Arbeitskräfteüberlassung – Ringen um Begriffe und Perspektiven

30. Mai 2022

Arbeitskräfteüberlassung, Leiharbeit, Zeitarbeit: drei Begriffe, welche dieselbe Form von Erwerbstätigkeit meinen und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Konflikt darüber ausdrücken. Sie dauert nur halb so lang wie ein „normales“ Arbeitsverhältnis und produziert systemisch gebrochene Erwerbskarrieren. Überwiegend ist sie allerdings ein beinhartes Geschäftsmodell in einem hart umkämpften Markt.

Charakteristisch ist die Dreiecksform, die Betroffene als Beschäftigte der Leiharbeitsfirma konstruiert, während die faktische Arbeitstätigkeit beim Kundenbetrieb – in der Fachsprache Beschäftiger bezeichnet – erbracht wird und diese auch der dortigen Hierarchie unterworfen sind. Damit widerspricht die Leiharbeit per se dem sogenannten Normalarbeitsverhältnis, worunter eine längerfristig ausgerichtete Beschäftigungsbeziehung mit einem Unternehmen verstanden wird. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es gemeinnützige Varianten der Arbeitskräfteüberlassung gibt, welche diese Beschäftigungsform in die Nähe des „zweiten“ Arbeitsmarktes rückt.

Von der Ausbeutung zum flexiblen Arbeitsmarkt

Der Wandel in den Werthaltungen gegenüber dieser Beschäftigungsform lässt sich in einem großen historischen Sprung an der Positionierung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ablesen. Ursprünglich, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, forderte die ILO ein gänzliches Verbot der Leiharbeit, mit der Argumentationslinie, dass es sich hier um eine Form von Überausbeutung handelt, die den Warencharakter der Arbeitskraft auf die Spitze treibt. In der aktuell gültigen Konvention von 1997 wird diese Beschäftigungsform dagegen als notwendiger Teil eines nunmehr flexibel gewordenen Arbeitsmarktes angesehen, wobei die Vorteile der Flexibilität der Leiharbeit beiden Seiten – UnternehmerInnen und ArbeiterInnen – zugutekommen. Letzteres kann allerdings eher als eine die realen Machtverhältnisse verschleiernde und trotzdem wirkmächtige Floskel verstanden werden. Denn in der Regel orientieren sich die Beschäftigten in der Leiharbeit auf eine längerfristige stabile Integration in einem Unternehmen und verhalten sich damit in gewissem Sinne paradox gegenüber diesem Konstrukt.

Die Wirklichkeit des flexiblen Arbeitsmarktes

Die veränderte Positionierung der ILO als Ausdruck eines neoliberalen Verständnisses von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist in gewisser Weise nicht erst seit gestern Wirklichkeit geworden. Der Raum für die Arbeitskräfteüberlassung wurde erst durch den Rückzug beziehungsweise die chronisch knappe Finanzierung der öffentlichen Arbeitsmarktverwaltung geschaffen. Die Leiharbeit ist heute ein fester Bestandteil des Arbeits- und insbesondere des Stellenmarkts in Österreich. Ein relevanter Anteil der beim AMS gemeldeten offenen Stellen (bundesweit etwa ein Viertel, in der Leiharbeitshochburg OÖ etwa ein Drittel) kann nur über die Zwischenschaltung einer Leiharbeitsfirma angetreten werden. In pointierter Weise könnte man formulieren, dass das AMS einen Teil seiner Aufgaben auf die Arbeitskräfteüberlassung ausgelagert hat. Dabei ist offenkundig, dass damit keine stabile Arbeitsmarktintegration verbunden ist.

Hängebrücke Leiharbeit

Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in der Arbeitskräfteüberlassung liegt mit aktuell 190 Tagen (Zeitraum Juni 2020 bis Juli 2021) bei etwa der Hälfte der durchschnittlichen Dauer aller abhängigen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt. Und mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Arbeitseinsätze dauerten weniger als ein Monat. Die vielfach strapazierte Brückenfunktion der Leiharbeit muss mit Skepsis betrachtet werden, es handelt sich bestenfalls um eine wackelige und steile Hängebrücke. Eine Studie von Riesenfelder, Danzer und Wetzel im Auftrag des Sozialministeriums aus 2018 ergab, dass im Anschluss an eine Leiharbeitsepisode am häufigsten eine weitere Leiharbeitsepisode folgte, am zweithäufigsten Erwerbslosigkeit und erst am dritthäufigsten ein „normales“, direktes Beschäftigungsverhältnis. Leiharbeit produziert systemisch gebrochene Erwerbskarrieren.

Schmaler Grat zwischen Ermöglichung und Ausbeutung

„Durch Leasing kommst du schnell wo rein, bist aber auch schnell wieder draußen“, bringt es ein Betroffener aus einem laufenden, arbeitsbiografisch orientierten Forschungsprojekt zur Leiharbeit zum Ausdruck. Eine erste Erkenntnis aus den Forschungsgesprächen mit Betroffenen ist allerdings auch, dass Leiharbeit für bestimmte Personen eine entlastende Funktion bei der Arbeitssuche hat. Der mühevolle und auch gesellschaftlich-kommunikativ fordernde Prozess der Stellensuche und Bewerbung wird gewissermaßen von der Leiharbeitsfirma übernommen. Ergänzt werden muss weiter, dass Einstiegshürden im Leiharbeitsmarkt kaum vorhanden sind. Demgegenüber stehen allerdings Prozesse der sozialen Schließung aufseiten der Kundenbetriebe, die bestimmte Tätigkeitsprofile ausschließlich auf diese Art besetzen. Die institutionellen Wegweiser in die Leiharbeit sind nicht zu unterschätzen, etwa wenn auf dem regionalen Arbeitsmarkt attraktive Betriebe BewerberInnen auf die Leiharbeitsfirmen verweisen, mit denen zusammengearbeitet wird, oder wenn das AMS wie oben angeführt Erwerbslosen häufig Stellen in der Arbeitskräfteüberlassung zuweist. Es ist zudem ein schmaler Grat zwischen Ermöglichung der Teilnahme am Erwerbsarbeitsmarkt und der Ausbeutung bestimmter Notlagen von Personen aus unterprivilegierten Klassen. Zu denken ist hier nicht nur an MigrantInnen, sondern auch an SchulabbrecherInnen, an Personen aus den sogenannten bildungsfernen Milieus oder an solche, die früh in ihrem Leben gesundheitliche Schicksalsschläge erleiden mussten.

