Die Regierung plant im Zuge der Steuerreform auch eine Entlastung von Geringverdienenden. Laut Ministerratsvortrag vom 11.01.2019 soll dies durch eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge erfolgen. Dabei sollen die Einnahmenausfälle der Krankenkassen aus dem Bundesbudget ersetzt werden. Doch ist eine Beitragssenkung die einzige und beste Variante oder gibt es eine bessere Option zur Entlastung von Geringverdienenden? Und garantiert ein Ersatz der Einnahmenausfälle tatsächlich, dass perspektivisch keine Leistungen gekürzt werden müssen?
Die Senkung der Krankenversicherung schwächt in erster Linie die Krankenkassen
Die Finanzierung des Gemeinwesens kann einerseits über Steuern und Abgaben, d. h. in der Regel durch das allgemeine Budget, und andererseits über Sozialversicherungsbeiträge erfolgen, die direkt von den selbstverwalteten Trägern verwaltet werden. Daraus ergibt sich auch der wesentliche politische Unterschied: Während das allgemeine Budget eine Form von in Zahlen gegossener Politik darstellt, sind die unabhängig finanzierten Sozialversicherungsträger nicht von der Budgetzuteilung durch den Bund, und damit dem Willen des Finanzministeriums, abhängig.
Mit der Einrichtung einer Selbstverwaltung wird also die Steuerung demokratisiert. Gerade bei sensiblen Bereichen, wie Gesundheit und Altersversorgung, ist es besonders wichtig, eine unabhängige Finanzierung zu gewährleisten. Es liegt auf der Hand, dass ein regionales und unabhängiges, aus der Mitte der Versicherten besetztes Gremium besser weiß, wo eine neue Arztpraxis Sinn macht und ob ein neues Röntgengerät angeschafft werden soll. Eine zentrale Steuerung aus einen Ministerium – auch hinsichtlich der Finanzierung – würde die Entscheidungswege deutlich verlängern.
Eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge bei gleichzeitigem Ersatz des Einnahmenausfalls aus dem Steuerbudget ist ein erster großer Schritt weg von der Selbstverwaltung hin zur Steuerfinanzierung der Gesundheitsversorgung. Letztlich wird nicht mehr allein die Versichertengemeinschaft entscheiden, welche Leistungen erbracht werden, sondern auch jene, die die Steuermittel bereitstellen: also die Finanzministerin bzw. der Finanzminister.
Auch garantiert der Ersatz der Einnahmenausfälle nicht, dass in Zukunft keine Leistungskürzungen stattfinden. Vielmehr bedeutet das Versprechen, dass die Ausfälle der Beitragssenkung kompensiert werden, dass die Sozialversicherungsträger regelmäßig über die Höhe der Kompensation mit dem Finanzministerium verhandeln müssen. In Zeiten von knappen Budgets ist folglich das Szenario durchaus denkbar, dass die Ausfälle nicht oder nicht in vollem Ausmaß ersetzt werden, und damit einhergehend sind Leistungskürzungen sehr wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang darf beispielsweise auf die laufenden Debatten im Vereinten Königreich verwiesen werden. Dort wird die Gesundheitsversorgung im Rahmen des National Health Service (NHS) erbracht, der durch etwa 100 steuerfinanzierte Fonds getragen wird. Früher bestanden z. B. Weisungen, wonach Hüftoperationen ab einem bestimmten Alter wegen „Unwirtschaftlichkeit“ nicht durchgeführt werden.
Bei der bestehenden Rechtslage führt eine abgestufte Beitragssenkung zu Ungleichbehandlungen
Die Bundesregierung hat medienöffentlich eine Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge zur Entlastung von Geringverdienenden in Aussicht gestellt. Was auf den ersten Blick schlüssig klingt, wirft jedoch eine Vielzahl von Fragen auf und bringt vor allem schwerwiegende Probleme mit sich.
Es sind zwar noch keine Details zur konkreten Ausgestaltung des Modells bekannt, doch darf davon ausgegangen werden, dass sich die Senkung des Krankenversicherungsbeitrags an dem Modell der Arbeitslosenversicherung orientiert. Diese wurde für Geringverdienende bereits 2008 gesenkt. Hierbei entfällt der Arbeitslosenversicherungsbeitrag, abgestuft bis zur Höhe bestimmter Einkommen. Bei den betreffenden Einkommensgrenzen handelt es sich um Freigrenzen, was dazu führt, dass auch bei geringfügigem Überschreiten der höhere Beitragssatz zur Anwendung kommt.
