Ende Jänner mussten in den Landtagen in Ober- und Niederösterreich die neuen Sozialhilfeausführungsgesetze wieder reformiert werden, da der Verfassungsgerichtshof zentrale Regelungen („Arbeitsqualifizierungsbonus“, „Kinderrichtsätze“) der neuen Sozialhilfe als verfassungswidrig behoben hatte. Die neue Regelung für Kinder ist jedoch fast ident und schreibt den türkis-blauen Kurs fort.
Die Bundesländer Oberösterreich und Niederösterreichmussten vor allem neue „Kinderrichtsätze“ verankern. Die neuen Vorgaben entsprechenjedoch fast der behobenen Norm. Sie sehen wiederum geringere Leistungen fürMehrkindfamilien vor. Sowohl rechtlich als auch sozialpolitisch ist diese neueRegelung völlig unverständlich. Sie verschärft Kinderarmut vor allem in jenen Familien,die bereits jetzt ein sehr hohes Armutsrisiko aufweisen.
Verfassungsgerichtshofkippte zentrale Regelungen der neuen Sozialhilfe
Am 1. Juni 2019 trat das sogenannte „Sozialhilfe-Grundsatzgesetz“ der abgesetzten türkis-blauen Bundesregierung in Kraft. Als zentrale Regelung war u. a. ein „Arbeitsqualifizierungsbonus“ vorgesehen. Dieser „Bonus“ verringerte die Sozialhilfe-Leistung für Personen (Abzug von 35 Prozent der Regelleistung), die als nicht vermittelbar (u. a. wegen zu geringer Deutsch- oder Englischkenntnisse, Qualifizierung etc.) galten. Des Weiteren war eine stark degressiv ausgestaltete Staffelung der Höchstleistungen für Kinder vorgesehen. Für das erste Kind waren 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende, für das zweite Kind 15 Prozent und ab dem dritten Kind lediglich 5 Prozent pro Kind angedacht. Das Höchstgericht hatte beide Regelungen Mitte Dezember als verfassungswidrig behoben.
Der Verfassungsgerichtshof sahinsbesondere im Höchstsatzsystem für Kinder eine sachlich nicht gerechtfertigteund daher verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien.„Insbesondere kann diese Regelung dazu führen, dass der notwendigeLebensunterhalt bei Mehrkindfamilien nicht mehr gewährleistet ist, so derGerichtshof.“ Bei dieser Regelung wäre somit ab dem dritten Kind nur mehr einBetrag von rund 46 Euro pro Kind im Monat geplant gewesen.
OÖund NÖ führen „alte“ Regelung für Kinder in adaptierter Form wieder ein
Da Oberösterreich und Niederösterreich als einzige Bundesländer die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zum „Sozialhilfe-Grundsatzgesetz“ (SH-GG) nicht abgewartet hatten und bereits im Sommer bzw. Herbst 2019 die laut Grundsatzgesetz (gem. Artikel 12 Abs. 1 Z 1 B-VG) notwendigen Ausführungsgesetze erarbeitet hatten, hatten beide Bundesländer frühzeitig einen Änderungsbedarf. Sie enthielten nämlich die verfassungswidrigen Normen des Grundsatzgesetzes. Somit wurden Ende Jänner 2020 in Oberösterreich und Niederösterreich in den jeweiligen Landtagen Sozialhilfe-Novellen beschlossen. Einerseits wurden die Regelungen im Hinblick auf den „Arbeitsqualifizierungsbonus“ aufgehoben, andererseits eine neue Staffelung der Kinderleistungen implementiert. Diese sind in OÖ und in NÖ ident.
Bei bedürftigen Familien ist nun fürdas erste Kind ein Betrag von 25 % des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes (=917,35 im Jahr 2020), bei zwei Kindern 20 % pro Kind (also insgesamt 40 %), beidrei Kindern 15 % pro Kind (insgesamt 45 %), bei vier Kindern 12,5 % (gesamtalso 50 %) pro Kind und ab fünf Kindern 12 % pro Kind (in Summe 60 % derRegelleistung bei fünf Kindern) vorgesehen.
Im Vergleich zur alten, rechtswidrigenRegelung (ein Kind: 25 %, zwei Kinder: 40 %, drei Kinder: 45 %, vier Kinder: 50% und bei fünf Kindern 55 % der Regelleistung) erfolgt im neuen Modell nur einegeringfügige Adaption. Der prozentuelleGesamtbetrag erhöht sich bei fünf Kindern um fünf Prozentpunkte. Ob dieseminimale Erhöhung bzw. ein Ansteigen der geringsten Kinderleistung von 5 auf 12% pro Kind tatsächlich ausreichend ist, wird vermutlich abermals vomHöchstgericht geklärt werden müssen.
Tatsache ist jedoch, dass Familien mit mehr Kindern ab einer bestimmten Kinderanzahl wesentlich weniger Sozialhilfe pro Kind erhalten werden. Beispielsweise erhalten Haushalte mit drei Kindern eine um 40 % geringere Leistung pro Kind. Sie bekommen pro Kind um rund 90 Euro weniger, also 138 Euro statt 229 Euro an Regelleistung. Grundsätzlich können natürlich mit steigender Anzahl an Kindern bestimmte „Synergieeffekte“, z. B. gemeinsame Nutzung von Hausrat etc. im Haushalt, genutzt werden. Ein so starkes Absinken der monetären Leistungen bei mehreren Kindern ist jedoch dadurch nicht begründbar.