Die Evaluierung psychischer Belastungen feiert heuer ihr fünfjähriges Jubiläum. Die Gesetzesnovelle trat 2013 in Kraft und ergänzte damit den Arbeitnehmer/-innenschutz um den Aspekt der psychischen Gesundheit. Eine aktuelle Studie aus Oberösterreich untersucht die Frage, inwiefern die Evaluierung in den Unternehmen tatsächlich durchgeführt wurde und inwieweit dadurch psychische Arbeitsbelastungen reduziert werden konnten. Befragt wurden Betriebsratsvorsitzende und Sicherheitsvertrauenspersonen.
Vor der Gesetzesnovelle 2013 befasste sich der Arbeitnehmer/-innenschutz vor allem mit technischen Schutzmaßnahmen, um Unfälle zu verhindern oder deren Zahl zu reduzieren. Die Novelle kann als Antwort auf die Entwicklung psychisch bedingter Krankenstände und Invaliditätspensionen verstanden werden. In Oberösterreich haben sich beispielsweise die Krankenstandsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen seit 2007 in etwa verdoppelt (2007: 11.419; 2016: 20.660).
Was sind psychische Belastungen?
Psychische Belastungen beschreiben in der Arbeitspsychologie alle äußeren Einflüsse, die auf einen Menschen einwirken. Psychische Belastungen führen nicht automatisch zu einer psychischen Erkrankung, oftmals können sie gut bewältigt werden und hinterlassen keine schwerwiegenden Folgen. Psychische Belastungen treten in den unterschiedlichsten Bereichen der Arbeitswelt auf: Die Tätigkeit selbst kann eine Belastung darstellen, zum Beispiel der Kontakt mit Kundinnen und Kunden; die Rahmenbedingungen, wie etwa Arbeitstempo oder Schichtarbeit; die Umgebung, zum Beispiel Lärm, Beleuchtung, extreme Hitze oder Kälte; und das wahrgenommene Klima, etwa Kommunikation, Führungskräfte oder der Handlungsspielraum. Diese Faktoren wirken auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein und haben das Potenzial, zu psychischen Beanspruchungen zu führen. Durch Fehl- oder Überbelastungen entstehen Krankheitsbilder oder Erschöpfungszustände, was vor allem bei den Faktoren Zeitdruck und Arbeitstempo der Fall ist.
Je nach Geschlecht werden psychische Erkrankungen unterschiedlich oft diagnostiziert. Beispielsweise sind Frauen von Depressionen häufiger betroffen als Männer. Bei psychischen Störungen und Verhaltensstörungen durch Alkohol sind deutlich mehr Männer als Frauen betroffen. Die gegenwärtigen Rollenvorstellungen von Frauen und Männern beeinflussen die festgestellten Erkrankungen und Beschwerden. Die gleichen Symptome werden unterschiedlich bewertet, je nachdem ob ein Mann oder eine Frau von diesen berichtet. Unterschiedliche Stereotypen haben auch Einfluss auf die Evaluierung psychischer Belastungen. Je nach Geschlecht werden unterschiedliche Faktoren als Belastung erkannt – zum Beispiel wird freundlich sein bei Frauen eher als Selbstverständlichkeit gesehen als bei Männern.
Aus soziologischer Perspektive kann der Anstieg arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen im breiten Kontext der Veränderung der Organisation von Arbeit verortet werden: Gerade Formen der Arbeitsorganisation, die – zumindest vordergründig – mit mehr Handlungsmöglichkeiten und Eigenverantwortung einhergehen und die früher aus einer Perspektive der Humanisierung der Arbeit eingefordert wurden, werden zu einer Quelle von Arbeitsleid, wie Fritz Böhle im „Handbuch Arbeitssoziologie“(2010) schreibt. Die Rücknahme direkter Kontrolle und die Zunahme indirekter Steuerung (http://www.isw-linz.at/themen/dbdocs/4_Sauer.pdf) führt unter anderem dazu, dass auch die Beziehungen innerhalb der Organisation zunehmend vermarktlicht und andere Momente, wie zum Beispiel die Honorierung von Loyalität, in den Hintergrund gedrängt werden.
Hauptergebnisse der Studie
Immerhin jeweils etwa ein Zehntel der befragten Betriebsratsvorsitzenden und Sicherheitsvetrauenspersonen gab an, dass (fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes) mit der Evaluierung psychischer Belastungen noch nicht begonnen wurde. Insgesamt weniger als die Hälfte aus beiden Befragtengruppen berichtete, dass auf Basis der Evaluierungsergebnisse Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden. In den restlichen Fällen war der Evalulierungsprozess noch im Gange oder es wurden nach Feststellung der Belastungen keine Gegenmaßnahmen ergriffen. Diese Daten deuten darauf hin, dass die Evaluierung psychischer Belastungen sich nur langsam in den Unternehmen etabliert und in manchen Fällen wohl auch versandet. Wurde allerdings tatsächlich eine Maßnahmenentwicklung in Gang gesetzt, dann urteilten die Befragten darüber sehr positiv. So ging dieser Teil der Befragten in seiner überwiegenden Mehrheit davon aus, dass es nun leichter möglich sei, über psychische Belastungen zu sprechen. Die Evaluierung psychischer Belastungen scheint also zu einer Enttabuisierung des Themas beizutragen.
Bemerkenswert ist die hohe Bedeutung, welche die Befragten den Ergebnissen der Evaluierung psychischer Belastungen für ihre Tätigkeit als Arbeitnehmervertreter/-innen beimaßen: Über 80 Prozent der Betriebsratsvorsitzenden und über 70 Prozent der Sicherheitsvertrauenspersonen stuften diese als eher wichtig bis sehr wichtig ein.