Die COVID-19-Krise hat eines besonders deutlich gemacht: Migrantische Arbeitskräfte waren und sind für die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens, der Lieferketten und der Landwirtschaft unverzichtbar. Gleichzeitig sind sie verstärkt von den desaströsen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen. Die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeitsmigrant_innen steht jedoch im Widerspruch zur fehlenden Anerkennung ihrer Arbeit in Bezug auf Entlohnung, Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Wertschätzung.
Verstärkte Betroffenheit von Erwerbslosigkeit und Überarbeitung
Blickt man zunächst auf die quantitative Empirie zur Beschäftigung von Migrant_innen in der COVID-19-Krise, so ergibt sich ein ambivalentes Bild: Auf der einen Seite sind Migrant_innen in der COVID-19-Krise stärker durch Erwerbslosigkeit und relative Verarmung bedroht. Auf der anderen Seite sind sie überdurchschnittlich von entgrenzter Mehrarbeit, hoher Beanspruchung in Arbeitsprozessen ebenso wie von einer stärkeren Infektionsgefährdung betroffen. In Österreich zeigen aktuelle Zahlen, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit von Menschen ohne österreichischen Pass mit 39,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (Jan.) deutlich höher ist als jener von Österreicher_innen (28,1 Prozent). Migrierte sind vor allem deshalb besonders von den desaströsen Folgen der Pandemie auf dem Arbeitsmarkt betroffen, da sie häufiger instabile Beschäftigungsverhältnisse haben. So sind sie überdurchschnittlich in den von der wirtschaftlichen Krise besonders betroffenen Sektoren, wie Beherbergung und Gastronomie, beschäftigt (51,7 Prozent haben in diesem Sektor eine ausländische Staatsbürgerschaft). Zudem führten die Grenzschließungen und Reisebeschränkungen bei vielen Pendelmigrant_innen zu Einkommensausfällen. Migrierte sind aber auch überproportional in sogenannte systemrelevante Beschäftigungen eingebunden, in denen Social Distancing oft nur schwer möglich ist. Erste Daten zeigen, dass das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, für Menschen mit Migrationshintergrund daher deutlich höher ist. Da sie sich besonders häufig in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen befinden, sehen sich viele Migrant_innen aus Angst um ihren Arbeitsplatz gezwungen, trotz Auftretens von COVID-19-Symptomen weiter zu arbeiten.
Abhängigkeit der österreichischen Wirtschaft von Arbeitsmigration
Die vorübergehenden Grenzschließungen verdeutlichten außerdem die Abhängigkeit der österreichischen Wirtschaft von ausländischen Arbeitskräften. Die Landwirtschaft zählt beispielsweise zu einem jener Bereiche, in denen der Anteil von Migrant_innen an der Beschäftigung am stärksten angestiegen ist. Neben der Land- und Forstwirtschaft verzeichneten die Bereiche Beschäftigung in privaten Haushalten und Beherbergung und Gastronomie die höchsten Steigerungen. Diese überproportionale Eingliederung von Migrierten in bestimmte, vor allem niedrig entlohnte, prekäre Arbeitsbereiche, die von österreichischen Arbeitnehmer_innen selbst in Krisenzeiten gemieden werden, verdeutlicht die ausgeprägte Segmentierung am Arbeitsmarkt. Dass dies mit extrem prekären Arbeitsbedingungen verbunden ist, haben im Sommer die Skandale in Betrieben im Marchfeld und anderswo gezeigt. Eine rumänische Arbeiterin, die mithilfe der Kampagne Sezonieri an die Öffentlichkeit ging, berichtete davon, einen Lohn von 4 Euro die Stunde für bis zu 15 Stunden Arbeit pro Tag erhalten zu haben, wobei man ihr noch Geld für Miete und Verpflegung abgezogen habe. Die immer wieder vorgebrachte These des Ersatzes der migrantischen durch sogenannte einheimische Arbeitskraft in Krisenzeiten muss daher hinterfragt werden. Wenn es zu Verdrängungseffekten am Arbeitsmarkt durch Migration kommt, dann nur in Bezug auf länger ansässige Migrierte und dies in Phasen größeren Arbeitskräfteüberangebots wie in den Jahren der Arbeitsmarktöffnungen im Zuge der Ostererweiterung. Insgesamt deuten die Befunde auf eine zunehmende „Migrantisierung“ prekärer Arbeit und Beschäftigung hin.
