Fast schon vermisst, taucht im Wahlkampf doch noch die Forderung nach der Privatisierung öffentlicher Unternehmen auf. Als Gründe werden etwa der Abbau der Staatsverschuldung, zusätzliche Förderungen für forschungsintensive Unternehmen oder – besonders bizarr – die Banken-Verstaatlichung vorgeschoben. Das alles in einem Jahr, indem etwa in Deutschland „rekommunalisiert“ wird, sich die Republik so günstig wie nie zuvor finanzieren kann und die Staatsschuldenquote zurückgehen wird. Dabei sind Privatisierungen nicht nur wirtschafts- und beschäftigungspolitisch sowie aus finanzieller Sicht verfehlt, sondern schlichtweg unnötig.
Dass über Privatisierungen aus einer finanziellen Perspektive überhaupt noch diskutiert wird, liegt in erster Linie an einer gezielt einseitigen Darstellung jener, die entweder aus ideologischen Gründen und/oder finanziellen Eigeninteressen (zB Wiener Börse) die profitablen öffentlichen Beteiligungen an private AnlegerInnen abgeben wollen. Sie betonen den Privatisierungserlös bzw. die mögliche Zinsersparnis, die eine Schuldenrückzahlung durch Beteiligungsverkäufe ermöglicht. Sie erwähnen allerdings nicht, dass diesen Vorteilen wesentliche Nachteile gegenüberstehen.
Nachteile einer Privatisierung
- Zukünftige Erträge gehen in Form von anteiligen Unternehmensgewinnen verloren. Diese sind im Normalfall weit größer als die mögliche Zinsersparnis des Staates. Dies bedeutet, dass es insgesamt in den Folgejahren zu einer Budgetbelastung kommt. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die letzte Teilprivatisierung der OMV 1996 (knapp 15 % des Grundkapitals): In 15 Jahren ermöglichte sie zwar eine Zinsersparnis von etwa 250 Mio Euro, allerdings verhinderte sie die Beteiligung am stark steigenden Jahresüberschuss, der sich anteilig im gleichen Zeitraum auf mehr als das Sechsfache summierte (knapp 1,7 Mrd Euro).
- Die öffentliche Steuerungsmöglichkeit wird zumindest stark erschwert, was zu negativen Effekten bei Preisgestaltung, Investitionen, Beschäftigung, Umweltschutzstandards, Arbeitsbedingungen, etc führen kann.
- Der Verkaufsprozess ist anfällig für Unregelmäßigkeiten (zuletzt Telekom, BUWOG oder die Hypo Alpe Adria in der Zeit vor der Notverstaatlichung) und mit zum Teil sehr hohen Transaktionskosten (komplizierte Verträge, hohe Beratungs- und Abwicklungskosten) verbunden.
Muss die Staatsverschuldung durch Privatisierungen gesenkt werden?
Unter Umständen könnte trotz der Nachteile ein staatlicher Abverkauf zumindest theoretisch erforderlich sein. Ein Land wie Griechenland, das seinen Finanzierungsbedarf weder am Kapitalmarkt (zu einem leistbarem Zinssatz) noch durch internationale Hilfskredite gänzlich decken kann, könnte durch Privatisierungen die Lücke füllen und der Zahlungsunfähigkeit entgehen. Tatsächlich wurde in Griechenland die Vergabe von Hilfskrediten niedriger als notwendig angesetzt und an die Bedingung geknüpft, die Lücke durch Privatisierungen im Wert von 50 Mrd Euro zu schließen (rund 25 Prozent des damaligen BIP). Das Problem ist allerdings, dass in einem solchen allgemeinen Krisenzustand einer Volkswirtschaft die Unternehmensgewinne – und damit die Unternehmenswerte – einbrechen, sodass Privatisierungen praktisch erst recht nicht möglich sind (bzw. nur zu einem unangemessen niedrigen Preis, verschärft durch die schlechtere Verhandlungsposition durch den öffentlich angekündigten Zwangsverkauf). Auch das bestätigte sich in Griechenland.
So oder so ist Österreich meilenweit von einem solchen Szenario entfernt. Aktuell kann sich die Republik sogar langfristig zu einem historisch niedrigen Zinssatz etwa in der Höhe der Inflationserwartung verschulden. Auch ist der Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr (Mitte der 1990er wurde etwa jeder 14. Schilling für Zinsen aufgewandt, während es 2012 „nur“ jeder 20. Euro war). Und während in der öffentliche Debatte so getan wird, als ob Österreich de facto pleite wäre, wurde eine Stabilisierung der Staatsverschuldung bereits mit den bisherigen Konsolidierungsmaßnahmen erreicht.
Der – weitgehend durch die Finanzmarktkrise verschuldete – Anstieg der Staatsschuldenquote von 60 auf rund 74 Prozent des BIP ist daher kein Grund für eine neuerliche Privatisierungswelle. Riskant sind – neben einer allfälligen neuerlichen schweren Finanzmarktkrise – vielmehr unterlassene Ausgaben, die das zukünftige Wohlstandniveau schwächen würden. Zudem sollten die Relationen nicht aus dem Blickfeld verschwinden: Selbst wenn die öffentliche Anteil an OMV, Post, Telekom und Energieversorger (nach einer dafür notwendigen Verfassungsänderung) bis auf jeweils 25 Prozent verkauft werden würden, so könnte die Schuldenquote gerade einmal um zwei bis drei Prozentpunkte gesenkt werden.
