In Arbeitsfeldern wie dem Baugewerbe, der Plattformarbeit, der Paketlogistik oder der 24-Stunden-Betreuung sind atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Beschäftigung über Subunternehmen oder Scheinselbstständigkeit in Österreich weit verbreitet. Diese bergen die Gefahr von prekärer Beschäftigung und gehen mit einem erhöhten Armutsrisiko einher. Migrant:innen und Frauen sind besonders betroffen. In diesem Text, der sich an unserem Beitrag im Sozialbericht 2024 orientiert, werden Maßnahmen vorgeschlagen, die prekäre Beschäftigung bekämpfen und zu einem armutsfesten Sozialstaat beitragen könnten.
Regulierung von Leiharbeit
Arbeitskräfteüberlassung oder Leiharbeit ist in Österreich seit 1988 erlaubt und gesetzlich geregelt. Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist seit damals immer weiter angestiegen. 2021 waren 96.577 Personen in der Arbeitskräfteüberlassung tätig, wobei knapp die Hälfte (49,3 Prozent) davon keine österreichische Staatsbürgerschaft hatten (während dies bei nur 22 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten der Fall war).
Eine wichtige Maßnahme für die Reduktion von prekärer Beschäftigung besteht darin, Arbeitskräfteüberlassung stärker zu regulieren. Überlassene Arbeitskräfte sind oft fester Bestandteil von Belegschaften, allerdings häufig unter anderen Konditionen und mit einem deutlich höheren Beschäftigungsrisiko als Stammbeschäftigte. Rechtlich ist Leiharbeit in Österreich zwar bereits deutlich stärker reguliert als in anderen europäischen Ländern, doch es bestehen Schlupflöcher. Beispielsweise bedeutet in der Praxis das Ende einer Überlassung häufig auch ein Beschäftigungsende, da eigentlich zu bezahlende „Stehzeiten“ während der Vorbereitung einer nächsten Überlassung sowie Kündigungsfristen durch „einvernehmliche Auflösungen“ umgangen werden, d. h. die Personen werden arbeitslos. Da insbesondere Migrant:innen in multiprekären Lebenslagen unter einem hohen Unterzeichnungsdruck stehen, sind die Auflösungen allerdings oftmals nur auf dem Papier „einvernehmlich“.
Um diese Missstände zu beseitigen, wäre es sinnvoll, einvernehmliche Auflösungen nicht mit sofortiger Wirkung, sondern mit einer Warte- bzw. Bedenkzeit (von beispielsweise zehn Tagen) abzuschließen. Arbeitgeber:innen könnten zusätzlich dazu verpflichtet werden, Gründe für die Auflösungen zu nennen sowie auf die kostenlose Rechtsberatung durch Arbeiterkammer und Gewerkschaften hinzuweisen. Außerdem gilt es, Schritte einzuleiten, um Arbeitskräfteüberlassung wieder zu ihrer ursprünglichen Funktion – auf Auftragsspitzen zu reagieren – zurückzuführen. Dafür sollte u. a. der Anteil von Leiharbeit an die Größe des Stammpersonals gekoppelt werden und entsprechende Übernahmequoten sollten in den Kollektivverträgen fixiert werden.
Haftungsbestimmungen bei Leiharbeit und Subauftragsvergabe
Zudem gilt es sicherzustellen, dass es sich bei Leiharbeit und Subauftragsvergabe um qualitätsvolle Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen handelt, wofür insbesondere Haftungsbestimmungen nachzuschärfen sind. In der Paketzustellung wie auch im Baugewerbe führen Subunternehmensketten häufig dazu, dass die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten umso prekärer sind, je weiter sie von dem bzw. der Hauptauftraggeber:in entfernt sind. Die Hauptauftraggeber:innen sind daher in die Pflicht zu nehmen, nur solche Aufträge zu vergeben, die auch den Subunternehmen die korrekte Beschäftigung von Personal und qualitätsvolle Arbeitsbedingungen ermöglichen. Ferner sollten sie Sorgfalt tragen, dass diese eingehalten werden, und für Ausfälle aufkommen. Da aktuell der Beschäftiger:innenbetrieb bei der Arbeitskräfteüberlassung lediglich sehr eingeschränkt für das Entgelt haftet, ist daher eine Nachschärfung der Haftungsbestimmungen hin zu einer echten Generalunternehmerhaftung unabdingbar.
