Öffentliches Vermögen in Österreich enorm – und Grundlage für ein gutes Leben der vielen

02. Dezember 2021

Ob Spitäler für die Gesundheitsversorgung, Schulen zur Wissensvermittlung, Parks für Spiel und Erholung, öffentliche Verkehrsmittel für klimafreundliche Mobilität – öffentliches Vermögen ermöglicht die soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand und ist die materielle Grundlage für das Wohlergehen der vielen. Es übersteigt in Österreich nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch das private Vermögen der „unteren“ 90 Prozent. Das öffentliche Vermögen auszuweiten und klimafit zu gestalten, erfordert mehr öffentliche Investitionen, vom Bund bis zu den Gemeinden – auch fremdfinanziert.

Öffentliches Vermögen: Zugang für alle und Platz der Begegnung

Spitäler, Bildungseinrichtungen, Sportstätten, Parks, Wälder und Seen, Verkehrswege, die Bahn, Museen, Wasser, Müllplätze, Energieversorger, Gemeindebauten, Bäder, Kinderspielplätze usw. sind zentral für Wohlstand und Wohlergehen. Sie sind in Österreich großteils öffentliches Vermögen, das in der Regel allen zugänglich ist. Würde all das nur privat organisiert und finanziert werden, wäre das Angebot nicht nur kleiner, sondern auch teurer und für viele nicht oder nur schwer leistbar. Die Gesellschaft wäre ärmer an Orten der Begegnung, die nicht sozial selektieren.

Private Vermögen, öffentliche Schulden?

Der Ausbau öffentlichen Vermögens kann einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen leisten, allen voran durch öffentliche Investitionen. Damit kann auch ein Ausgleich zur privaten Vermögenskonzentration geschaffen werden. Je größer das öffentliche Vermögen (und die soziale Absicherung), desto weniger ist man auf eigenes Vermögen angewiesen, um gut leben zu können. Ein offensichtliches Beispiel sind Gemeindebauten, denn die Möglichkeit, günstig hochwertigen Wohnraum zu mieten, macht Immobilienvermögen obsolet.

In den letzten Jahrzehnten nahm der öffentliche Anteil am Gesamtvermögen ab. So schätzt der französische Ökonom Thomas Piketty, dass das öffentliche Nettovermögen (also abzüglich Schulden) in den großen Ländern Europas seit den 1970er Jahren auf zuletzt nur mehr knapp positive Werte zurückging, während die privaten Vermögen auf mittlerweile das Sechsfache des BIP angestiegen sind. Das liegt an den geringen öffentlichen Investitionen und an der Privatisierung öffentlichen Eigentums ab den 1980ern. Damit ging eine Verschiebung der Vermögenseinkommen einher, verstärkt durch die höheren Renditen privater Vermögen bei gleichzeitiger Senkung deren Steuerlast.

Trotz der großen Bedeutung öffentlichen Vermögens dominiert in der öffentlichen Debatte die andere Seite der Bilanz: die öffentliche Verschuldung. Dabei ist gerade für die vielzitierten künftigen Generationen die Ausweitung ihrer Möglichkeiten etwa durch bessere Bildung oder die Abwehr der Klimakatastrophe entscheidend – vor allem angesichts von Neuverschuldungskosten nahe null.

Wie groß ist das öffentliche Vermögen in Österreich?

Einer der Gründe für die geringe Aufmerksamkeit für das öffentliche Vermögen war die lange Zeit schlechte Datenlage. Während die Maastricht-Schulden zeitnahe jedes Quartal veröffentlicht werden, gab es für das Vermögen des Staatssektors lediglich (zeitlich verzögerte) Jahresdaten der Statistik Austria für einzelne Komponenten:

  • Der „produzierte“ Teil des Sachvermögens (entspricht in etwa dem Sachanlagevermögen einer Unternehmensbilanz) wie beispielsweise Amtsgebäude, Maschinen, Gemeindebauten oder geistiges Eigentum. Der Wert dieser Infrastruktur belief sich 2020 auf 238 Mrd. Euro netto (also nach Abzug der Abschreibungen).
  • Das nicht produzierte Anlagevermögen, also Grund und Boden (78 Mrd. Euro, letztverfügbarer Wert 2018) sowie natürliche Ressourcen wie Wald und Wasser.
  • Das Finanzvermögen betrug 2020 etwa 192 Mrd. Euro. Wichtigste Einzelposition sind die öffentlichen Beteiligungen an Unternehmen und Fonds, gefolgt von vergebenen Krediten und Einlagen.