Können Privatisierungen für höhere Bildungs- und Forschungsausgaben verwendet werden?
Ein weiteres scheinbares Argument pro Privatisierung ist die Verwendung der Erlöse für Bereiche, in denen eine Mehrheit öffentliche Mehrausgaben wünscht (zB Forschungsförderung). Dabei wird aber übersehen, dass zusätzliche Mittel durch Privatisierungen die Vermögensposition nicht ändern bzw. keine Erträge sind, da ihnen gleichzeitig ein Vermögensverlust – die Beteiligungen – gegenübersteht.
Auch bei der Berechnung der europäischen Defizit-Regeln gehen die Privatisierungserlöse nicht in die Berechnung ein. Somit würde die Verwendung von Privatisierungserlösen zB für qualitative Verbesserungen im Schulbereich das Defizit genauso erhöhen wie im Falle der Schuldenfinanzierung. In beiden Fällen droht ein Defizitverfahren bzw. aktuell die Verschärfung des aufrechten Verfahrens.
Mehr Spielraum für Ausgaben (egal ob nun für Forschung, Pflege, Bildung oder andere Bereiche) könnte durch Privatisierungen lediglich dann entstehen, wenn die Zinsersparnis durch den Schuldenabbau höher wäre als die entgangenen Beteiligungserträge. Abermals gilt es aber die Relationen zu wahren: Selbst wenn sich der grob geschätzte jährliche Verlust von rund 450 Mio Euro bei als Fehlprognose herausstellen würde, so ist auszuschließen, dass mit einem allfälligen Gewinn zB eine Verdoppelung der Forschungsquote auch nur ansatzweise finanziert werden könnte.
Welcher Privatisierungserfolg für wen?
Ein möglichst hoher Privatisierungserlös ist gesamtgesellschaftlich nur in den seltensten Fällen sinnvoll, da zu diesem Zweck auf nichtfinanzielle Ziele bzw. Auflagen (wie zB ein hohes Beschäftigungsniveau am bisherigen Standort, wettbewerbspolitische Eingriffe, hohe Umweltschutzinvestitionen und –standards oder die Beibehaltung von Sozialtarifen) verzichtet werden müsste. Wohin eine Perspektive der Ertragsmaximierung weitgehend ungeachtet von wettbewerbs- und gesellschaftspolitischen Zielen führt, haben die Wasserprivatisierungen in Cochabamba (Bolivien), Berlin oder Paris gezeigt, die auf öffentlichen Druck angesichts wachsender Unzufriedenheit verlustreich wieder zurückgenommen wurden. Auch die wachsende Zahl der Re-Kommunalisierung insbesondere in Deutschland, bei denen neben finanziellen Gründen insbesondere bessere Einfluss-, Steuerungs- und Kontrollaufgaben eine Rolle spielen, weisen darauf hin.
Von einer Privatisierung der Gewinne öffentlicher Unternehmen würden in erster Linie wenige InvestorInnen profitieren. Die Folge wäre eine stärkere Konzentration von Einkommen und Vermögen und somit eine Verschärfung der Verteilungstrends der letzten Jahrzehnte. Das gilt insbesondere dann, wenn aufgrund einer marktbeherrschenden Stellung des jeweiligen Unternehmens allfällige Effizienzsteigerungen zu einer weiteren Gewinnsteigerung anstelle von Preissenkungen verwendet werden würden. Zudem war bereits bisher in privatisierten Unternehmen eine überdurchschnittliche Steigerung der Managementeinkommen zu beobachten, die auch innerhalb der Beschäftigten zu einer Umverteilung führte.
Öffentliche Unternehmen, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ziele effektiv verfolgen
Soll weiteren Privatisierungen der Weg versperrt werden, könnte eine verstärkte Ausrichtung öffentlicher Unternehmen auf die Steigerung des öffentlichen Mehrwerts der Schlüssel sein: In dem Maße, wie gesellschaftliche Ziele tatsächlich erkennbar besser erreicht werden, wird die Privatisierung zu einer offensichtlichen Bedrohung. Somit reicht es nicht von weiteren Privatisierungen in der Regel Abstand zu nehmen, sondern die Gestaltungsmöglichkeiten, die öffentliches Eigentum bietet, effektiver zu nutzen. Denn eines hat die Vergangenheit auch gezeigt: Wenn die Transparenz gering ist, es keine ausreichende Auseinandersetzung über die Unternehmensziele gibt oder die Steuerungsfunktion kaum wahrgenommen wird, steigt die Anfälligkeit für Misswirtschaft und sinkt die Identifikation der Bevölkerung mit „ihrem“ Unternehmen. Die Folge ist, dass der Druck zu privatisieren zunimmt – selbst wenn es nicht die beste Option ist.