Thomas und Monika füllen einen Fragebogen aus. Thomas ist Manager eines internationalen Versicherungsunternehmens, Monika Angestellte im Einzelhandel. Die Fragen reichen vom österreichischen Kündigungsschutz über das Vertrauen in die Politik bis hin zur Unternehmensbesteuerung. Sie sind für die jährlichen Wettbewerbsrankings des World Economic Forum (WEF), und die beiden haben recht unterschiedliche Einschätzungen. Aber stopp: In Wirklichkeit wird Monika als Arbeitnehmerin vom WEF nicht gefragt, sondern nur Thomas, der Manager. Seine Meinungen werden mit anderen Daten vermischt als „das Ranking“ von Österreich präsentiert.
Sicht der ArbeitnehmerInnen ignoriert
Da nur ManagerInnen befragt werden, sind daraus entstehende Wettbewerbsrankings einseitig. Dabei spielen politische Interessen eine wesentliche Rolle: Fragen zur Effizienz des Staates, der Unternehmensbesteuerung oder der Lohnsetzung beispielsweise werden grundsätzlich anders beurteilt, wenn sie von politischen Absichten wie Steuersenkungen für Unternehmen oder einer Flexibilisierung der Löhne getrieben sind.
Außerdem stellt sich die Frage, ob die einzelwirtschaftliche Sicht von ManagerInnen überhaupt dazu in der Lage ist, den gesamtwirtschaftlichen Zustand der Volkswirtschaft zu beschreiben. Thomas wünscht sich vielleicht eine Lohnsenkung in seinem Unternehmen, also wird er im Fragebogen das Lohnniveau als zu hoch angeben. Werden aber die Löhne aller ArbeitnehmerInnen in Österreich gesenkt, können letztlich auch alle weniger konsumieren und die Kaufkraft sinkt – Thomas wird weniger Versicherungen unter die Leute bringen. Seine betriebswirtschaftliche Sicht ist damit ungeeignet, einen gesamtwirtschaftlich sinnvollen Rat zu geben.
Österreich hinter Botswana?
Die Befragungen führen dann auch zu paradoxen Ergebnissen. Als das neue WEF-Ranking (pdf) herauskommen, liest Thomas in der Zeitung, dass Österreich bei der Frage über die Verschwendung öffentlicher Ausgaben hinter Ländern wie Botswana, Ghana oder Ruanda auf Platz 54 von 138 Ländern liegt. In Bhutan oder dem Oman haben ManagerInnen laut Befragung ein größeres Vertrauen in Politik und Gesetzgebung als in Österreich. Und auch die Unabhängigkeit der Justiz scheint in Südafrika, Uruguay oder Katar besser gewährleistet zu sein.
Das überrascht sogar Thomas – so hatte er seine Antworten nicht gemeint! Aber in der Fragestellung war niemals von einem Vergleich mit anderen Ländern die Rede gewesen – der wurde vom WEF erst hineininterpretiert. Damit ist auch für ihn klar: Eine ernstzunehmende Vergleichbarkeit zwischen Ländern erlauben die Ergebnisse nicht.
Schlechtes Ranking, starke Wirtschaft?
Diese Befragungen werden mit harten Daten wie zum Beispiel dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) vermischt. Dabei bleiben aber wichtige Aspekte unbeleuchtet. Monika findet zum Beispiel, dass Arbeitslosigkeit und Beschäftigung zur Bewertung der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit eine Rolle spielen sollten. Schließlich geben sie Auskunft darüber, wie die Situation am Arbeitsmarkt ist. In den Wettbewerbs-Index gehen diese Variablen allerdings nicht ein.
Wie sieht es nun aus, wenn das Ranking in Relation zum Wirtschaftswachstum des jeweiligen Landes gestellt wird? Es versagt sogar der elementarste Zusammenhang, der letztlich nachzuweisen versucht wird. Denn Abbildung 1 zeigt deutlich: Wer 2015 besser im Ranking abschnitt (also näher beim Spitzenplatz, der Nummer 1, liegt), hatte im Durchschnitt niedrigeres Wirtschaftswachstum.
Abbildung 1: WEF-Wettbewerbsranking und BIP pro Kopf Wachstumsraten, 2015