Ungerechte Sozialhilfe für Kinder verschärft Armut und fördert Ungleichheit

16. Februar 2023

Kinderarmut ist in Österreich weit verbreitet. Aktuell sind rund 320.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Vor allem Familien mit mehr als drei Kindern und Alleinerziehende sind davon stark betroffen. Ihre Lage wird aufgrund der massiv hohen Teuerung noch verschärft. Das Familieneinkommen reicht nicht aus, um die notwendigen Ausgaben zu bestreiten. Die österreichweit unterschiedlich hohe Sozialhilfe für Kinder versagt, denn sie ist zu gering, verschärft Armutslagen, erhöht Ungleichheiten und gehört daher saniert.

Kinderarmut ist weit verbreitet und im Ansteigen

Im Jahr 2012 waren rund 304.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. 2021 waren es bereits rund 320.000 junge Menschen, also um 16.000 mehr. Somit ist jedes fünfte Kind laut Statistik Austria einkommensarm. Die Sozialhilfe der Länder lindert Armut jedoch nur unzureichend. Die durchschnittliche Richtsatzhöhe für das erste Kind liegt österreichweit bei rund 230 Euro pro Monat. Damit können die monatlichen Ausgaben für ein Kind kaum abgedeckt werden.

Laut Referenzbudget betragen die monatlichen Ausgaben pro Kind 800 Euro

Ein Richtmaß zur Darstellung dieser hohen Ausgabenbelastung von armutsbetroffenen Haushalten liefert das sogenannte Referenzbudget. Im Rahmen dieses Budgets wird erhoben, wie viel Einkommen für eine Familie zur Verfügung stehen müsste, um ein angemessenes Leben führen zu können. Laut diesem Referenzbudget der Schuldnerberatung entstehen für Kinder Ausgaben in Höhe von etwa 800 Euro pro Monat. Die (angemessenen) Ausgaben für Kinder sind also viel höher als die Sozialhilfe der Länder. Der Sozialstaat sollte daher in diesem Bereich vermehrt aktiv werden, um die Situation dieser Familien bzw. der Kinder zu verbessern.

Wien macht es vor: Eine hohe Sozialhilfe für alle Kinder ist machbar!

In Wien erhält jedes Kind Sozialhilfe in Höhe von (bis zu) rund 284 Euro monatlich, in Oberösterreich erhält man als fünftes Kind lediglich rund 126 Euro im Monat. Die Hauptursache des Wildwuchses an Leistungshöhen in den Bundesländern liegt im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes. Da die ursprüngliche Regelung, die damals von der türkis-blauen Bundesregierung implementiert wurde, vom Höchstgericht als verfassungswidrig behoben wurde, exisitiert aktuell ein Wirrwarr an Regelungen. Diese Nicht-Regelung des Bundes führt jedoch dazu, dass die Bundesländer sehr unterschiedliche Unterstützungsleistungen im Bereich der Sozialhilfe für minderjährige Kinder zur Verfügung stellen.

Vor allem Oberösterreich und Niederösterreich gewähren sehr stark absinkende Leistungen für Kinder. Beide Bundesländer gestatten für das erste Kind zwar 25 Prozent des Nettoausgleichszulagenrichtsatzes (NAZ) für Alleinstehende, das entspricht 263 Euro monatlich, ab dem fünften Kind jedoch lediglich zwölf Prozent bzw. 126 Euro. Im Gegensatz dazu hat beispielsweise Wien eine viel höhere Sozialhilfe für Kinder. Sie liegt bei rund 284 Euro bzw. 27 Prozent des NAZ. Salzburg gewährt allen Kindern eine Sozialhilfe in Höhe von 25 Prozent des NAZ (inkl. Wohnbedarf). Niedriger, aber konstant sind die Leistungen in Kärnten (21 Prozent des NAZ pro Kind) und im Burgenland (19,2 Prozent des NAZ pro Kind). Neben Oberösterreich und Niederösterreich haben die Steiermark, Tirol und Vorarlberg degressiv gestaltete Kinderrichtsätze. Diese Sozialhilfe-Richtsätze für Kinder können sogar noch weiter verringert werden, wenn z. B. Unterhaltsleistungen erhalten werden oder andere „anrechenbare“ Einkommen (ausgenommen die Familienbeihilfe etc.) vorliegen.