Diese Teile werden allerdings nicht in einer Art konsolidierten Bilanz des öffentlichen Sektors zu einem Gesamtwert zusammengezählt. Dieser ergäbe eine Summe von 508,5 Mrd. Euro (134 Prozent des BIP). Zum Vergleich: 2017 betrug das private Bruttovermögen der vielen – definiert mit allen Einwohner:innen exklusive der oberen 10 Prozent – gemäß OeNB-Erhebungsdaten 484 Mrd. Euro.

Erste Erkenntnisse aus den neuen Bilanzen der Gebietskörperschaften

Die Datenlücke durch fehlende öffentliche Bilanzen wurde nun großteils geschlossen. Seit 2013 gibt es für den Bund eine eigene Vermögensrechnung (Bundesvermögen Ende 2019: 104 Mrd. Euro). Eine Reform der Länder- und Gemeindehaushalte folgte 2015 – allerdings mit einer Übergangsfrist bis zum Vorjahr. Nun liegen erstmals Vermögensbilanzen für alle Gebietskörperschaften vor. Eine Gesamtaufstellung fehlt derzeit, doch nach eigener Auswertung der größten Gebietskörperschaften kommen die Länder (inkl. Wien) auf eine Bilanzsumme von 91 Mrd. Euro und die Landeshauptstädte (ohne Wien) auf weitere 15 Mrd. Euro (alle Werte Ende 2019).

Wenngleich in den Bilanzen der Gebietskörperschaften die Sozialversicherung, die Kammern sowie einige Beteiligungen und nicht bewertete Vermögensteile fehlen und eher konservativ bewertet wurde, so ist das ausgewiesene öffentliche Gesamtvermögen doch beträchtlich. Folgende Grafik stellt das Bundes-, Bundesländer- und Gemeindevermögen je Einwohner:in in den Landeshauptstädten dar:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Das öffentliche Vermögen je Einwohner:in einer Landeshauptstadt summiert sich auf knapp 30.000 Euro (gewichteter Durchschnitt). Knapp die Hälfte entfällt auf Sachanlagen und ein Viertel auf Beteiligungsvermögen, wobei Letzteres größere Unterschiede zwischen den Städten und Bundesländern aufweist. An der Spitze liegen Innsbrucker:innen mit knapp 46.000 Euro pro Kopf, am Ende Wiener:innen mit knapp 27.000 Euro.

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Vieles spricht jedoch dafür, dass die Bilanzen für Vergleiche nur sehr eingeschränkt geeignet sind. Erstens deutet der enorme Unterschied zwischen den durch Statistik Austria ausgewiesenen Werten des gesamtstaatlichen Sachanlage- und Finanzvermögens (430 Mrd. Euro) und der Summe der von den Gebietskörperschaften ausgewiesenen Werte (171 Mrd. Euro) auf Untererfassung hin. So fehlen etwa in der Bilanz der Gemeinde Wien die Gemeindebauten – und damit wohl ein zweistelliger Milliardenbetrag. Zweitens dürften die Gebietskörperschaften ihr Vermögen trotz bestehender Rahmenverordnung recht unterschiedlich bewertet haben. So hält etwa die Gemeinde Wien in den Ausführungen zur Eröffnungsbilanz als „vorrangiges Ziel bei der Bewertung“ fest, eine „Vermögensillusion zu verhindern“ – mit dem Beispiel, dass sie ihre Straßenbaugrundstücke nur mit einem Euro pro Quadratmeter bewertet, während andere Gebietskörperschaften drei Euro ansetzen.

Öffentliches Vermögen übersteigt in Österreich die Verschuldung

Geht man von den oben dargestellten Vermögenswerten der Statistik Austria aus, so übersteigt das öffentliche Vermögen die Verschuldung deutlich. Dem Vermögen standen 2020 Maastricht-Schulden von 316 Mrd. Euro (83 Prozent des BIP) plus sonstige Finanzverbindlichkeiten oder Bewertungsunterschiede (Markt- statt Nominalwert) von 113 Mrd. Euro gegenüber (gesamt 428 Mrd. Euro bzw. 113 Prozent des BIP).

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In Summe ergibt das ein positives Nettovermögen von 80 Mrd. Euro (21 Prozent des BIP) – und damit einen Wert, der Fantasien von der untragbaren Belastung künftiger Generationen wenig empirische Grundlage liefert.

