Inflation steigt, Konjunktur fällt, Finanzierung fehlt. Zur neuen WIFO-Prognose

07. Oktober 2022

Die Wirtschaftsentwicklung übertrifft 2022 alle Erwartungen: Das WIFO setzt die Prognose für reales BIP (+4,8 Prozent), Warenexport und Industrieproduktion, allerdings auch für die Inflationsrate (8,3 Prozent) kräftig nach oben. Für 2023 ist mit einem markanten wirtschaftlichen Abschwung zu rechnen (BIP nur noch +0,2 Prozent), der in einer Rezession zu münden droht. Die anhaltend hohe Inflation bedeutet für viele Menschen Wohlstandseinschränkungen und teils akute Armutsgefährdung. Die Wirtschaftspolitik muss ihre verteilungspolitische Verantwortung wahrnehmen und Übergewinne und Vermögen begrenzen, um die Ungleichheit zu verringern.

Inflation bleibt hoch

Im September 2022 stieg die Inflation laut Statistik Austria Schnellschätzung auf 10,5 Prozent und erreichte damit Werte wie zuletzt in den 1950er-Jahren. Die Teuerung wird nach wie vor vom dramatischen Anstieg der Preise für Energie und deren Folgeeffekte bestimmt. Die hohe Inflation und ihre verteilungspolitischen Folgen erfordern rasche regulatorische Maßnahmen auch in Form des direkten Eingriffs in die betroffenen Märkte. Ohne diese bleibt die Teuerung hoch. Das WIFO setzt die Prognose der Verbraucherpreise sowohl für heuer (+8,3 Prozent statt +7,8 Prozent), als auch für nächstes Jahr deutlich hinauf (+6,5 Prozent statt +5,3 Prozent).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Höhere Energiepreise wirken erst mit Verzögerung auf Ebene der Verbraucher:innen. Einerseits, weil es etwas braucht bis Unternehmen Erzeuger- und Großhandelspreise an Enderverbraucher:innen weitergeben. Andererseits, weil beispielsweise die automatischen Wertanpassungen bei vielen Mietverträgen bei Erreichen einer kumulierten Inflation von 5 Prozent schlagend werden und dann Miet-Preis-Spiralen auslösen, die allein heuer zu einem Anstieg der Kategorie-Mieten von mehr als 16 Prozent führen.

Zusammen mit den enormen Zufallsgewinnen bei manchen Energieproduzent:innen und anderen Gewinn-Preis-Spiralen beschränken diese Preissteigerungen immer mehr Haushalte im Konsum und steigern das Armutsrisiko markant. Trotz umfassender fiskalpolitischer Maßnahmen in Form von Einmalzahlungen und Valorisierungen vieler Sozialleistungen sinkt das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte (2022: -1,5 Prozent, 2023: -0,1 Prozent).

Gedämpfte Nachfrage aus In- und Ausland

Die Einschnitte im Konsum sind aber sehr unterschiedlich verteilt. Das obere Einkommensdrittel erleidet keinen Wohlstandsverlust, der politische Gegenmaßnahmen erfordern würde: Das Konsumniveau wird aufrechterhalten, es bleibt lediglich weniger zum Sparen übrig. Das mittlere Einkommensdrittel muss konkrete Spar- und wohl auch Konsumpläne aufschieben. Für das untere Einkommensdrittel hingegen bedeuten Preiserhöhungen bei Wohnen, Haushaltsenergie und Nahrungsmittel unmittelbare Einschränkungen grundlegender Ausgaben. Wäre der Sozialstaat armutsfest und würden die unteren sozialen Netze eine Absicherung zumindest am Niveau der Armutsgefährdung bieten, so wären viele soziale Verwerfungen und hinkende Ad-hoc-Maßnahmen vermeidbar.

Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte steigt heuer wegen eines scharfen Rückgangs der Sparquote noch real um 3,8 Prozent, für das kommende Jahr prognostiziert das WIFO noch +1,0 Prozent.

Noch deutlich kräftigere Korrekturen gibt es bei der ausländischen Nachfrage, die vor allem auf die bereits einsetzende Rezession bei den wichtigen Handelspartnern, wie Deutschland oder Italien, zurückzuführen ist. Entsprechend steigen die Exporte 2023 kaum noch (+0,9 Prozent) und die Wertschöpfung in den exportorientierten Sektoren, wie vor allem der Industrie, sinkt deutlich. Das zeigt sich bereits jetzt in Vorlaufindikatoren wie dem WIFO-Konjunkturtest oder dem Bank Austria EinkaufsManagerIndex.

Auch Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sind vom Konjunkturabschwung betroffen. Der Zuwachs bei der Zahl der unselbständig Beschäftigten bremst sich ein und die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt 2023 bereits um 15.000 höher liegen als heuer. Insgesamt werden nächstes Jahr knapp 282.000 Menschen arbeitslos sein. Sie müssen im Durchschnitt mit einem Arbeitslosengeld auskommen, dass mehr als 300 Euro unter der Armutsgrenze liegt. Die Arbeitslosen sind die am stärksten armutsgefährdete soziale Gruppe des Landes. Ein Zustand, der eines so reichen Landes wie Österreich nicht würdig ist. Dennoch weigert sich die Bundesregierung anhaltend, das Los der Arbeitslosen zu verbessern.

Höhere Steuerleistungen der Gewinner:innen dringend notwendig

Den immer mehr werdenden Verlierer:innen des enormen Preisanstiegs stehen viele Gewinner:innen gegenüber. Die von Arbeiterkammer und ÖGB vorgeschlagene befristete Übergewinnsteuer für Energiekonzerne schöpft die kriegsbedingten Zufallsgewinne ab, die sich aufgrund der Koppelung von Gas- und Strompreisen ergeben. Die Einnahmen könnten die Anti-Teuerungsmaßnahmen des Bundes finanzieren, ohne die dringend notwendigen Investitionen in nachhaltige Energiegewinnung zu beeinträchtigen.

Der beschlossene umfassende Energiekostenzuschuss für Unternehmen und die bereits geäußerte Forderung nach mehr Zuschüssen ruft dringend nach entsprechender Gegenleistung von jenen Unternehmen, die Gewinne machen. Der wirtschaftspolitische Anstand würde erfordern, die geplante Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 Prozent auf 23 Prozent sofort zurückzunehmen. Laut WIFO-Prognose sinkt die Lohnquote von 69,2 Prozent (2019) auf 67,8 Prozent (2023). Das muss verhindert werden, indem Beschäftigung und Reallöhne steigen. Die umfangreichen Anforderungen an den Sozialstaat – etwa in der Armutsvermeidung und der Lebensstandardsicherung für die arbeitenden Menschen – erfordern eine neue Finanzierungsstruktur. Diese kann in einem Land mit einem Vermögensbestand der privaten Haushalte, der die laufenden Arbeitseinkommen um das Fünffache übersteigt, nur in progressiven Steuern auf Vermögen und Erbschaften erfolgen.

Fazit

Die Folgen des russischen Krieges in der Ukraine bremsen die internationale Konjunktur markant und zwingen viele Haushalte zur Konsumeinschränkung. Die Konjunktur befindet sich im Abschwung, viele verlieren. Demgegenüber stehen aber Gewinner:innen und Vermögende, die jetzt zur Finanzierung der staatlichen Leistungen und zur Verhinderung von Armut herangezogen werden müssen. Das Ziel: Eine Verringerung der Ungleichheit und ein gutes Leben für alle.