Leiharbeit oder Zeitarbeit?

Die unterschiedlichen Werthaltungen gegenüber dieser Form von Arbeit kommen auch in den Bezeichnungen zum Ausdruck. Im deutschsprachigen Raum und einem Teil der wissenschaftlichen Literatur wird eher von Leiharbeit gesprochen, was auf die verdinglichende Dimension dieses Phänomens hinweist. Allerdings umfasst der Begriff des Verleihens dem Wortsinn nach auch einen pfleglichen Umgang und ein unbeschädigtes Zurückgeben. Anders verhält es sich mit dem umgangssprachlich in Oberösterreich für Leiharbeit weit verbreiteten Begriff des „Leasings“, der ein Benützen mit einem gewissen Wertverfall verbindet. Die Arbeitgeberseite bevorzugt dagegen den Begriff der Zeitarbeit, verbunden mit dem Hinweis, den alten – auch für die Beschäftigten – stigmatisierenden Begriff Leiharbeit zu überwinden. Von gewerkschaftlicher Seite wird dies zum Teil aufgegriffen, etwa wenn BetriebsrätInnen – um Wertschätzung zu zeigen – von „unseren ZeitarbeiterInnen“ sprechen. Allerdings ist der Begriff der Zeitarbeit auch wenig überzeugend, denn dass Arbeit auf die eine oder andere Art und Weise zeitlich begrenzt und definiert ist, trifft immer zu. Und es geht dabei der spezifische, eingangs erwähnte dreiecksförmige Charakter dieser Beschäftigungsform verloren. Treffender ist da in gewisser Weise der englische Begriff, der von „temporary agency work“ und von den Beschäftigten als „temps“ spricht. Bleibt also der formalrechtliche Begriff der Arbeitskräfteüberlassung als (begrifflicher) Kompromiss? Aber auch hier ist Vorsicht geboten: In Österreich (und nicht nur hier) gilt man nicht als bloße Arbeitskraft, sondern als MitarbeiterIn, der bzw. die nicht ausschließlich funktional betrachtet und behandelt wird. Können dies die Arbeitskräfteüberlassungsbranche und ihre Kunden gewährleisten?

Erfolgreiche Durchsetzung von ArbeitnehmerInnenrechten

Die Geschichte der Leiharbeit in Österreich kann auch als Geschichte der erfolgreichen Durchsetzung von ArbeitnehmerInnenrechten und erfolgreicher sozialpartnerschaftlicher Regulierung gelesen werden. Insbesondere der AKÜ-Kollektivvertrag, der den Bereich der ArbeiterInnen umfasst und von der Produktionsgewerkschaft PRO-GE mit den Arbeitskräfteüberlassern in der Wirtschaftskammer verhandelt wird, kann als Meilenstein angesehen werden. In der Praxis gibt es aber immer wieder Probleme. Ungeklärt ist insbesondere die Frage, wie mit der problematischen Praxis der einvernehmlichen Auflösungen umgegangen wird, mit denen die kollektivvertraglichen Kündigungsfristen ausgehebelt werden. Verboten ist nämlich eine Synchronisierung von Ende des Arbeitseinsatzes beim Kunden und Ende des Beschäftigungsverhältnisses beim Arbeitskräfteüberlasser; eine Kündigung darf frühestens am fünften Tag nach dessen Ende ausgesprochen werden. In Kombination mit den mindestens zwei Wochen Kündigungsfrist (ab 2023 drei Wochen) gibt es also ein gewisses Sicherheitsnetz, das dem „Hire and Fire“ zumindest theoretisch entgegensteht. In jüngerer Vergangenheit kam es zu deutlichen Auffassungsunterschieden zwischen Arbeitgebern und der PRO-GE, nachdem Erstere die Absicht hatten, die Arbeitskräfteüberlassung zur Saisonbranche zu erklären, um kürzere Kündigungsfristen durchzusetzen.

Selbstbewusste Interessenartikulation

Bewusstseinsbildung unter den Betroffenen ist enorm wichtig. Die PRO-GE betreibt seit vielen Jahren die Webseite www.leiharbeiter.at , die in mehreren Sprachen auf die grundlegenden Rechte hinweist. Dass der Einstieg in Leiharbeit typischerweise vor dem Hintergrund einer spezifischen Notlage beziehungsweise Krisensituation erfolgt, ist einer von Anfang an selbstbewussten Interessenartikulation nicht förderlich. Diese ist vielmehr Ergebnis eines harten Lernprozesses und erfordert auch gewerkschaftliche Intervention. Es gibt zudem LeiharbeiterInnen, die nicht aus klassischen Arbeitermilieus stammen und daher in Herkunftsfamilie und Ausbildung wenig Bezugspunkte zu ArbeitnehmerInnenrechten aufbauen konnten.

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