Folglich existieren an den Grenzen extrem hohe Grenzabgaben. Tatsächlich ist es möglich, bei geringen Gehaltssteigerungen netto sogar weniger zu erhalten als vor der Erhöhung. Es ist naheliegend, dass derartige Effekte einen negativen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit bewirken. Wird letztlich auch im Bereich der Krankenversicherung ein gleich gelagertes Modell implementiert, werden diese negativen Effekte noch weiter verschärft.
Zudem gibt es in der Sozialversicherung – und auch der Arbeitslosenversicherung – kein Veranlagungssystem wie im Bereich der Einkommensteuer. Übt eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeitnehmer zwei oder mehrere Dienstverhältnisse parallel aus, so ist anhand des jeweiligen Bezugs zu beurteilen, wie hoch der Beitragssatz ist. Bei einem einheitlichen Krankenversicherungsbeitragssatz stellt dies bei mehrfach Vollversicherten kein Problem dar. Bei einer potenziellen Einführung eines Stufenmodells entstünde jedoch im derzeitigen System eine Ungleichbehandlung von Abgabepflichtigen mit gleichem Einkommen.
Dies kann auch anhand der bestehenden Arbeitslosenversicherungsreduktion illustriert werden. ArbeitnehmerInnen, die z. B. zwei Dienstverhältnisse mit je 1.000 Euro ausüben, bezahlen keinen Arbeitslosenversicherungsbeitrag, obwohl bei einem Gesamtbezug von 2.000 Euro der volle Beitragssatz gelten würde. ArbeitnehmerInnen mit gleichem Gesamteinkommen von 2.000 Euro aus nur einem Dienstverhältnis wiederum müssen den vollen Arbeitslosenversicherungsbeitrag leisten. Das sind im Bereich der Arbeitslosenversicherung immerhin 60 Euro monatlich. Wird in der Krankenversicherung das gleiche Modell eingeführt, würde diese Ungleichbehandlung ein bedenkliches Ausmaß annehmen, weshalb auch in der Sozialversicherung, ähnlich wie bei der Einkommensteuer, eine Veranlagung einzuführen ist. Eine solche bedeutet aber letztlich auch, dass ArbeitnehmerInnen mit mehreren Dienstverhältnissen mit jährlichen Nachzahlungen konfrontiert sein werden.
Auch stellen sich zahlreiche konkrete Vollziehungsfragen. Es tritt sofort die wesentliche Rechtsfrage auf, wie zwischen den einzelnen Sozialversicherungsgesetzen zu kumulieren wäre. Derzeit ist es so, dass, wenn in einem Sozialversicherungsgesetz (z. B. ASVG) über der Versicherungsgrenze gearbeitet wird, eine Vollversicherung eintritt (Pflichtversicherung). Arbeitet die gleiche Person im gleichen Zeitraum aber im Anwendungsbereich eines anderen Sozialversicherungsgesetzes (z. B. GSVG) und bleibt dort unter der Versicherungsgrenze, entsteht in dem anderen Gesetz keine Vollversicherung. Insgesamt ist bei einer – notwendigen – Einführung einer Veranlagung auch sicherzustellen, dass eine Kumulierung auch über den Anwendungsbereich eines einzelnen Sozialversicherungsgesetzes erfolgen kann. Andernfalls entstünde eine Situation, in der eine Person mit mehreren kleinen ASVG-Dienstverhältnissen Beiträge nachzahlen müsste und jemand, der nebenher selbstständig arbeitet, nicht.
Sozialversicherungsträger und PersonalverrechnerInnen werden vor zusätzliche Herausforderungen gestellt
Im Zusammenhang mit der Krankenanstaltenfinanzierung hängt der Kostenbeitrag der Sozialversicherungsträger auch an den Beitragseinnahmen. Eine Verletzung der Artikel-15a-Vereinbarungen bzw. Auslösen des Konsultationsmechanismus sind nicht auszuschließen. Auch der Gesamtvertrag (das Ärztehonorar) und dessen Erhöhung ist an das Beitragsgrundlagenwachstum gebunden. Ein Konflikt mit der Ärztekammer wäre vorprogrammiert.
Es ist aus heutiger Sicht vermutlich sehr schwer möglich, eine Beitragssenkung der Krankenversicherung mit 1. Jänner 2020 wirksam im Melde-, Versicherungs- und Beitragswesen abzubilden. Dies würde einerseits die Software-DienstleisterInnen der Personalverrechnung, andererseits die Softwareschnittstellen der Sozialversicherung selbst betreffen. Für eine allfällige Umsetzung wäre ein längerer Change-Prozess nötig. Selbst ein Start mit 1. Jänner 2021 ist unwahrscheinlich (da umfassende Testungen notwendig wären). Zudem sind massiv Ressourcen gebunden, weil derzeit die Umstellung auf die monatliche Beitragsgrundlagenmeldung noch verarbeitet wird und die Fusion der Träger (SV-OG) Ressourcen benötigt (9 GKK zu ÖGK; SVA und SVB zu SVS, BVA und VAEB zu BVAEB; Umschichtungen in AUVA und PVA).
