ein weiteres Jahr Zeit gewonnen, die globalen Probleme auch global anzugehen. Mit Argentinien übernimmt ein Land des Südens den nächsten Vorsitz für ein Jahr ab Dezember 2017. Die internationalen Gewerkschaftsorganisationen und der DGB werden den Prozess weiterhin kritisch begleiten.