Haftungsbestimmungen bezüglich des Entgelts und der Sozialversicherungsbeiträge sollten sich außerdem auf die gesamte Subunternehmenskette erstrecken, wobei man sich hier – neben dem Mitte März verabschiedeten EU-Lieferkettengesetz – an bestehenden Haftungsbestimmungen in Österreich und Modellen in anderen Ländern orientieren kann. Haftungsbestimmungen, die im österreichischen Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz auf den Bau beschränkt sind und dort auch nur für den nächsten Auftragnehmer gelten, könnten beispielweise auf andere Branchen sowie die gesamte Subunternehmenskette ausgeweitet werden. Orientierung kann auch die im deutschen Mindestlohngesetz (§ 13 MiLoG) normierte Haftungsbestimmung zur Zahlung des Mindestlohns seitens des auftraggebenden Unternehmens auf die gesamte Subunternehmenskette bieten.
Beseitigung von Scheinselbstständigkeit
Auch die sogenannte Scheinselbstständigkeit bei Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) – oftmals Migrant:innen – stellt eine weitere höchst prekäre Beschäftigung dar. Scheinselbstständige sind formal selbstständig und unterliegen somit nicht den Schutzstandards des Arbeitsrechts wie beispielsweise kollektivvertraglichem Mindestlohn, bezahltem Krankenstand oder gewerkschaftlicher Vertretung. Bei selbstständigen Paketzusteller:innen, Plattformarbeiter:innen in der Essenszustellung als auch bei 24-Stunden-Betreuer:innen besteht aufgrund der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit de facto aber häufig ein Arbeitnehmer:innenstatus, welcher allerdings von einzelnen Personen schwer zu beweisen ist. Um den Arbeitnehmer:innenstatus leichter durchzusetzen, benennt der Entwurf der EU-Plattformarbeitsrichtlinie klare Kriterien für einen Arbeitnehmer:innenstatus und sieht die Beweispflicht, dass es sich nicht um abhängige Beschäftigung handelt, bei Auftrag- bzw. Arbeitgeber:in. Es wäre daher nicht nur sinnvoll, die Plattformarbeitsrichtlinie umzusetzen, sondern deren Bestimmungen auch auf alle Branchen auszuweiten. Insbesondere in der 24-Stunden-Betreuung, in der meist eine große Abhängigkeit von einem Arbeitgeber besteht, müsste die Beseitigung der Scheinselbstständigkeit mit dem Erarbeiten tragfähiger Modelle zur Anstellung der Betreuer:innen (z. B. bei staatlichen Trägern/Agenturen oder durch Genossenschaften) einhergehen.
Ein weiterer Grund für Scheinselbstständigkeit, den es anzugehen gilt, liegt in den arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Asylwerber:innen. Zwar können Asylwerber:innen seit einem Verfassungsgerichtsentscheid 2021 mittlerweile grundsätzlich einer unselbstständigen Erwerbsarbeit nachgehen, die Voraussetzungen dafür sind jedoch weiterhin hoch, weshalb Geflüchteten häufig nur die Möglichkeit einer „selbstständigen“ Tätigkeit bleibt. So zum Beispiel in der Paketzustellung, in der (schein-)selbstständige Zusteller:innen am untersten Ende der Subunternehmenskette von (multinationalen) Logistikunternehmen stehen. Um prekäre Scheinselbstständigkeit zu verhindern und Geflüchteten so früh wie möglich gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen, braucht es daher einen deutlich einfacheren Arbeitsmarktzugang für Asylwerber:innen.