Auch muss auf die Personalverrechnung selbst hingewiesen werden. Das Credo der Regierung ist, diese zu vereinfachen, was tatsächlich dringend notwendig wäre. Allerdings würde eine Einführung von weiteren Freigrenzen, die bei der laufenden Lohn- bzw. Gehaltsauszahlung zu berücksichtigen sind, genau das Gegenteil einer Vereinfachung sein. Eine Entlastung in vielen Stufen, die sich eventuell noch nicht einmal an den bestehenden Grenzen der Arbeitslosenversicherung orientieren, muss in zahlreichen Verrechnungsgruppen abgebildet werden. Zudem würden bei Nachzahlungen, z. B. durch die nachträgliche Auszahlung von Überstunden, komplizierte Aufrollungen notwendig werden.
Eine Entlastung besser über bereits bestehende Instrumente möglich
Es ist unklar, wer in den Augen der Regierung als GeringverdienerIn gilt, doch wird oft die Steuergrenze genannt (ca. 1.260 Euro brutto monatlich), bis zu der entlastet werden soll. Doch selbst wenn letztlich eine andere Grenze gemeint ist, bietet das Einkommensteuergesetz bereits jetzt ein Entlastungsinstrument: nämlich die Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 33 Abs. 8 EStG – vulgo Negativsteuer. Hierbei werden bereits derzeit 50 Prozent der Kranken-, Pensions- und allfälligen Arbeitslosenversicherungsbeiträge, maximal 400 Euro jährlich, rückerstattet. Die Rückerstattung erfolgt durch die ArbeitnehmerInnenveranlagung (ANV) durch das Finanzamt, wobei der Einnahmenausfall direkt vom Bundesbudget getragen wird und folglich keine Einnahmenkürzung der Sozialversicherungsträger bedeutet.
Es wäre naheliegend, eine Entlastung für Geringverdienende über das bestehende System vorzunehmen. Abgesehen davon, dass die Beitragssouveränität und Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger unberührt bleibt, werden auch oben beschriebene Schwierigkeiten vermieden. Einerseits erfolgt bereits eine Veranlagung anhand des Gesamteinkommens, weshalb Ungleichheiten bei mehreren Dienstverhältnissen bzw. die Anwendung verschiedener Sozialversicherungsgesetze nicht auftreten können. Weiters wird die Grenzabgabenproblematik bei Überschreiten bestimmter Einkommensgrenzen verhindert.
Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Entlastung mit einer Rückerstattung über die Steuerveranlagung viel treffsicherer erfolgen kann. Wird der Beitragssatz pauschal reduziert, so wird bis zur definierten Einkommensgrenze prozentual gleich entlastet, was folglich bedeutet, dass sich mit steigendem Einkommen die absolute Entlastung erhöht. Eine Rückerstattung der Beiträge über das Steuersystem hingegen kann so ausgestaltet werden, dass ein bestimmter Einkommensbereich zielgerichtet davon profitiert. So kann bei Beibehaltung des Rückerstattungssatzes von 50 Prozent und Erhöhung des erstattbaren Maximalbetrags letztlich bei sehr geringen Einkommen (knapp über der Geringfügigkeitsgrenze) die Grenzabgabenbelastung deutlich stärker reduziert werden als bei einer Senkung der Krankenversicherungsbeiträge. Somit können auch konkrete Anreize gesetzt werden, die Arbeitszeit auszudehnen, was bei einer stufenweisen Beitragsreduktion aufgrund der Sprungstellenproblematik genau genommen sogar verhindert wird.
Die Beitragssenkung dient folglich primär dazu, Einfluss zu gewinnen und nur am Rande der Entlastung von Geringverdienenden
Zusammenfassend bleibt daher festzustellen, dass es bei der Senkung der Krankenversicherungsbeiträge nicht vorrangig darum geht, Geringverdienende zu entlasten. Dafür bestünden bereits Instrumente, die eine zielgerichtete Entlastung ohne bürokratischen Mehraufwand ermöglichen. Statt diese auszubauen, hat sich die Regierung jedoch ganz bewusst dafür entschieden, die Einnahmen der Krankenkassen zu reduzieren. Durch die teilweise Steuerfinanzierung gewinnt sie letztlich Einfluss, womit auch die Selbstverwaltung durch die Versichertengemeinschaft geschwächt würde.