In so genannten Virtual-Reality-Spielen und Simulationen kann es zur „Virtual-Reality-Sickness“ kommen. Den SpielerInnen wird schlecht, schummrig, sie sind benommen. Doch welche Auswirkungen könnten sich in der Arbeitswelt, wenn Menschen mit Datenbrillen in der „Augmented Reality“ mehrere Stunden am Tag arbeiten, ergeben?
„Übel mitspielen”
Die Virtuelle Realität wird gemeinhin mit Computerspielen in Verbindung gebracht. Die Spiele werden aus der eigenen Perspektive aus gespielt. Man bewegt sich virtuell durch einen Raum und hat den Eindruck sich in der Spielewelt zu befinden. Bei derartigen Spielen können unangenehme körperliche Symptome, Virtual-Reality-Sickness (VR-Sickness) genannt, auftreten. Von vorübergehender Übelkeit, Schwindel, Orientierungslosigkeit, Schweißausbrüchen und Benommenheit wird berichtet.
In der Arbeitswelt können in Zukunft vermehrt Datenbrillen, auch Head-Mounted-Displays (HMD) genannt, und ähnliche Geräte, die Inhalte vor dem Auge anzeigen, verwendet werden. Inwieweit die Verwendung dieser technischen Neuerungen Symptome oder Begleiterscheinungen hervorrufen können ist noch nicht ausführlich untersucht. Es ist aber anzunehmen, dass der Einsatz dieser Geräte Auswirkungen auf den Menschen haben wird.
„Nur spielen“
Der erst kürzlich ausgebrochene Hype um ein „Outdoor-Spiel“, in dem man bunte Kreaturen finden und fangen muss, hat gezeigt dass sogar Stürze aus dem Fenster möglich sind, weil vergessen wird, dass man sich nicht in der Spielewelt befindet. Dass die Eindrücke in virtuellen Spielen so echt sind, dass die SpielerInnen körperliche Schäden davon tragen könnten ist möglich. Mittels Virtual Reality Brillen gelingt es, noch tiefer in die virtuelle Welt einzutauchen. Die Brillen sehen aus wie überdimensionierte Schlafmasken um die Umgebung komplett auszublenden. Durch Geräusche und Musik über Kopfhörer werden die Eindrücke noch verstärkt. Das Spiel läuft direkt vor den Augen ab. Durch die Rundung der Brille kann fast das binokulare Sichtfeld abgedeckt werden, der 3D Effekt verstärkt sich.
Realitäten in der Arbeitswelt
In der digitalen Arbeitswelt wird jedoch eher Augmented Reality (erweiterte Realität) eine Rolle spielen. Damit ist gemeint, dass die tatsächliche Realität mittels Datenbrillen oder ähnlicher technischer Geräte mit virtuellen Informationen angereichert wird.
Zum Beispiel: Bei der Analyse eines Fußballspiels sieht man die Spieler am Spielfeld laufen und die Distanzanzeige zu den Spielern oder zum Tor wird angezeigt. Die Anzeige verändert sich, wenn die Distanzen der Spieler sich verändern. Alles nur Spielerei mögen Sie jetzt denken. Jedoch: In Lagern eines bekannten online Versandhandels sind MitarbeiterInnen, welche die bestellten Waren im Lager zusammenpacken, so genannte Picker, mit diesen Brillen ausgestattet. Ein Produkt wird bestellt, der Minicomputer der Brille erfasst die Bestellung. Die Brille bzw. der Minicomputer durchsucht die Datenbanken, findet das Produkt und leitet die Person in die richtige Abteilung zum richtigen Regal. Durch „Pick by Vision“ erwartet man weniger Fehler, das Einsammeln der Produkte wird durch die freien Hände erleichtert.
Oder ein anderes Beispiel: Ein Filter in einem Gerät muss getauscht werden. Mittels der Brille kann man die Teile im Gerät erkennen, das Gerät zeigt den Filter an und zeigt jeden einzelnen Handgriff an, der notwendig ist um den Filter zu tauschen. Greift man nach dem falschen Teil, so zeigt die Brille unmissverständlich an, dass dieses Teil zum Tausch nicht benötigt wird.