Verstärkte Kontrollen zur verbesserten Rechtsdurchsetzung
Neben der Notwendigkeit der stärkeren Regulierung von Arbeit ist auch eine verbesserte Rechtsdurchsetzung entscheidend. Unzureichende Kontrolle durch die zuständigen Behörden ist vor allem auf Personalmangel zurückzuführen. In Österreich stehen etwa 300 Arbeitsinspektor:innen 300.000 Betrieben gegenüber. Mehr Ressourcen für Kontrollbehörden – allen voran Finanzpolizei und Arbeitsinspektorat – wäre daher eine zentrale politische Forderung, damit Kontrollen nicht nur punktuell, sondern flächendeckend durchgeführt werden können. Dabei würden sich die investierten Personalkosten auch ökonomisch rentieren, da diese in multiplizierter Form wieder an Staatseinnahmen hereinkommen würden. Handlungsfähige Durchsetzungsbehörden würden außerdem eine präventive Wirkung entfalten. Dafür müssten Strafen aber auch abschreckend sein und systematische Gesetzesverstöße entsprechend abbilden. Die generelle Abschaffung des Kumulationsprinzips im Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz, nach der Strafen aufgrund von Lohndumping nicht mehr mit der Zahl der geschädigten Arbeitnehmer:innen multipliziert werden, hat die Wirksamkeit der Kontrollen verschlechtert.
Ferner könnten gemeinsame Maßnahmen von Kontrollbehörden, Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeber:innenvertretung – sogenanntes Co-Enforcement – die Durchsetzung von Arbeitsrechten erleichtern, u. a. indem bestehendes Wissen aller Akteur:innen gebündelt wird. Es bedürfte außerdem verstärkter Kooperation zwischen den verschiedenen Behörden, z. B. Kontroll- und Sozialversicherungsbehörden – und das nicht nur innerhalb Österreichs, sondern angesichts von grenzüberschreitenden Beschäftigungsverhältnissen wie der Entsendung von Arbeitnehmer:innen auch transnational. Plausibilitätsprüfungen der von den Unternehmen getätigten Einkommensmeldungen könnten genutzt werden, um Unternehmen gezielt zu prüfen.
Beseitigung der „multiplen Prekarität“ und qualitätsvolle Arbeitsvermittlung
Neben einer Verbesserung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen und deren institutionellen Durchsetzung gilt es auch, prekäre Lebenslagen außerhalb der Arbeit zu beseitigen. Denn „multiple Prekarität“ – u. a. durch unsichere Aufenthaltsrechte, Sprachbarrieren, begrenzten Sozialleistungszugang und fehlende (Anerkennung von) Qualifizierung – bewirkt, dass Personen prekäre Arbeit in Kauf nehmen (müssen), was sich wiederum auf die anderen Bereiche auswirkt. Insbesondere Migrant:innen – vor allem jene aus Drittstaaten – sind aktuell von „multipler Prekarität“ betroffen.
Zunächst müsste bei der Ausweitung des arbeitsrechtlichen Wissens, den Sprachkenntnissen und der Qualifizierung angesetzt werden. Vor dem Hintergrund, dass prekär Beschäftigte sich häufig nicht an Interessenvertretungen wenden, sollten Strategien entwickelt werden, durch die niederschwellig Informationen über Rechte bereitgestellt und Beschäftigte durch gezielte Angebote, z. B. Social-Media-Kampagnen, besser erreicht werden. Bei Migrant:innen steht der Mangel an Wissen um Arbeitsrechte häufig in direkter Verbindung mit mangelhaften Deutschkenntnissen. Daher gilt es zum einen, auf institutioneller Seite stärker auf Qualifizierung – u. a. die Ausweitung deutscher Sprachkenntnisse durch flächendeckende Angebote kostenloser Deutschkurse (bis zu C2-Niveau) – zu setzen, die eine Voraussetzung für qualitätsvolle Beschäftigung ist. Darüber hinaus ist eine Erleichterung in der Nostrifizierung von im Ausland erworbenen (Aus-)Bildungstiteln notwendig, um strukturelle Dequalifizierung zu unterbinden.
Von zentraler Bedeutung ist zudem, dass Arbeitnehmer:innen nicht in Betriebe vermittelt werden, die für Arbeitsrechtsverletzungen bekannt sind. Hierfür wäre u. a. ein Informationsaustausch zwischen dem AMS und Kontrollbehörden sowie Arbeits- und Sozialgerichten nötig. Insgesamt bedarf es einer verbesserten Ausstattung beim AMS, da Arbeitsmarktpolitik entscheidend von der Beratungsqualität in der Jobvermittlung abhängt, während Elemente wie Sanktionen bzw. Leistungskürzungen diese Wirkung nicht erzielen. Ein wichtiger Pfeiler wäre dabei auch, beim AMS sowie bei anderen Institutionen die sprachliche Diversität der Gesellschaft stärker abzubilden.