Zwei Einwände lassen sich allerdings gegen dieses Ergebnis anführen:

Erstens deuten die Ergebnisse der Gebietskörperschaften darauf hin, dass das öffentliche Vermögen kleiner sein könnte als von Statistik Austria erhoben. Bereinigt um die nur fallweise inkludierten fiktiven (und sich bei einem Zinssatz nahe null ad absurdum führenden) Barwertberechnungen für künftige Pensionsansprüche, weisen zwar Länder (Ausnahme: Kärnten) und Gemeinden eindeutig ein positives Nettovermögen aus, doch die hohen Schulden des Bundes führen insgesamt trotzdem zu einem negativen Wert: Ende 2019 ergab sich für Bund, Länder und Landeshauptstädte in ihren Bilanzen ein Minus von in Summe 90 Mrd. Euro. Ob der Unterschied von rund 170 Mrd. Euro zu den Zahlen der Statistik Austria durch Bewertungsunterschiede, fehlende Einheiten (die hier nicht ausgewerteten über 2.000 anderen Gemeinden und unabhängige öffentliche Einrichtungen wie z. B. der ORF oder Kammern) und die in den Gebietskörperschaftsbilanzen nicht bewerteten Vermögensteile erschöpfend erklärt werden kann, sollte im Rahmen einer Evaluierung des neuen Haushaltsrechts eingehender untersucht werden.

Zweitens ist das Argument der Stadt Wien bezüglich Vermögensillusion relevant: Der monetäre Wert öffentlichen Vermögens ist nur bedingt aussagekräftig, da eine Veräußerung vielfach nicht möglich oder erstrebenswert ist. Auch stellt sich die Frage einer drohenden Zahlungsunfähigkeit durch das Besteuerungsrecht anders als in einem privaten Unternehmen. Eigentlich relevant beim öffentlichen Vermögen ist seine Qualität und Zweckmäßigkeit. Ob das Nettovermögen nun per Saldo positiv ist, ist weniger wichtig als die Frage, ob das öffentliche Vermögen so gestaltet ist, dass es eine nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen effektiv unterstützt.

Öffentliches Vermögen entscheidend für sozial-ökologischen Umbau

Geht man von den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen in Österreich aus, so ist der sozial-ökologische Umbau der Gesamtwirtschaft zentral. Hier ist der öffentliche Kapitalstock allerdings noch nicht optimal ausgestaltet. Öffentliche Gebäude und Fahrzeuge sind von Klimaneutralität oft weit entfernt – insbesondere in den Gemeinden. Das öffentliche Verkehrsangebot weist Kapazitätsengpässe zu Spitzenzeiten in Ballungsgebieten und Lücken in der Peripherie auf; die Rad- und Ladeinfrastruktur ist unzureichend. Die Stromerzeugung und -versorgung ist zwar noch stark in öffentlicher Hand, doch der weitere Ausbau erneuerbarer Energieträger schreitet immer noch zu langsam voran. Leistbares und ökologisches städtisches Wohnen ist ebenfalls ein Bereich, in dem es zu wenig Fortschritt gibt, wenn es dem nur eingeschränkt funktionierenden Markt überlassen wird.

Das skizzierte Investitionspotenzial gilt es zu heben, will man die Klimaziele auf sozial verträgliche Weise erreichen – gerade auch in Gemeinden. Die Finanzierung ist beim derzeitigen Zinsniveau kein finanzielles Problem, sondern eines des politischen Willens – der allerdings durch die in der Vergangenheit aufgestellten restriktiven Fiskalregeln strukturell eingeschränkt wird. Die Debatte über eine Reform auf europäischer Ebene sollte daher zumindest für eine goldene Investitionsregel genutzt werden, damit der (Netto-)Aufbau öffentlichen Vermögens auch durch die Ausgabe von Staatsanleihen finanziert werden kann.

Erfreulicherweise gibt es ein Umdenken in der Ökonomie – von Piketty und anderen führenden Ökonom:innen wie Blanchard oder Mazzucato über den IWF bis hin zur EU-Kommission (zum öffentlichen Vermögen und den Fiskalregeln). Ein Netzwerk europäischer Ökonom:innen hat kürzlich den European Public Investment Outlook 2021 veröffentlicht. In Deutschland lässt der neue Koalitionsvertrag auf eine differenziertere Position hoffen – und selbst in Österreich mehren sich die Stimmen (zuletzt etwa vom kleineren Koalitionspartner), die eine investitionsfreundliche Reform anstreben.

Fazit

Ein höheres öffentliches Vermögen ist für ein besseres und nachhaltiges Leben elementar. Gemeinsam mit dem Sozialstaat ermöglicht es Mindeststandards für alle und gleicht damit die hohe Konzentration privater Vermögen etwas aus. Gerade in Gemeinden ermöglicht öffentliches Vermögen Gestaltung – indirekt auch für die Privatwirtschaft, inklusive Impulse für mehr Beschäftigung. Der quantitativen wie qualitativen Bedeutung öffentlichen Vermögens ist nicht nur mehr Aufmerksamkeit zu widmen, sondern mit einem ambitionierten mittelfristigen Ausbauplan mit Blick auf gesellschaftliche Herausforderungen Rechnung zu tragen. Insbesondere der sozial-ökologische Umbau der öffentlichen Infrastruktur als relevanter Teil der Gesamtwirtschaft erfordert mehr Investitionen.

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