Sozialhilfe (Mindestsicherung) für Kinder – Kinderrichtsätze 2023

in Prozent des Nettoausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende*

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Familien bekommen in Oberösterreich und Niederösterreich geringere Unterstützung

Familien mit mehreren Kindern werden in keinem anderen Bundesland so stark benachteiligt wie in Oberösterreich und Niederösterreich. Bereits ab dem zweiten Kind in einem Haushalt zeigt sich die negative Wirkung von stark degressiven Kinderrichtsätzen. In Niederösterreich und Oberösterreich sinkt die Höhe der Sozialhilfe für ein Paar mit zwei Kindern um rund 250 Euro pro Monat im Vergleich zu Wien. Auch das Burgenland mit einem konstant hohen Kinderrichtsatz unterstützt betroffene Familien mit monatlich rund 80 Euro mehr als Oberösterreich oder Niederösterreich. Bei Mehrkindfamilien machen sich die Benachteiligungen dieser degressiven Richtsätze noch deutlicher bemerkbar. So erhält ein Paar mit drei Kindern in Wien rund 2.430 Euro pro Monat, in Oberösterreich lediglich 1.950 Euro. Mehrkindfamilien mit drei Kindern verlieren in Oberösterreich also beinahe 480 Euro monatlich verglichen mit Familien in Wien. Diese Differenz steigt mit jedem weiteren Kind im Haushalt spürbar an, bei vier Kindern auf bereits knapp über 700 Euro! Die Familien in Oberösterreich und Niederösterreich haben somit viel weniger zur Verfügung als Familien in Wien.

Darüber hinaus liegen alle derzeitigen Sozialhilfe-Richtsatzhöhen für Paare mit zwei bzw. drei Kindern österreichweit unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle. Diese beträgt laut EU-SILC 2021 für zwei Erwachsene mit zwei Kindern 2.880 Euro pro Monat und mit drei Kindern 3.291 Euro.

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In den Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg wird ein zusätzlicher Wohnbedarf je nach Region gewährt. Es besteht eine eigene Systematik bei der Bemessung des Lebensunterhalts. Deshalb liegen diese Bundesländer auch an der Spitze des Ländervergleichs.

Die Hälfte der sozialhilfebeziehenden Paare mit Kindern sind Mehrkindfamilien

Der Bezieher:innenanteil, der von den Nachteilen dieser degressiven Richtsätze betroffen ist, ist sehr hoch. Im Jahr 2021 bezogen in Österreich laut Statistik Austria im Durchschnitt rund 14.200 Paare mit minderjährigen Kindern Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung. Davon waren etwas mehr als die Hälfte Familien mit drei oder mehr Kindern, bei den rund 16.000 Alleinerziehenden-Haushalten waren es etwa ein Fünftel. Unter diesen Sozialhilfebeziehenden sind somit verhältnismäßig viele Mehrkindfamilien vertreten, was die Entscheidung für degressive Richtsätze mancher Bundesländer erst recht problematisch macht.

Armutsfeste Sozialhilfe gerade für Kinder unabdingbar!

70.600 Kinder, mehr als zwei Drittel in Wien, waren in Österreich 2021 im Jahresdurchschnitt auf Sozialhilfe angewiesen. Es braucht also dringend eine umfassende und armutsfeste Reform – österreichweit.

Die niedrige und uneinheitliche Sozialhilfe für Kinder ist einer von vielen Punkten, die im Rahmen der Sozialhilfe zu sanieren ist. Vor allem degressive Kinderrichtsätze schaffen deutliche Benachteiligungen für Mehrkindfamilien und forcieren Kinderarmut. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, österreichweit einheitliche und armutsfeste Leistungen für Kinder zu implementieren. Zumindest eine armutsfeste Sozialhilfe für alle Kinder in der Höhe von 27 Prozent des NAZ wäre notwendig.

Darüber hinaus ist eine generelle, für alle Bundesländer geltende Reform der Sozialhilfe angesichts von multiplen Krisen, wie etwa der Teuerung, der Klimakrise bzw. der sozial-ökologischen Transformation, der strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt uvm., wünschenswert. Notwendig sind eine neue Bewertung des Wohnbedarfs in Verbindung mit einer Nicht-Anrechnung der Wohnbeihilfe, Verbesserungen bei der Verfahrensdauer bzw. bei der Gewährung von „Soforthilfe“ und natürlich eine generelle Heranführung der Leistungshöhe an die Armutsgefährdungsschwelle.

An den bestehenden Regelungen ist eines sichtbar geworden: Mit der neuen Sozialhilfe und den aktuellen Kinderrichtsätzen der Bundesländer sind wir in Österreich von einer gerechten sozialen Unterstützung leider noch weit entfernt.

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