Neben den bereits erwähnten Hindernissen im Arbeitsmarktzugang für Asylwerber:innen gilt es außerdem, weitere aufenthalts- und sozialrechtliche Hürden für Migrant:innen zu beseitigen, die den Zwang, prekäre Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, befördern. So ist Inhaber:innen einer Rot-Weiß-Rot-Karte der Wechsel zwischen Arbeitgeber:innen zu vereinfachen, um eine Abhängigkeit von einem bzw. einer Arbeitgeber:in mit widrigen Arbeitsbedingungen zu unterbinden. Darüber hinaus sind Beschäftigungsbewilligungen grundsätzlich an die Beschäftigten selbst und nicht an die Betriebe – wie aktuell bei drittstaatsangehörigen Saisonarbeitskräften – auszustellen. Um Zwangslagen zu unterbinden, gilt es außerdem, die Hürden bei Familienzusammenführung für Drittstaatsangehörige sowie beim – aktuell nach Aufenthaltsstatus stratifizierten – Sozialleistungszugang zu senken. Für eine Familienzusammenführung von Drittstaatsangehörigen ist ein gesichertes Auskommen notwendig, das viele aufgrund prekärer Beschäftigung nicht aufweisen. Auch für den Familienbeihilfebezug von subsidiär Schutzberechtigten werden aktuell bestimmte Einkünfte vorausgesetzt. Diese Regelungen führen häufig dazu, dass betroffene Beschäftigte, aus Angst den Job zu verlieren, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse akzeptieren. Subsidiär Schutzberechtigten sollte zudem in ganz Österreich – und nicht nur wie aktuell in Wien und Tirol – die Mindestsicherung/Sozialhilfe offenstehen, und nicht nur die (geringere) Grundversorgung. Zuletzt stehen auch gerade jene Migrant:innen, die die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen möchten, oft unter Druck, ausbeuterische Arbeit zu akzeptieren und – um die Voraussetzungen zu erfüllen – keine Mindestsicherungsleistungen zu beziehen. Zur Beseitigung dieser Zwangslagen sowie zur besseren Ermöglichung voller Teilhabechancen inklusive politischer Rechte sollte daher das Staatsbürgerschaftsrecht modernisiert werden.
Fazit
In dem Beitrag haben wir Maßnahmen vorgestellt, um prekäre Arbeit zu bekämpfen und das Armutsrisiko von atypischer Beschäftigung zu senken. Hier noch einmal zusammenfassend die wichtigsten Handlungsbedarfe:
- Da Leiharbeit und Subauftragsvergabe ein erhöhtes Prekaritätsrisiko für Beschäftigte bergen, bedarf es einer stärkeren Regulation, vor allem in der Nachschärfung von Haftungsbestimmungen.
- Zur Beseitigung von Scheinselbstständigkeit braucht es Gesetze, die die erleichterte Durchsetzung des Arbeitnehmer:innenstatus ermöglichen. Es sollte von einer Vermutung der Arbeitnehmer:inneneigenschaft bei allen vermeintlich selbstständig Beschäftigten ausgegangen werden, die von nur einem bzw. einer Auftraggeber:in abhängig sind.
- Für eine verstärkte Durchsetzung von Arbeitsrechten sind eine Personalaufstockung in den Kontrollbehörden, abschreckende Strafen und ausgeweitete Kooperation zwischen Behörden notwendig.
- Statt einer Sanktionspolitik bräuchte es mehr Ressourcen für eine qualitativ hochwertige Beratungspraxis beim AMS und mehr Kooperation zwischen Behörden, um Arbeitsvermittlungen in Betriebe mit systematischen Arbeitsrechtsverletzungen zu verhindern und die Vermittlung in qualitätsvolle Beschäftigung sicherzustellen.
- Zur Bekämpfung der multiplen Prekarität von Migrant:innen bedarf es flächendeckender und kostenfreier Deutschkurse, mehrsprachiger und qualitätsvoller Beratung, Erleichterung von Nostrifikationsprozessen sowie der Beseitigung von Restriktionen im Sozialleistungszugang.