Ungleichheit und soziale Mobilität: Was wir aus der öffentlichen Wahrnehmung lernen können

30. März 2022

Österreich ist ein Land der Ungleichheiten. Die Vermögenskonzentration an der Spitze der Verteilung ist hoch und jüngste Studien legen nahe, dass Vermögen sogar noch stärker in den Händen weniger konzentriert sind, als bisher gedacht. Zugleich ist die soziale Mobilität und mit ihr die Chancengleichheit in der österreichischen Bevölkerung außerordentlich gering ausgeprägt. Eine Studie der OECD zeigt nun, dass diese Tatsache nicht nur Sozial- und Wirtschaftswissenschafter*innen beunruhigt, sondern auch von der Mehrheit der Bevölkerung als Problem angesehen wird.

Ungleichheit wird von der Bevölkerung als Problem gesehen

Die OECD-Studie untersucht die Wahrnehmung von sozialer und ökonomischer Ungleichheit in zahlreichen Ländern und kommt zu dem Schluss, dass die zunehmende Ungleichverteilung von Reichtum und Chancen international als großes, vor allem aber als wachsendes Problem erachtet wird. Die Ergebnisse für Österreich zeigen, dass hierzulande die Einkommensverteilung sogar als ungleicher wahrgenommen wird, als sie von konventionellen Ungleichheitsmaßen wie dem Gini-Index gezeigt wird. Auch die soziale Mobilität, also die Möglichkeit für Individuen, einen anderen sozioökonomischen Status als den ihrer Eltern zu erlangen, wird in Österreich als extrem gering eingeschätzt.

Österreicher*innen sind pessimistisch bezüglich Aufstiegschancen

Im internationalen Vergleich sind Österreicher*innen am pessimistischsten, was die Aufstiegschancen der Menschen betrifft. Die durchschnittliche wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, dass Kinder, die aus den einkommensschwächsten 10 Prozent der Haushalte stammen, in einem armen Haushalt bleiben, wenn sie erwachsen sind, liegt bei ganzen 64 Prozent und führt damit das negative Ranking an.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Woher kommt nun diese außerordentlich pessimistische Perspektive auf soziale Ungleichheit in Österreich? Eine genauere Betrachtung der Sachlage deutet darauf hin, dass diese Sicht wohl der Realität gerecht wird: So zeigen Untersuchungen zur Vermögensverteilung, dass die ökonomische Ungleichheit in Österreich überdurchschnittlich ausgeprägt ist. Das reichste 1 Prozent der Haushalte besitzt mehr als 40 Prozent des gesamten österreichischen Nettovermögens, wohingegen die ärmere Hälfte nur 2,5 Prozent besitzt. Daraus folgt auch, dass Kapitaleinkommen wie Dividenden und Zinserträge an der Spitze konzentriert sind: 90 Prozent der Vermögenseinkommen gehen in Österreich an die Top-10-Prozent.

Bildung wird in Österreich vererbt

Die Studie zeigt außerdem, dass hierzulande 30 Prozent der Menschen es als sehr wichtig ansehen, einen wohlhabenden Familienhintergrund zu haben, um im Leben voranzukommen. Damit ist Österreich unter den Top-10 der europäischen Länder, in denen das Vertrauen in die Ausgleichsfunktion sozialer Institutionen wie dem Bildungssystem besonders gering ausgeprägt ist. Fakt ist: Bildung wird in Österreich tatsächlich überdurchschnittlich stark vererbt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Besonders die Berufsausbildung ist in Österreich für die intergenerationelle Persistenz von besonderer Bedeutung: 60 bis 65 Prozent der Eltern mit Berufsbildungsabschluss geben den Abschluss an ihre Kinder weiter. Zwar ist das für die sozioökonomische Absicherung der Kinder nicht per se problematisch, da Berufsbildungsabschlüsse in Österreich zumindest für Männer verhältnismäßig hohe Einkommen ermöglichen. Allerdings wird damit die Wahrnehmung gefestigt, dass Menschen in Österreich aus eigenem Antrieb kaum im Leben vorankommen und ihre persönlichen Ziele erreichen können. Diese Wahrnehmung wird auch von Indikatoren zur sozialen Mobilität bestätigt: Durchschnittlich dauert es fünf (hypothetische) Generationen, bis ein Kind aus den einkommensschwächsten 10 Prozent der Haushalte das Durchschnittseinkommen erreicht.

Umverteilung und Aufstiegschancen gehören zusammen!

Um den Zusammenhang von Verteilungsgerechtigkeit und sozialer Mobilität zu verstehen, hilft eine gesonderte Betrachtung von Ergebnis- und Chancen(un)gleichheit. Während Erstere die Resultate von Marktmechanismen und sozialen Institutionen wie z. B. Einkommen und Vermögen umfasst, betrifft Letztere die Verteilung von Möglichkeiten, die Individuen offenstehen, z. B. einen Bildungsabschluss zu erlangen oder einen Beruf zu ergreifen. Beide Dimensionen sind für die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit ausschlaggebend, jedoch sind sie nicht unabhängig voneinander: Das Ergebnis von heute – z. B. die Einkommenssituation eines Haushaltes – definiert auch die Chancen von morgen – z. B. die Bildungsmöglichkeiten der Kinder. Eine Politik, die soziale Ungleichheit bekämpfen und soziale Mobilität fördern soll, erfordert also eine Berücksichtigung beider (Un)gleichheitsdimensionen. Das bedeutet konkret, dass Einkommens- und Vermögensumverteilung gemeinsam mit einer massiven Verbesserung der Aufstiegschancen im Bildungssystem als effektive Lösung zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Angriff genommen werden muss. Maßnahmen, die beide Dimensionen der Ungleichheit adressieren, ergänzen sich dabei sehr gut:

  • der Ausbau von kostenlosen Kinderbetreuungsplätzen, vor allem in ländlichen Regionen, ganztägig und -jährig,
  • eine flächendeckende Umsetzung einer bedarfsorientierten Schulfinanzierung, in der Schulen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf besonders berücksichtigt werden,
  • die Sicherung der Lehre als hochwertige und solide Grundausbildung,
  • eine Abschaffung aller Studiengebühren sowie eine signifikante Erhöhung und Ausweitung des Bezieher*innenkreises der Studienbeihilfe sowie der Selbsterhalterstipendien,
  • eine flächendeckende finanzielle Unterstützung für berufliche Aus- und Weiterbildungen,
  • eine Finanzierung dieser Maßnahmen durch eine Besteuerung von Millionenvermögen und Erbschaften ab einer Million Euro.

Diese fördern den sozialen Ausgleich und mindern soziale Segregation, machen höhere Bildung auch jenen Menschen zugänglich, denen sie aus finanziellen Gründen verwehrt blieb, ermöglichen auch Erwachsenen, neue Bildungs- und Lebenswege einzuschlagen, und adressieren zugleich die exorbitante Vermögensungleichheit. Eine Verbesserung der Aufstiegschancen im Bildungsbereich und eine Reduktion ökonomischer Ungleichheit sind gemeinsam die notwendige Bedingung für Chancengerechtigkeit für alle Menschen.

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