Wirtschaft beleben durch Kaufkrafterhalt und öffentliche Klimainvestitionen. Zur aktuellen WIFO-Prognose

06. Oktober 2023

Die aktuelle WIFO-Prognose zeichnet ein eher düsteres Bild: Zu einer nach wie vor hohen Inflationsrate gesellen sich Einbrüche in Industrie, am Bau und bei den Ausgaben für dauerhafte Konsumgüter. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht heuer zurück, eine Erholung zeichnet sich erst zu Jahresbeginn ab. Niedrige Lohnabschlüsse würden die Krise verschärfen. Die Bundesregierung kann mit den ohnehin dringenden öffentlichen Klimainvestitionen für den sozial-ökologischen Umbau die schwächelnden Branchen stützen und Beschäftigte in zukunftsfitten Branchen ausbilden.

Ursachen des Abschwungs

Die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich ist zweigeteilt: Starken Dienstleistungs- und Tourismusbranchen stehen schwache Industrie, Bauwirtschaft und Einzelhandel gegenüber. Das BIP sinkt heuer voraussichtlich um 0,8 Prozent. Die Ursachen des Abschwungs sind einerseits die mangelnde Inflationsbekämpfung (prognostizierte Inflationsrate 2023: +7,7 Prozent; und 2024: +4,0 Prozent) der Bundesregierung und der EU-Kommission, die es verabsäumt haben, effektive preisreduzierende Maßnahmen zu setzen. Nötig wären ein neues europäisches Strommarktdesign, weniger Abhängigkeit von globalen Lieferketten sowie in Österreich ein tatsächlich wirksamer Mietpreisdeckel und Eingriffe bei Gas und Fernwärme.

Andererseits verfolgt die EZB eine fehlgeleitete Hochzinspolitik. Die Teuerungskrise fußt nicht auf einer überhitzten Nachfrage, dennoch hat die EZB den Leitzins auf zuletzt 4,5 Prozent erhöht mit dem Ziel, die Wirtschaftsleistung zu drosseln. In der Baubranche ist der Rückgang der Bauaktivität vor allem im Wohnbau bereits seit einigen Monaten zu beobachten, vollends durchschlagen werden die hohen Leitzinsen erst in einigen Monaten. Steigende Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste drohen.

Die Löhne hinken der Inflation hinterher

Die Kollektivvertragsverhandlungen in Österreich basieren auf realisierten Wirtschaftszahlen der Vergangenheit: Die Gewerkschaften verhandeln über die Abgeltung der Inflation der letzten zwölf Monate plus der mittelfristigen gesamtwirtschaftlichen Produktivität („Benya-Formel“). Eine Lohn-Preis-Spirale ist damit nicht möglich, da die Löhne der Inflation folgen. Zuerst erhöhen Unternehmen Preise, erst dann steigen die Löhne. Besonders im letzten Jahr sind die Arbeitnehmer:innen damit in Vorleistung gegangen und haben Reallohnverluste in Kauf genommen, während die Profite vieler Unternehmen die Inflation angetrieben haben.

Dieser Reallohnverlust muss durch die aktuellen Lohnverhandlungen erst wieder aufgeholt werden. Dauerhafte Reallohnverluste wären die Basis für anhaltenden Konsumrückgang und Wohlstandsverluste für die Beschäftigten. Laut der aktuellen WIFO-Prognose, die von einem Anstieg der Löhne zumindest mit der rollierenden Inflation ausgeht (bei den Metaller:innen +9,6 Prozent), erreichen die Löhne pro Kopf erst 2024 wieder das Vorkrisenniveau. Die Abschaffung der kalten Progression begünstigt die Entwicklung der Nettolöhne, doch auch diese würden bei einem Abschluss unter der rollierenden Inflation unter dem Vorkrisenniveau zurückbleiben.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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BIP-Deflator wäre keine gute Grundlage für Lohnverhandlungen

Von manchen Stimmen wurde in der wirtschaftspolitischen Debatte der vergangenen Monate die Forderung erhoben, den BIP-Deflator statt der rollierenden Inflation (gemessen mit dem Verbraucherpreisindex) als Grundlage für Lohnverhandlungen zu verwenden. Der Deflator des Bruttoinlandsprodukts (oder bei quartalsweiser Berechnung der Wertschöpfungs-Deflator) misst die „hausgemachten“ Preissteigerungen in der Produktion, die im Rahmen der österreichischen Wertschöpfung entstehen. Sämtliche importierte Vorleistungen, wie Rohöl- oder Gasimporte, gehen nicht in die österreichische Wertschöpfung ein und werden daher auch nicht berücksichtigt. Dafür sind aber auch Preissteigerungen von exportierten Gütern, die in Österreich produziert werden, im BIP-Deflator enthalten.

Der Verbraucherpreisindex (VPI) hingegen berücksichtigt das gesamte Konsumverhalten der im Inland wohnenden Verbraucher:innen. Dazu gehören auch Ausgaben für Erdgas, Heizöl, Benzin, Diesel usw. Wenn der Kaufkrafterhalt im Vordergrund stehen soll, dann ist der VPI das Maß der Dinge. In normalen Zeiten entwickeln sich der BIP-Deflator und der VPI sehr ähnlich. Bei einem Energiepreisschock wie im vergangenen Jahr steigt der VPI jedoch schneller als der BIP-Deflator. Ähnlich der Kerninflation sind rasch steigende importierte Energiepreise im BIP-Deflator nicht enthalten. Die sinkenden Energiepreise 2023 und 2024 wiederum verbessern die Terms of Trade, d. h., dass Österreich für Importpreise im Verhältnis zu den Exportpreisen wieder weniger zahlen muss.