Besonders deutlich hat die COVID-Krise außerdem gemacht, dass der Pflegebedarf nicht ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland gedeckt werden kann – ein Problem, das in Zukunft mit dem Älterwerden der Bevölkerung noch virulenter werden wird. Bis 2030 wird der Pflegepersonenbedarf zusätzlich um circa 76.000 Personen steigen. Die Bedeutung des Bereichs, in dem über 70 Prozent Frauen arbeiten, steht im Kontrast zu seiner gesellschaftlichen Anerkennung. Schon vor Corona beklagten Beschäftigte in der Pflege Arbeitsverdichtung und Zeitdruck. Dabei sind jene Bereiche, in denen der Ausländer_innenanteil besonders hoch ist, wie die 24-Stunden-Pflege, besonders prekär. Da sie seit 2007 offiziell selbstständige Ein-Personen-Unternehmen sind, gelten für sie die Schutzstandards des Arbeitsrechts, wie ein kollektivvertraglicher Mindestlohn, bezahlter Krankenstand und gewerkschaftliche Vertretung, nicht. Aufgrund der Abhängigkeit von privaten Vermittlungsagenturen ist die Selbstständigkeit jedoch meist nur ein Schein.
Multiple Prekarität von Migrant_innen
Neben ihrer überdurchschnittlichen Beschäftigung in besonders abgewerteten Arbeitsbereichen kann sich die Prekarität von Migrant_innen durch einen unsicheren Aufenthaltsstatus weiter erhöhen. In Branchen wie Bau, Pflege in Privathaushalten und Gastronomie kommt es auch in Österreich immer wieder zu undokumentierter Beschäftigung aufgrund von rechtlich-formaler Prekarität. Neben den Arbeitsbedingungen müssen außerdem die häufig prekären Wohn- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigrant_innen betrachtet werden. Wir können daher von einer „multiplen Prekarität“ sprechen, von der Migrierte in besonderem Ausmaß betroffen sind. Gleichzeitig zeigt die Betroffenheit von Migrierten durch die COVID-Krise in beiden Richtungen – also erhöhte Arbeitslosigkeit sowie Überarbeitung/Ausbeutung – auch allgemeine Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten in Richtung Prekarisierung von Arbeit und Beschäftigung auf. Die Infektionscluster in den Postverteilerzentren in Wien und Niederösterreich oder auch in einem oberösterreichischen Fleischbetrieb machen deutlich, dass die Arbeitsbedingungen von Rand- und Kernbelegschaften zwar nicht offiziell, aber doch in der Praxis oft zweierlei Maß unterliegen. Dabei überschneidet sich die Spaltung der Beschäftigten im Betrieb immer häufiger mit ethnischen Trennlinien. So hat sich der Anteil von Leiharbeiter_innen mit Migrationshintergrund in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt.
Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen und gesellschaftlicher Aufwertung
- Wie Thomas Grammelhofer (PRO-GE) betont, braucht es im Bereich der Leiharbeit daher verstärkte Kontrollen, um die Einhaltung des Kollektivvertrags zu überprüfen. Es gilt sicherzustellen, dass nicht unter dem Deckmantel von sogenannten „ausgelagerten Tätigkeiten“, wie es z. B. bei Verpackungstätigkeiten in Lagerhallen häufig der Fall ist, versteckte Arbeitnehmer_innenüberlassung stattfindet und damit Arbeitnehmer_innen zweiter Klasse entstehen.
- Ebenso muss das Problem der Scheinselbstständigkeit, von dem ausländische Arbeitnehmer_innen verstärkt betroffen sind, angegangen werden. So fordern die Interessenvertretungen der migrantischen 24-Stunden-Pfleger_innen in einem ersten Schritt die verstärkte Kontrolle von Agenturen, von denen die Pfleger_innen „vermittelt“ werden, und in einem zweiten Schritt die Abschaffung der Scheinselbstständigkeit durch die Beschäftigung bei einer staatlichen Sozialgesellschaft.
- Da es den migrantischen Arbeitskräften häufig an arbeitsrechtlichen Informationen fehlt, braucht es außerdem den Ausbau mehrsprachiger Beratungsangebote (z. B. UNDOK und Sezonieri), die einen niederschwelligen Zugang ermöglichen.
- Da Beschäftigungsbewilligungen für drittstaatsangehörige Saisonarbeitskräfte – sowie in seltenen Fällen auch für AsylwerberInnen – vom AMS an die Betriebe ausgestellt werden, ist die Abhängigkeit dieser Gruppe von ausbeuterischen Praktiken einzelner Unternehmen besonders groß. Gewerkschaftliche Initiativen in der Erntearbeit fordern daher, Beschäftigungsbewilligungen direkt an Arbeitskräfte statt an Betriebe auszustellen.