Reelle Symptome aufgrund von virtueller Realität
Es ist zu hinterfragen, ob es in der Anwendung von erweiterter Realität z.B. mittels Datenbrillen zu ähnlichen Symptomen wie die der VR-Sickness kommen kann. Je nach Einsatzgebiet und Darstellungsweise ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Vermischung zwischen Wirklichkeit und virtuellen Darstellungen direkt vor den Augen, nicht gut verkraftet wird. Abgesehen von Cyber-Sickness könnten vor allem auch die Augen leiden und Schaden nehmen. Es ist wahrscheinlich, dass durch eingeschränkte Kopfbewegungen oder eine unnatürliche Kopfhaltung über längere Zeit, die Nackenmuskulatur stark beansprucht wird. Das Gewicht der HMD kann ebenfalls eine Belastung darstellen. Vermehrte Pausen können Abhilfe schaffen. Unter ergonomischen Gesichtspunkten wird es wichtig sein die Datenbrille bzw. das HMD individuell einstellen und anpassen zu können.
Ein Forschungsteam der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) in Deutschland hat Faktoren (in Bezug auf physische wie psychischen Belastungen) für die Verwendung von Datenbrillen bzw. HMDs zusammengestellt. Beispielsweise im Bereich der Ergonomie, dass die Brillen leicht und individuell einstellbar (auch in Hinblick auf Kontrast, Schärfe oder Leuchtdichte) sind. Oder im Bereich der Arbeitsorganisation müssen MitarbeiterInnen entsprechend eingeschult werden (über Technologie, Einstellungsmöglichkeiten etc.). Um Schäden der Augen vorzubeugen müssen vermehrt Pausen eingeplant werden oder Arbeiten ohne Datenbrillen durchgeführt werden. Bei der Einführung entsprechender Technologien sind Eingewöhnungsphasen (langsame Steigerung der Einsatzzeiten) vorzusehen.
Aber auch der „Gewöhnungseffekt“ könnte auf lange Sicht zu Schwierigkeiten führen. Wenn man mehrere Stunden täglich Informationen direkt in das Sichtfeld eingeblendet bekommt, dann kann es irritierend sein, wenn diese Informationen fehlen. Zum Beispiel kann ein Picker auch über die Datenbrille gewarnt werden, wenn er den Weg der für die Staplerfahrzeuge vorgesehen ist, betritt. Oder es wird ein Stopp auf dem HMD angezeigt, wenn nach einer Kurve eine Gefahr droht. Ohne Datenbrillen und im Straßenverkehr könnte es zu Unfällen kommen, wenn Mensch es gewohnt ist sich nur auf eingeblendete Informationen zu verlassen statt auf seine eigenen Sinneswahrnehmungen. VR-Sickness könnte also durchaus ein Hemmschuh für die technischen Etnwicklungen sein.
Back to the Future
Ob und in welchem Ausmaß Symptome auftreten, wird sehr unterschiedlich sein. Abzuwarten bis sie auftreten und erst danach zu handeln ist jedoch der falsche Ansatz. Prävention muss Vorrang haben und Untersuchungen müssen erfolgen, bevor Schäden auftreten, denn Arbeit darf nicht krank machen. Vor allem was die Darstellung der eingeblendeten Informationen betrifft, dürfte die Ergonomie und Softwareergonomie eine außerordentlich wichtige Rolle spielen. Bei der Softwareergonomie geht es nicht nur um die Aufbereitung von leicht verständlicher und schnell benutzbarer Software, sondern auch um die gesundheitserhaltende Aufbereitung (z.B. ist grüne Schrift auf rotem Hintergrund für die Augen sehr belastend).
Symptome die aufgrund der Anwendung von z.B. Datenbrillen entstehen können, müssen ernst genommen und untersucht werden. Wie in der Vergangenheit ist mit Widerstand zu rechnen. Als Bildschirmarbeit als Schwerstarbeit für die Augen anerkannt werden sollte wurde zur Abhilfe unter anderem die Bildschirmarbeitsbrille eingeführt. ArbeitgeberInnen sträubten sich und sträuben sich zum Teil noch immer, solche Brillen zur Verfügung zu stellen. Viele weitere Gebiete können aufgezählt werden, in denen Technik, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf den Menschen, eingeführt wurde. Ein Stichwort dazu ist Datenschutz, welcher auch bei Datenbrillenanwendungen eine große Rolle spielen wird.
Auch wenn es fasziniert, was die Technik alles möglich macht bzw. machen wird, so sollte immer auch hinterfragt werden, welche Auswirkungen diese Möglichkeiten auf den Menschen und seine Gesundheit haben können.