Für die Lohnverhandlungen ist der BIP-Deflator zudem eine sehr schlechte Grundlage, weil er nur quartalsweise verfügbar und sehr revisionsanfällig ist. Endgültige Ergebnisse stehen beim Bruttoinlandsprodukt erst nach mehr als drei Jahren zur Verfügung. Im Gegensatz zum VPI können sich die Preisanstiege beim BIP-Deflator also noch mehrmals auch für die Vergangenheit ändern. Das würde zu großer Unsicherheit bei Lohnverhandlungen für beide Seiten führen. Monatliche Werte für den BIP-Deflator fehlen, Lohnverhandlungen finden aber monatlich statt. Österreichs Lohnverhandlungssystem beruht traditionell auf dem VPI, der monatlich verfügbar ist und nur gering revidiert wird.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Die österreichische Industrie steht trotz aktuellem Abschwung gut da. Die Industrieproduktion ist 20,3 Prozent über dem Niveau von 2015 (zum Vergleich: die deutsche Industrieproduktion liegt 5,2 Prozent unter dem Niveau von 2015), die Investitionsneigung heimischer Unternehmen ist hoch. Auch die Beschäftigtenzahlen in der Industrie schauen aktuell noch gut aus. Die im ATX notierten österreichischen Metallkonzerne berichteten für 2022 ein Rekordjahr, ein Rückgang heuer muss also mit dem starken Anstieg der letzten beiden Jahre relativiert werden. 2022 haben die Gewerkschaften auf Basis der niedrigen rollierenden Inflation der Vergangenheit abgeschlossen. Nun ist es eine Frage der Gerechtigkeit, die aktuell höhere rollierende Inflation als Basis der Lohnverhandlungen heranzuziehen. Alles andere bedeutet anhaltende Reallohn- und Wohlstandsverluste für die breite Masse, für manche sogar massive Armutsgefährdung.

Der Abschluss der Metaller:innen in der Herbstlohnrunde setzt den Maßstab für die nachfolgenden Verhandlungen. Gerade in Branchen wie der Pflege, der Reinigung, dem Bildungs- und Sozialbereich sind hohe Lohnabschlüsse wichtig, um die Leistungen der Systemerhalter:innen in den Krisen der vergangenen drei Jahre anzuerkennen und fair zu entlohnen, aber auch um diese Berufe attraktiv für Neueinsteiger:innen zu machen.

Öffentliche Klimainvestitionen stützen schwächelnde Branchen

Eine rasche und weitgehende Erhöhung der öffentlichen Klimainvestitionen ist vor allem angesichts der Klimakrise unumgänglich. Die Treibhausgasemissionen sinken laut WIFO-Prognose derzeit nur in einem bedenklich langsamen Tempo (2023: -2,4 Prozent; 2024: -0,6 Prozent). Um die Klimaneutralität zu erreichen, sind massive zusätzliche Anstrengungen notwendig.

Die Bundesregierung muss mit gutem Beispiel vorangehen. Nach Berechnungen der TU Wien in Kooperation mit dem Umweltbundesamt beläuft sich das Potenzial an zusätzlichen öffentlichen Investitionen auf 87 Mrd. Euro bis 2030. Darunter fallen Investitionen in den Ausbau des ÖPNV, nachhaltige Renovierungen von öffentlichen Gebäuden, die Redimensionierung von Straßen oder der Ausbau erneuerbarer Energieanlagen, -netze und -speicher. Diese Investitionen führen zu Einsparungen von Energiekosten, verringerten Straf- und Kompensationszahlungen bei Verfehlung der Klimaziele und zu gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungseffekten. Die langfristigen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte könnten unterm Strich somit sogar positiv sein.

Gleichzeitig stützen öffentliche Klimainvestitionen genau die Branchen, die derzeit schwächeln: die Industrie und Baubranche. Eine öffentliche Investitionsoffensive wäre zudem eine gute Gelegenheit, begleitend niedrig qualifizierte Beschäftigte weiterzubilden. Dadurch können in Zeiten von Arbeitskräfteknappheit Arbeitnehmer:innen in Industrie und Bauwirtschaft in produktivere und besser zahlende Unternehmen wechseln, während gleichzeitig Fachkräfte für zukunftsfitte Branchen ausgebildet werden.

Fazit

Öffentliche Klimainvestitionen bewirken positive Effekte für die schwächelnde Industrie und Baubranche und sind im Kampf gegen die Klimakrise unbedingt notwendig. Zudem können Beschäftigte vom Wechsel in zukunftsfitte Branchen profitieren und Qualifizierungsmaßnahmen mit konkreten Perspektiven verbunden werden – gerade auch für arbeitslose Personen.

Ein Kaufkrafterhalt bei den aktuellen Lohnverhandlungen stabilisiert die Konjunktur ebenfalls, für die Arbeitnehmer:innen geht es allerdings auch um eine gerechte Verteilung der Krisenkosten. Während die Arbeitnehmer:innen vergangenes Jahr Reallohnverluste erlitten haben, haben einzelne Branchen mit Rekordprofiten die Inflation angeheizt. Die Unternehmen können es sich leisten, ihre Profite zugunsten der Arbeitnehmer:innen wieder zu reduzieren.

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